Kitz-Chaosabfahrt: Ausfälle, Ärger und Abbruch
Die Streif ist eine einzige Gratwanderung", hatte Hannes Reichelt dieser Tage einmal erklärt. Eine Gratwanderung zwischen Siegen und Fliegen, zwischen Siegespodest und Spitalbett, zwischen Show und Schmerz.
Selten wurde das deutlicher als bei dieser Hahnenkammabfahrt in Kitzbühel, bei der ohnehin schon seit Jahren nur mehr das Motto zu gelten scheint: Kaviarbrot und Spiele.
Ob denn die Protagonisten nicht mehr und mehr dem Spektakel geopfert werden, ob nicht zusehends mit der Gesundheit der Rennläufer gespielt wird – das waren nach der ereignisreichen Abfahrt die Themen, um die sich nach der Gratwanderung auf der Streif am Samstag die Diskussionen drehten.
Kritische Situation
Denn wenn die besten Abfahrer der Welt reihenweise in Fangnetz landen; wenn die Rettungshubschrauber permanent über dem Hahnenkamm kreisen; wenn Läufer freiwillig Bremsschwünge einlegen, um unversehrt ins Ziel zu kommen; wenn das Rennen erstmals in der Historie nach 30 Startern aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden muss, dann stellt sich zwangsläufig die Frage: War das wirklich alles notwendig?
Große Probleme
Tatsächlich wurde für die Abfahrer der Streifzug zu einem Ritt auf der Rasierklinge. Als wäre die Strecke nicht schon schwierig genug, wurde die Piste die letzten Tage mit Wasser pickelhart präpariert, dazu kamen das diffuse Licht, die schlechte Bodensicht und die vielen Wellen am Hausberg, die prompt drei Läufern zum Verhängnis wurden.
Georg Streitberger, der als Erster an dieser gefährlichen Stelle ins Fangnetz stürzte, erlitt einen Kreuzbandriss und einen Meniskusriss im rechten Knie. Hannes Reichelt konnte nach seinem Abflug zumindest selbst aus dem Netz krabbeln, wurde aber vorsorglich ebenfalls mit dem Rettungshubschrauber abtransportiert. Der 35-Jährige, der bei seinem Sturz die Airbag-Sicherheitsweste trug, erlitt eine Prellung im linken Knie.
Tosender Applaus
Trotzdem wurde das Rennen fortgesetzt und bis Startnummer 30 (Vincent Kriechmayr) regelrecht durchgeboxt. Die obligaten Werbeunterbrechungen fielen aus, um die Stimmung auf den vollen Tribünen war es geschehen. Es dürfte wohl eine Premiere in der langen Geschichte der Hahnenkammabfahrt gewesen sein, dass die Sturzopfer Reichelt und Svindal mehr bejubelt wurden als die Helden auf dem Siegespodest.
Dem Mythos der Streif als gefährlichste, berüchtigtste und schwierigste Abfahrt der Welt dürfte das Rennen am Samstag freilich nicht geschadet haben. Und wie die Rennläufer wirklich ticken, wie sehr sie längst bei diesem Spiel im Extrembereich mitspielen, zeigte nicht zuletzt Aksel Lund Svindal.
Was tat der Norweger als Erstes, nachdem er sich mit blutiger Nase aus dem Fangnetz befreit hatte?
Er fragte nach seiner Zwischenzeit.
Der Technische Delegierte der FIS, der Italiener Menestrina, legt Wert auf die Feststellung, dass die Jury nicht auf Weisung von ÖSV-Präsident Schröcksnadel, sondern aus eigener Überzeugung die Abfahrt abgebrochen habe. Die Jury habe am Berg gar nicht gehört, was Schröcksnadel ins ORF-Mikrofon sagte. Man habe sich vielmehr aus Sorge um die Gesundheit jüngerer, unerfahrener Läufer zum vorzeitigen Rennende entschlossen.
Mit Ausnahme von Familienvater Klaus Kröll sahen alle Läufer, die nach Svindals Sturz noch Starterlaubnis bekommen hatten – von Trainern zu vorsichtigerer Fahrweise angehalten – das Ziel. Trotzdem herrschte dort beklemmende Stimmung. Auch der Nervenkitzel gewohnte Formel-1-Boss Bernie Ecclestone blickte betreten nach oben.
