Vier Schanzen, ein Mythos, viele Favoriten
Von Christoph Geiler
So eine Vierschanzentournee bringt ja immer auch einige Fragen mit sich. Gewinnt ausnahmsweise einmal kein Österreicher? Läuft man in Oberstdorf irgendwann vielleicht doch noch einem Teenager über den Weg? Und hat der Parkwächter in Garmisch, der seit Menschengedenken am 1. Jänner jedem Besucher "ein gutes Neues" wünscht, vielleicht heuer einen Text-Hänger?
Vor der 64. Auflage der Tournee freilich rückten die üblichen Fragen in den Hintergrund. Im frühlingshaften Oberstdorf (+12 Grad) drehte sich am Sonntag alles nur um das Eine – um den Einen. Der erste öffentliche Auftritt von Gregor Schlierenzauer nach seiner mehrwöchigen Auszeit überstrahlte alles und lockte Dutzende Reporter ins Hotel Oberstdorf, das traditionelle Quartier der ÖSV-Adler.
Für seine Performance bei der Pressekonferenz verdiente sich der Stubaier hervorragende Haltungsnoten. Der 25-Jährige präsentierte sich locker und launig und machte dabei keineswegs den Eindruck, dass er sich gerade in einer Sinnkrise befindet.
"Mir taugt’s, dass ich hier bin. Die letzten Wochen haben mir gut getan", sagte Schlierenzauer, der während seiner Schaffenspause nicht auf der faulen Haut gelegen ist. In Lillehammer trainierte der Tiroler gemeinsam mit Marc Nölke, dem früheren Assistenztrainer der ÖSV-Springer. Schlierenzauer hatte immer schon einen guten Draht zum Deutschen, der obendrein ein großer Experte auf dem Gebiet der Stressregulierung ist. "Mir ist wichtig, dass ich mich jetzt Schritt für Schritt entwickle und nicht einmal oben bin und dann wieder unten."
Der zweifache Tournee-Gesamtsieger hat wohl nur Außenseiterchancen. Aber welchen Überflieger sollte man auf dem Radar haben? Wer hat das Zeug zum Tournee-Triumphator?
Peter Prevc
Wer sein Geld auf einen Sieg des Slowenen setzt, der darf nicht mit großen Gewinnen rechnen. Vor der 64. Auflage des Schanzenklassikers lautet die Frage nur: Wer, wenn nicht er? Selten zuvor ist ein Springer mit einer so breiten Brust und einer so langen Erfolgsserie nach Oberstdorf gereist wie Peter Prevc, der in dieser Saison in anderen Sphären schwebt. Drei Siege und drei zweite Plätze – diese beeindruckenden Daten wirft der Flugschreiber für den Überflieger aus, der die letzten drei Bewerbe gewonnen hat.
Tourneefaktor: 5 von 5 Sternen
Severin Freund
Tourneefaktor: 4,5 von 5 Sternen
Kenneth Gangnes
Wenn sich jemand die Bezeichnung Senkrechtstarter verdient, dann der Nobody aus Gjøvik, der bis vor Kurzem nur Bakken-Insidern ein Begriff war. Vor dieser Saison konnte der Norweger nur einen 41. Rang (Gesamtweltcup 2014/’15) sowie einen 45. Platz (Tournee 2011/’12) als Highlight vorweisen, heuer hat er schon einen Sieg und zwei Podestränge errungen. Das große Plus des 26-Jährigen und seiner Kollegen: Die Verantwortung und der Erfolgsdruck sind verteilt, die Norweger haben mehrere heiße Eisen im Tournee-Feuer. Fünf Norweger waren heuer schon in den Top drei.
Tourneefaktor: 3,5 von 5 Sternen
Michael Hayböck
Tourneefaktor: 2,5 von 5 Sternen
Stefan Kraft
Der Titelverteidiger wartet in diesem Winter noch auf das große Aha-Erlebnis. "Es geht derzeit noch nicht so locker von der Hand", gesteht der 22-Jährige. Allerdings trauen Experten dem Salzburger eine größere Leistungsexplosion zu als dem Zimmerkollegen Hayböck.
Tourneefaktor: 2 von 5 Sternen
Noriaki Kasai
Würde es den Japaner nicht schon so lange geben, dann müsste man ihn erfinden. Der 43-jährige Kasai machte seinen Jungfernsprung im Weltcup (1988), als die meisten seiner heutigen Rivalen noch nicht einmal auf der Welt waren. Und dennoch lässt der nimmermüde, immerfröhliche Asiate die jüngeren Kollegen immer wieder alt aussehen und lachte auch in diesem Winter schon vom Siegerfoto. Und seien wir ehrlich: Gibt es einen Springer, dem man den Tourneesieg mehr gönnen würde?
Tourneefaktor: 1,5 von 5 Sternen
Domen Prevc
8, 8, 12, 2, 5 – die Ergebnisse, die der jüngere Bruder von Peter Prevc in seinen ersten fünf Weltcupbewerben erreicht hat, bleiben den meisten Springern in der gesamten Karriere vorenthalten. Der 16-Jährige erbrachte früh den Beweis, dass er nicht zu Unrecht als Superstar von morgen und slowenische Antwort auf Schlierenzauer gehandelt wird.
Tourneefaktor: 1 von 5 Sternen
Simon Ammann
Tourneefaktor: 0,5 von 5 Sternen
Gregor Schlierenzauer
Es gebietet der Respekt vor dieser einzigartigen Karriere, dass auch der zweifache Tourneesieger in den Kreis der Mitfavoriten aufgenommen wird. Auch wenn sein letzter Weltcupsieg verjährt ist und Schlierenzauer über sich sagt: "Im Moment bin ich kein Siegspringer." Allerdings hat der 25-Jährige schon oft genug gezeigt, dass er aus dem Nichts ins Rampenlicht springen kann.
Tourneefaktor: 0,5 von 5 Sternen