Ofczarek im Interview: "Mammon ersetzt Gott"
Von Guido Tartarotti
Am Freitag starten die Salzburger Festspiele. Wir haben daher ein umfangreiches Paket geschnürt - mit dem Salzburger Festspiel-ABC, den wichtigsten Highlights und Interviews mit Startenor Jonas Kaufmann sowie - Nicholas Ofczarek.
Am Sonntag trifft der "Jedermann" in Salzburg ein. Dort spielt er heuer bereits zum dritten Mal die berühmteste Bühnenfigur Österreichs. Premiere des Festspiel-Klassikers "Jedermann" ist am 21. Juli. Für eine Woche gibt es nun Wiederaufnahmeproben mit Regisseur Christian Stückl.
Und Ofczarek betont schon vorab im KURIER-Interview: "Wobei Christian Stückl wirklich inhaltlich eingreift. Da wird die Inszenierung nicht einfach aufgewärmt, sondern es wird wirklich gearbeitet."
KURIER: Das hat man schon voriges Jahr bemerkt, bei Ihrer zweiten Saison als Jedermann. Der Abend hatte sich deutlich verändert gegenüber dem ersten Jahr.
Ofczarek: Wir hatten ja alle wieder ein Jahr Lebenszeit hinter uns! Manches spielt man ein bisschen ökonomischer, einiges lässt man auch weg. Dadurch bleibt die Aufführung frisch und macht auch mehr Spaß – anstatt einfach etwas wiederzugeben, was schon erfolgreich war.
Nimmt man die Erfahrungen des Jahres in die Rolle mit?
Ja, das muss man als Schauspieler machen. Es besteht immer die Gefahr, dass das Theater der einzige Raum wird, in dem man existiert – und das stimmt natürlich nicht. Als Schauspieler muss man ins Leben gehen und ins Leben schauen, sonst entwickelt man sich als Mensch und Künstler auch nicht weiter.
Bleibt einem viel beschäftigten Schauspieler die Zeit dazu?
Man muss sich die Zeit einfach nehmen! Sonst kann es passieren, dass Körper und Geist irgendwann sagen: Ich kann nicht mehr. Ich habe gelernt, mir Freiräume zu schaffen und sie genauso so wichtig zu nehmen wie meine Arbeit. Meine letzte Premiere war im Februar, und danach kamen zwei Monate, wo ich einfach losgelassen habe. Und jetzt sage ich mir: Es kann wieder losgehen. Ab Sommer geht’s eh wieder los! Das nächste Jahr ist beruflich wieder voll durchgeplant.
Fällt es Ihnen schwer, Nein zu sagen?
Nein! Früher ist es mir schwerer gefallen, mittlerweile kann ich es ganz gut!
Lockt da die Karriereplanung? Man ist super im Geschäft und denkt sich: Jetzt geb ich Vollgas?
Das wäre kurzfristig gedacht. Ich versuche, eine gewisse Vielfalt zu leben, das gibt mir Kraft. Letztes Jahr habe ich beispielsweise bei den "Staatskünstlern" mitgewirkt, ein paar Lesungen gemacht, einen Film und eine Fernsehserie gedreht, Theater gespielt. Und ich durfte die Life-Ball-Eröffnung moderieren.
Ich habe Sie vor Ihrer Premiere als "Jedermann" gefragt, ob Sie fürchten, in Salzburg zu einer lebenden Mozartkugel zu werden. Damals haben Sie gesagt: Schauen wir einmal. Und?
Gegenfrage: Haben Sie das Gefühl, ich bin es geworden?
Ich glaube nicht.
Ich glaube auch nicht. Man erkennt ja selbst den Punkt, wo es zu viel werden könnte. Ich habe das Gefühl, ich werde nicht ausschließlich mit dem "Jedermann" identifiziert – und das ist mir wichtig.
Können Sie in Salzburg in Ruhe durch die Straßen spazieren?
Aber ja. Wenn man weiß, wo. In Salzburg wohne ich in einem Bezirk, wo mich niemand erkennt. Wenn ich in den Bus einsteige, bin ich zehn Minuten später im Festspielzirkus. Aber das gehört eben zu diesem Jobprofil ...
Sie haben diese Rolle auf eine noch nicht gesehene, heutige und harte Weise gespielt. Manche Kritik fiel hart aus. Offenbar ist der "Jedermann" Nationalheiligtum.
