Djokovic-Demontage statt Rekord: Tennis-Star Alcaraz holt Wimbledon-Titel
Von Harald Ottawa
Dass Novak Djokovic in Wimbledon Finalluft schnuppern durfte, war nach seiner Meniskus-OP vor wenigen Wochen vielleicht die größte Sensation. Dass es von ihm zumindest in den ersten beiden Sätzen nur heiße Luft gab, lag aber auch an einem blendend aufgelegten Carlos Alcaraz.
In der Neuauflage des Vorjahresfinales, das wesentlich höheren Spannungsgehalt hatte, siegte der spanische Titelverteidiger 6:2, 6:2 und 7:6(4). Djokovic kam erst so richtig auf, als das Spiel schon vorbei schien. Am Ende blieb doch eine klare Niederlage. Zuletzt passierte dies in diesem Ausmaß 2020, als der mittlerweile 24-fache Grand-Slam-Sieger im Endspiel der French Open gegen Alcaraz’ Landsmann Rafael Nadal mit 0:6, 2:6 und 5:7 unterging. Dafür war Nole der bisher letzte Mann, der ein Finale beim größten Rasenturnier in drei Sätzen gewann – 2018 gegen den Südafrikaner Kevin Anderson.
Der 21-Jährige spielte, als wäre er auf Rasen aufgewachsen, spielte so wie man es vor Jahren von Roger Federer, aber auch von Novak Djokovic gewohnt war. Der Serbe konnte nie seine große Beweglichkeit und Returnstärke ausspielen, Alcaraz war zu dominant, zu variabel in seinem Spiel.
Gewiss, dass Djokovic nicht sein bestes Rasentennis spielte, das ihn immerhin schon zu sieben Triumphen im „All England Lawn Tennis and Croquet Club“ geführt hatte, war offensichtlich. Und natürlich war er nicht bereit für Alcaraz, sein Sieg gegen Holger Rune war das Beeindruckendste, das er dieser Tage in London geleistet hatte.
Nicht im Vollbesitz seiner Kräfte
Im Viertelfinale konnte sein Gegner Alex De Minaur wegen einer Hüftverletzung nicht antreten, im Halbfinale war mit dem Italiener Lorenzo Musetti kein Star auf Rasen sein Gegner. Und dass er nach seiner Operation noch nicht im Vollbesitz seiner Klasse ist, zeigte sich vor allem, dass er die Bälle nicht wie gewohnt gekonnt antizipierte. Auch der Rhythmus im Spiel fehlte, und auch die Konsequenz, Rallyes zu beenden.
Im dritten Satz, als er längst auf die Siegerstraße eingebogen war, spielte Alcaraz auch mit dem Publikum, das nach einigen Mätzchen von Djokovic in den vergangenen Tagen ohnehin auf seiner Seite war. Jedoch wollten auch einige Tennisfans ein bisschen mehr sehen von einem Finale, einen Hauch von einem Duell.
Und sie wurden erhört, der dritte Satz verlief ausgeglichener, weil sich der 37-jährige Djokovic in die Partie fightete und Alcaraz immer wieder Fehler passierten. Da wird Djokovic aber eher nicht im Kopf gehabt haben, dass seit fast 100 Jahren kein Spieler ein Wimbledon-Finale nach 0:2-Satzrückstand gewann (wen es interessiert: es gelang dem französischen Musketier Henri Cochet 1927). Der Serbe hat es insgesamt acht Mal in seiner Karriere geschafft, und durfte trotz Rückstand hoffen. Alcaraz zeigte ausgerechnet beim Ausservieren Schwächen und ließ den von den aufgewachten serbischen Fans angetriebenen Djokovic zurück ins Spiel. Zu spät.
Djokovic kann sich trösten, dass er auch dank der Hilfe des Tiroler Fitnesstrainers Gebhard Gritsch, den er nun zum wiederholten Mal ins Team zurückholte, mehr erreichte als erwartet. Der Serbe bleibt hinter dem Italiener Jannik Sinner die Nummer zwei der Welt, der nunmehr vierfache Major-Champ Alcaraz Dritter.