Sport

Bolt: Lichtgestalt im Schattenkabinett

Er muss es jetzt richten. Er ganz alleine. Usain Bolt ist es zwar gewohnt, im Rampenlicht zu stehen und seine One-Man-Show abzuziehen, aber die Verantwortung, die dem jamaikanischen Sprinter nun aufgebürdet wurde, scheint dann selbst einem passionierten Selbstdarsteller wie ihm über den Kopf zu wachsen. Vor der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Moskau, die heute mit den 100-Meter-Vorläufen startet, gab sich der extrovertierte jamaikanische Superstar ungewohnt reserviert und wortkarg. Die Dopingfälle der vergangenen Wochen haben den schnellsten Mann der Welt sichtlich aus dem Tritt gebracht.

Viele Konkurrenten und Weggefährten sind Usain Bolt ja nicht geblieben. Der Inhaber der Jahresweltbestzeit (Tyson Gay/USA)? Erwischt. Der ehemalige Weltrekordhalter (Asafa Powell/ Jam)? Überführt. Der amtierende Sprint-Weltmeister (Yohan Blake/Jam)? Nach Ablauf einer Dopingsperre verletzt. Bleibt als einziger ernst zu nehmender Rivale im Kampf um die Krone der Leichtathletik nur noch Justin Gatlin – ein Amerikaner, der in seiner Karriere bereits zwei Mal in die Dopingfalle gesprintet war.

Vertrauensfrage

Doch Usain Bolts größte Gegner sind sowieso nicht die Sprinter neben ihm, auch nicht die Stoppuhren. Der größte Gegner verfolgt den Jamaikaner auf Schritt und Tritt, und er lässt sich nicht so leicht abschütteln. Erst gar nicht durch einen neuen Weltrekord bei der WM in Moskau. Denn ein neuer Traumlauf von Usain Bolt würde in dieser kritischen Phase der Glaubwürdigkeit der Leichtathletik nicht wirklich guttun. Dabei läuft der Generalverdacht ohnehin seit Jahren mit, Doping sei ein treuer Begleiter des 100-Meter-Spektakels, das 2012 bei den Olympischen Spielen in London zwei Milliarden Fans vor den TV-Geräten in den Bann gezogen hatte. Mit Ausnahme des Kanadiers Donovan Bailey wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten noch jeder Weltmeister und Olympiasieger über die 100 Meter des Dopings beschuldigt oder am Ende gar überführt.

Skepsis

Nur der sechsfache Olympiasieger Usain Bolt hat sich seitdem nichts zuschulden kommen lassen. „Er muss jetzt die Leichtathletik retten“, fordert die Gazzetta dello Sport. Indem er die Ausnahme von der Doping-Regel ist.

Doch nach all den jüngsten Skandalen übt nun selbst das Fußvolk ersten Widerstand gegen den Sprintkönig und wagt offen auszusprechen, was bisher nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt worden war. „Wenn man eins und eins zusammenzählt und sieht, dass viele Läufer, die langsamer als er waren, erwischt wurden: Warum soll der schnellste Mann dann sauber sein?“, wundert sich der deutsche 100-Meter-Meister Julian Reus.

Saubermann

Usain Bolt selbst hüllt sich, sobald es um das leidige Thema Doping geht, in Schweigen – und in seine weiße Weste. „Usain ist der am meisten getestete Athlet des Planeten“, erklärt sein Manager Ricky Simms gegenüber dem Spiegel. Und: „Er hat den Gipfel noch nicht erreicht und seine Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft.“

Usain Bolt ist sich im Klaren, dass nicht nur in Moskau alles auf ihn blickt; dass viele in ihm den Heilsbringer sehen. Wie meinte er doch gleich in seiner Biografie „9,58, der schnellste Mann der Welt“: „Ich weiß: Sollte ich einen Fehler machen, riskiere ich den Tod der Leichtathletik. Aber ich kann versichern, dass das nicht passieren wird.“