Meine Wahrnehmung ist: Unsere Vorstellungen werden vom Publikum sehr gut angenommen. Von der Kritik verrissen wurde der "Jedermann" seit der Uraufführung, das gehört dazu. Aber dass das Stück so unterschiedlich interpretierbar ist, zeigt doch, dass es ein gutes Stück ist. Dass trotzdem immer wieder geschrieben wird, es sei ein schlechtes Stück, gehört irgendwie auch zur Aufführungstradition.
So sehr "Mensch", nicht "Figur", war er noch nie.
Weil wir das Risiko eingehen, ihn nicht von Anfang an als Gutmenschen darzustellen, sondern auch als Täter. Das macht uns ja zu Menschen: Wir machen Fehler. Natürlich ist das ein Risiko: Geht der Zuschauer mit diesem Menschen mit, obwohl er ihn am Anfang nicht sympathisch findet, kommt er ihm näher und empfindet zum Ende hin so etwas wie Mitgefühl?
In dieser Inszenierung ist auch die Bekehrung relativ unreligiös, es geht eher bodennah zu.
Ich fand es beim Lesen merkwürdig, dass der "Jedermann", in dem Moment, wo er zu seiner Spiritualität findet, erst noch in die Kirche muss, um seine Sünden zu büßen. Er ist doch schon viel weiter! Das Stück trägt natürlich ein katholisches Gewand –, aber im urchristlichen Gedankengut nehmen Mitgefühl, Nächstenliebe und Verzeihen einen höheren Stellenwert ein als das Betonen von Schuld. Und deswegen haben wir das weggelassen.
Heutige Menschen halten Bekehrung offenbar nicht gut aus.
Eine andere Idee hätte mir auch gefallen: Er will das Vaterunser beten – aber die Zeilen fallen ihm nicht mehr ein. Damit würde man etwas über das Heute erzählen. Wir leben in einer haltlosen Zeit, ohne gelebte Rituale, wir haben den Zugang zur Spiritualität verloren.
Interessant ist auch: Als "Jedermann"-Darsteller muss man sich anscheinend öffentlich zu Glaubensdingen äußern.
Ich glaube, das hat bei mir weniger mit dem "Jedermann" als mit dem Älterwerden zu tun. Und mit dem eben beschriebenen Gefühl der Haltlosigkeit. Unsere Zeit ist zu schnell geworden, um noch den Überblick zu bewahren. Der Mammon bestimmt wie im Stück den Wert einer Gesellschaft und ersetzt Gott.
Es sitzen, gerade bei der Premiere, viele Reiche, Schöne und Prominente im Publikum. Kriegen die denn mit, dass sie gemeint sind?
Jedermann im Publikum ist gemeint!
Wie lange werden Sie den "Jedermann" noch spielen? Eine Neuinszenierung wurde in Aussicht gestellt.
Sollte es irgendwann eine Neuinszenierung geben, denke ich nicht, dass ich darin mitwirken werde.
Zur Person: Nicholas Ofczarek
Karrierebeginn Nicholas Ofczarek wurde am 30. Mai 1971 in Wien als Sohn des Sängerpaares Klaus und Roberta Ofczarek geboren. Ausbildung am Konservatorium der Stadt Wien. Seine ersten Erfolge feierte er Anfang der 90er-Jahre in der Off-Szene; am Theater in der Drachengasse erregte er die Aufmerksamkeit von Publikum und Presse. Claus Peymann holte ihn 1994/’95 ans Burgtheater.
Paraderollen Schon vor dem "Jedermann" hat Ofczarek zahlreiche Paraderollen gespielt. Als Nestroy-Schauspieler reüssierte er ebenso wie in Klassikern von Schiller (etwa als Mortimer in "Maria Stuart"), Lessing (Angelo in "Emilia Galotti") und Shakespeare (vom Angelo in "Maß für Maß" bis zum Richard III. in den "Rosenkriegen"). Er spielte auch u. a. bei den Festspielen in Reichenau sowie in zahlreichen Film- und Fernsehprodktionen ("Nordrand", "Falco – Verdammt wir leben noch", "Soko Kitzbühel", "Kommissar Rex"). Ab Herbst ist er in der ORF -Serie "Braunschlag" (mit u. a. Robert Palfrader) zu erleben.