Beat Feuz, 28, der zweitplatzierte Schweizer, der nach seinem Achillessehnenriss erst sein drittes Rennen bestritten hatte, erklärte: "Solche Stürze müssen nicht sein. Das überschattet dieses Rennen."
Stehaufmänner
Mit Carlo Janka stellte sich neben Beat Feuz noch ein weiterer Schweizer aufs Siegespodest. Der drittplatzierte Bündner ist wie Kollege Feuz der personifizierte Stehaufmann. Hatte beim Emmentaler die Amputation des linken Knies nach einer bakteriellen Infektion gedroht, war Janka nicht nur von Herzrhythmusstörungen geplagt, sondern auch von einer Viruserkrankung, deren Folgen erst bei einer Operation beseitigt werden konnten.
Hinzu kamen immer wieder Rückenbeschwerden und damit verbundene lange Auszeiten, weshalb der Riesenslalom-Weltmeister von 2009, der Riesenslalom-Olympiasieger und Gesamtweltcupsieger von 2010 eben nicht zum Seriensieger und Superstar der alpinen Skiszene wurde – sondern zum eher seltenen Weltcup-Gast.
1. | Peter Fill (ITA) | 1:52,37 | Min. |
2. | Beat Feuz (SUI) | 1:52,74 | +0,37 |
3. | Carlo Janka (SUI) | 1:53,02 | +0,65 |
4. | Johan Clarey (FRA) | 1:53,17 | +0,80 |
5. | Marc Gisin (SUI) | 1:53,43 | +1,06 |
6. | Aleksander Aamodt Kilde (NOR) | 1:53,59 | +1,22 |
7. | Vincent Kriechmayr (AUT) | 1:53,63 | +1,26 |
8. | Adrien Theaux (FRA) | 1:53,77 | +1,40 |
9. | David Poisson (FRA) | 1:53,81 | +1,44 |
10. | Otmar Striedinger (AUT) | 1:53,83 | +1,46 |
11. | Erik Guay (CAN) | 1:53,88 | +1,51 |
12. | Romed Baumann (AUT) | 1:54,08 | +1,71 |
13. | Andrew Weibrecht (USA) | 1:54,16 | +1,79 |
14. | Kjetil Jansrud (NOR) | 1:54,26 | +1,89 |
15. | Manuel Osborne-Paradis (CAN) | 1:54,30 | +1,93 |
16. | Dominik Paris (ITA) | 1:54,33 | +1,96 |
17. | Andreas Sander (GER) | 1:54,37 | +2,00 |
18. | Travis Ganong (USA) | 1:54,43 | +2,06 |
19. | Christof Innerhofer (ITA) | 1:54,61 | +2,24 |
. | Benjamin Thomsen (CAN) | 1:54,61 | +2,24 |
21. | Guillermo Fayed (FRA) | 1:54,68 | +2,31 |
22. | Marco Sullivan (USA) | 1:55,87 | +3,50 |
23. | Bostjan Kline (SLO) | 1:55,94 | +3,57 |
24. | Werner Heel (ITA) | 1:56,28 | +3,91 |
Ausgeschieden: Klaus Kröll, Hannes Reichelt, Georg Streitberger (alle AUT), Aksel Lund Svindal (NOR), Steven Nyman (USA), Maxence Muzaton (FRA)
Hannes Reichelt (Knochenprellung)
Georg Streitberger (Kreuzbandriss und Meniskusschäden)
Florian Scheiber (Kreuzbandriss, Meniskusschäden)
Martin Sprenger (Trainer/ Kreuzbandriss, Seitenbandrisse)
Max Franz (Kapseleinriss im Knie, Riss der vorderen Syndesmose im Sprunggelenk)
Adrian Pertl (Kreuzbandriss)
Matthias Mayer (Bruch des siebenten Brustwirbels und Eindellung des sechsten Wirbels)
Markus Dürager (Schien-, Wadenbein-, Handgelenksbruch)
Thomas Mayrpeter (Kreuzbandriss)
Joachim Puchner (Patellarsehnenverletzung)
Daniel Danklmaier (Kreuzbandriss, Meniskusschäden)