Zu schnell und zu brutal - schwer verletzte Radprofis
Die Radstars Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel sowie der Australier Jay Vine erlitten bei einem Massensturz während der Baskenland-Rundfahrt folgenschwere Knochenbrüche. Vingegaard hat sich zudem auch eine Lungenquetschung zugezogen, wie sein Team Visma am Freitagvormittag bei X, früher Twitter, mitteilte. Vingegaard bleibe vorerst im Krankenhaus.
Bereits am Vortag hatte der Rennstall bekannt gegeben, dass sich der 27-Jährige bei dem Massensturz auf der vierten Etappe das Schlüsselbein und mehrere Rippen gebrochen hat. Zudem erlitt Vingegaard einen Pneumothorax, dabei dringt Luft in den Spalt zwischen Lunge und Brustwand. Dadurch kann sich die Lunge nicht mehr so ausdehnen wie zuvor. Sie fällt in sich zusammen. Es kann zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen. Der Zustand von Vingegaard sei stabil, teilte sein Team weiter mit.
"Lassen Sie uns das Massaker beenden"
Bei der Suche nach den Gründen gerät neben möglichen Straßenschäden auch die zunehmend aggressivere Fahrweise im Feld ins Visier. Thierry Gouvenou, der Renndirektor des Klassikers Paris-Roubaix am Sonntag, sprach auch das rasante Tempo bei Abfahrten an.
„Stopp, stopp, stopp, lassen Sie uns das Massaker beenden. Fangen wir an, über die Geschwindigkeitsprobleme nachzudenken“, sagte Gouvenou der französischen Sportzeitung L'Équipe. „Die Fahrer (der Begleitfahrzeuge) bei den Rennen, die sehr erfahrene Leute sind, sagen mir, dass sie keinen Sicherheitsabstand mehr haben, wenn sie vor den Radfahrern abfahren. Die Abfahrten auf den Pässen werden mit über 100 km/h gefahren“, sagte Gouvenou. Es sei an der Zeit, sich Grenzen zu setzen. „Man hört von völlig überzogenen Übersetzungen, die verwendet werden.“
Bei der Aerodynamik und beim Bremsen habe es enorme Fortschritte gegeben, erklärte Gouvenou, das gehe aber viel zu schnell: „Leider ist man, sobald man von der Straße abkommt, nicht geschützt, weil das Radfahren auf der Straße von Herrn Jedermann stattfindet.“
Für das am Sonntag stattfindende Eintagesrennen von Paris nach Roubaix mit seinen gefürchteten Kopfsteinpflaster-Passagen haben die Planer eine Schikane eingebaut, um die Geschwindigkeit und somit die Sturzgefahr zu mindern.
Einen anderen Aspekt brachte der deutsche Radprofi Nils Politt im Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Freitag) ins Spiel. Es würden wie im Fußball ganz, ganz junge Fahrer direkt aus den Juniorenklassen in die WorldTour kommen und wollten sich sofort beweisen, sagte Politt. „Allgemein ist das Stresslevel deutlich höher. Die Rennen werden immer schneller und immer früher eröffnet“, sagte der 30-Jährige vom Team UAE über die generelle Entwicklung im Radsport.
Beim angesprochenen Massensturz 35 km vor dem Ziel der vierten Etappe hatte sich auch Belgiens Radstar Evenepoel das Schlüsselbein gebrochen und eine Fraktur des Schulterblatts erlitten. Er muss operiert werden. Noch schlimmer erwischte es den Australier Jay Vine mit einem Halswirbelbruch und zwei Brüchen der Brustwirbelsäule.
Die Schuld sah beispielsweise der deutsche Radprofi Simon Geschke bei den Fahrern. „Es war hundertprozentig die Schuld der Fahrer. Die waren einfach zu schnell. Die Straße war gut, es war trocken. Es war keine Kurve, die völlig überraschend kam“, sagte der Teilnehmer des Rennens am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. „Ich bin froh, dass keiner im Koma liegt“, sagte der 38-jährige Routinier, der nach dieser Saison aufhört. Geschke moniert eine „Wer-bremst-verliert-Mentalität“.
Ähnliche Töne schlug der spanische Tour-de-France-Etappensieger Pello Bilbao nach der Zielankunft an. Denn die Strecke sei eigentlich einfach gewesen. Dies sollte die Radfahrer zum Nachdenken bringen, da sie vielleicht diejenigen seien, die die Gefahr verursachten. „Wir müssen die Art und Weise, wie wir gegeneinander antreten, ein wenig überdenken“, erklärte der 34-Jährige.
Die Zeitung Mundo Deportivo und der spanische Radprofi Mikel Bizkarra führten zudem mögliche Straßenschäden als Ursache für den verheerenden Unfall ins Feld. Es habe im Bereich der Kurve eine Rinne gegeben, schrieb die Zeitung.
Bizkarra, der im März die Katalonien-Rundfahrt gefahren war, verwies auf viele Baumwurzeln unter der Straße auf dieser Strecke, die nicht zu sehen seien. Man erkenne sie nicht auf den ersten Blick, und wenn man den Lenker nicht gut im Griff habe, sei es „leicht, in die Luft zu fliegen“, sagte der 34-Jährige Diario AS.