Aufhören oder Weiterfahren? Hirscher braucht Bedenkzeit
Wie im Vorjahr hat Marcel Hirscher auch nach dem Ende dieser alpinen Ski-Saison zu einem "letzten" Medientermin geladen, ehe er sich für Monate aus der Öffentlichkeit zurückzog. Heute war es wieder soweit. Die ganze Nation zitterte angesichts dessen, was der größte österreichische Sportler bei diesem Anlass sagen könnte. Der Ausgang der Pressekonferenz war aber dann derselbe wie 2018.
"Ich muss euch enttäuschen, aber diese Frage kann ich heute nicht beantworten", sagte Hirscher gleich zu Beginn des Frage-Antwort-Spielchens zwischen ihm und den zahlreich versammelten Medienleuten. Die erste Frage handelte selbstverständlich davon, ob er nun weitermacht oder doch, wie viele im Vorfeld der Pressekonferenz befürchtet hatten, aufhört. Der 30-jährige Salzburger will sich also die Entscheidung in Ruhe überlegen.
Keine Tendenz
"Ich kann nicht sagen, es ist A oder B. Ich möchte mir nicht allzu viel Zeit geben, aber mehr als 48 Stunden wären toll", sagte Hirscher, der sich nach der vergangenen Saison als "sehr müde" empfindet. "Dementsprechend möchte ich wirklich schauen, wie die Regeneration fortschreitet. Ich bin jetzt zehn Jahre im Weltcup-Zirkus dabei und dass man da früher oder später Federn lässt, ist ganz klar. Ich möchte schauen, wie ich in den Sommer hineinkommen, und ob es körperlich und mental noch einmal möglich ist, so eine Saison durchzuziehen."
Gefühlsmensch
Die Frage nach dem Aufhören, wenn es am schönsten ist, habe er sich schon oft stellen dürfen: "Glücklicherweise bin ich diesem Leitfaden nie nachgegangen, sonst hätte ich 2012 in Schladming aufgehört." Er holte damals seinen ersten Gesamtweltcup, mittlerweile kamen sieben weitere in Folge dazu, sowie je sechs kleine Kristallkugeln in Slalom und Riesentorlauf, er hält bei 67 Weltcupsiegen.
Er sei ein Gefühlsmensch, diese "Lebensentscheidung" werde er auf sich zukommen lassen und gemeinsam mit der Familie treffen. Hirscher ist seit vergangenem Jahr verheiratet und Vater eines Sohnes. Er werde viele Gespräche führen, es werde eine Bauchentscheidung werden, er werde aber keine Plus-Minus-Statistik aufstellen.
"So schlecht war ich noch nie"
Die Rennen in Andorra seien auch eine Gelegenheit gewesen, zu sehen, dass "es ist nicht selbstverständlich sei, dass in jedem Rennen abgeliefert werden kann", es sei verrückt, wie schnell es sich drehen könne und man im Slalom letzte Laufzeit habe (gesamt Slalom-14.).
"Eine ganz neue Seite, die ich bis jetzt noch nicht kenne. So schlecht war ich noch nie. Das ist erstaunlich und schon fast erschreckend. Die wirkliche Erklärung habe ich nicht, aber das sollte meine Entscheidung für die Zukunft nicht maßgeblich beeinflussen", sagte Hirscher. So wie er früher lernen musste, sich mit dem Sieg auseinanderzusetzen, müsse er sich jetzt der Enttäuschung und Niederlage genauso stellen.
Sollten die Grundparameter stimmen und er sich mental und körperlich in der Lage sehen, weiterzumachen, dann würde viel Arbeit auf ihn warten. "Das ist auf der anderen Seite aber auch wieder eine große Motivation. Es war in den letzten Jahren schon sehr oft der Fall, dass ich hinterher gefahren bin, vielleicht nicht so dramatisch wie jetzt, aber das war immer Anstoß, selbst wieder einen Schritt nach vorne zu machen. Man sieht es oft während der Saison. Diejenigen, die den Takt vorgeben, da muss man fast dankbar sein, die bringen alle miteinander das Skifahren wieder auf ein neues Level."
Fanatismus
Sein Team würde sich nie zufriedengeben, man wollte jeden Tag das Maximum rausholen, aber auch bei einem gewonnenen Rennen heiße es nicht, dass alles perfekt gewesen sei. "Wir sind nie müde geworden, uns weiterzuentwickeln. Es ist wie eine Selbsthilfegruppe, wir schauen sehr gut aufeinander. Alle Personen geben wahnsinnig Gas. Du musst ein bisschen einen Fanatismus haben und das auch wollen", sagte der Slalom-Weltmeister und Riesentorlauf-Vizeweltmeister von Aare.
Hirscher kritisiert öfter den großen Reisestress und die dichte Rennansetzung, wie die anderen Athleten fügt er sich dem aber auch. "Wenn du um eine Kugel mitfahren willst, lässt du kein Rennen aus." Änderungen sind trotzdem erwünscht, der TV-Zuseher müsse nicht jeden Tag Rennen im Fernseher haben.
Zur von den Speedfahrern kritisierten Unausgewogenheit von Technik- und Speedrennen meinte Hirscher: "Es kann schon sein, dass das eine oder ander Speed-Wochenende mehr nicht schaden kann, um mehr Gleichheit zu schaffen. Aber ich muss auch hin und wieder einen Super-G fahren und einen Parallel-Event, mir taugt das auch nicht." Wollen Speedfahrer um die Kugel mitfahren, müssen sie dazu auch bereit sein.
Marcel Hirschers Karriere: