Weshalb Dopingsünder lieber lügen als auszupacken
Von Florian Plavec
Reumütig blickt der überführte Sportler in die TV-Kamera. Einen Fehler habe er gemacht, schwach sei er geworden bei der großen Versuchung. Einmal (wahlweise: zwei Mal, drei Mal) habe er verbotene Methoden angewendet – und prompt wurde er erwischt. Unterstrichen wird das Doping-Geständnis im Idealfall mit ein paar Tränen.
Das Problem dabei: Selten enthalten die „umfassenden“ Geständnisse die ganze Wahrheit.
Doping-Skandal
Man erinnere sich an Johannes Dürr. In einer ARD-Doku packte der Langläufer über seinen Betrug aus. Vorgeblich. Ein paar Wochen später – und nach der Razzia bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld – stellte sich heraus, dass er in vielen Passagen nicht die Wahrheit erzählt hatte. Erst später gab der Österreicher zu, bis 2018 Blutdoping betrieben zu haben.
Blutdoping bei Mark Schmidt, jenem deutschen Sportmediziner, dessen Dienste auch der ehemalige Top-Radfahrer Danilo Hondo in Anspruch genommen hat. Als dessen Name ins Spiel gebracht wurde, wählte der Deutsche die bewährte Taktik: zuerst leugnen, dann schuldbewusst gestehen.
Alles habe sich im Jahr 2011 abgespielt, erzählte Hondo über seine Blutdoping-Praktiken in der ARD. Mark Schmidt habe „vehement“ Druck auf ihn ausgeübt, dann sei da Neugier gewesen und ein schwacher Moment. „Es gab drei bis vier Entnahmen und drei bis vier Zurückgaben“, sagte Hondo, der bis vor Kurzem in der Schweiz als Nachwuchstrainer tätig war. Sonst habe er in seiner gesamten Karriere nie etwas mit Doping zu tun gehabt.
Ist das möglich? Ja.
Ist das glaubhaft? Nein.
Doping-Teams
Hondo war in der Hochzeit des Dopings Anfang der 2000er-Jahre beim Team Telekom. 14 der damals 25 beschäftigten Profis wurden im Laufe ihrer Karriere mit Doping in Verbindung gebracht. Später war Hondo unter anderem beim Team Gerolsteiner, wo erwiesenermaßen ebenso gedopt wurde – siehe Bernhard Kohl. Danach wechselte er zu Lampre. Im italienischen Team gab es in den 27 Jahren seines Bestehens 30 Doping-Affären. Und erst 2011 soll Hondo mit Doping in Berührung gekommen sein? Und dann gleich mit Blutdoping?
Das hält Stefan Schumacher für ausgeschlossen. „Blutdoping ist definitiv nicht die Einstiegsdroge“, sagt der 37-jährige Deutsche der ARD-Dopingredaktion. „Es ist eher das Crystal Meth unter den Dopingmethoden.“
Schumacher ist selbst unter den Dopern ein böser Bube. 2013 gestand er im Spiegel unter anderem den Missbrauch von EPO und Hormonen. „Ich bin selbst bei Telekom und Gerolsteiner gefahren. Ich weiß, was da los war“, sagt er.
Doping-Schwindel
Doch weshalb erzählt Hondo mutmaßlich nicht die ganze Wahrheit? Zum einen gibt es das über Jahrzehnte gepflegte Lügengebäude, dessen Mauern nicht leicht einstürzen. Selbst Familienmitglieder wissen oft nichts vom Doping. Auf der anderen Seite geht es auch um viel Geld. Lance Armstrong, der größte Dopingbetrüger der Sportgeschichte, wurde nach seinem Geständnis mit Klagen eingedeckt, von Ex-Sponsor US Postal trudelte eine Forderung von 100 Mio. $ (89 Mio. €) ein.
Um nicht ganz so hohe Beträge ging es bei Bernhard Kohl. Der Niederösterreicher hat sich 2008 nach langem Zögern zu einem echten Schuldbekenntnis entschlossen. „Ich habe mit dem Geständnis ein Gesetz gebrochen, das man nicht brechen darf“, sagte er im KURIER-Interview und meint die Omertà, das Gesetz des Schweigens im Radsport – aber auch bei der Mafia. Deshalb musste er dem Sport den Rücken kehren. Wäre er bei seiner Lügengeschichte geblieben, hätte er nach einer vierjährigen Dopingsperre spätestens 2012 wieder in den Sport einsteigen können. Mit 37 Jahren könnte er heute noch beim Giro d’Italia am Start stehen.