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Philipp Kohlschreiber: "Ich habe viel von Thiem abgeschaut"

Für jemanden, der über Jahre die Nummer eins im deutschen Herren-Tennis gewesen ist, kann Philipp Kohlschreiber ein erstaunlich ruhiges Leben führen. „Wenn ich mich in einem Restaurant ankleckere, ist das Foto nicht sofort im Internet. Bei Boris Becker wäre das wahrscheinlich was anderes“, sagt der 35-Jährige.

Als der KURIER Philipp Kohlschreiber vor seiner Abreise zu den Australian Open beim Konditionstraining im Sportresort Hohe Salve in Hopfgarten besucht, nehmen die Hotelgäste kaum Notiz von der Nummer 34 der Weltrangliste. „Wobei ich in Österreich sogar fast öfter angesprochen werde als daheim in Deutschland“, sagt der Wahl-Kitzbüheler.

Kohlschreiber war nie der Superstar, aber er ist ein Muster an Beständigkeit. Seit über zehn Jahren gehört der Bayer den Top 50 an, die Australian Open sind bereits sein 58. Grand-Slam-Turnier. Allein in Melbourne ist er heuer zum 14. Mal am Start.

Was treibt Sie mit 35 noch an?

Mir ist klar, dass ich mich im Herbst meiner Karriere befinde, aber ich will das Ende so lange hinauszögern, wie es geht. Bei mir ist es ja inzwischen so: Ich muss nicht mehr, ich will – und das ist ein guter Zugang. Außerdem weiß ich, dass ich noch lange kein perfekter Tennisspieler bin, das werde ich auch nie werden. Genau deshalb arbeite ich mit Patrick Koller (der ehemalige ÖSV-Skicrosser und Olympia-Teilnehmer ist der sportwissenschaftliche Leiter im Resort, Anm.) zusammen, weil der mir immer noch einige neue Impulse bringt.

Wie oft haben Sie Sich in Ihrer Karriere neu erfinden und mit der Zeit gehen müssen?

Ich behaupte einmal, dass ich mich über die vielen Jahre gar nicht so großartig verändert habe. Im Tennis hat man von Natur aus gewisse Stärken und Schwächen. Ich bin zum Beispiel nicht der Größte und nicht der mit der meisten Power. Aber dafür habe ich andere Qualitäten: Kreativität, Schnelligkeit, Taktik. Wenn mir einer sagt: ,Philipp du musst extrem risikoreich spielen und möglichst viele Winner schlagen’ – das wäre nicht ich. Ich kann mich nicht verbiegen. Was ich aber sicher sagen kann: Dass ich heute ein viel besserer Tennisspieler bin als noch 2002 bei meinem Einstieg in die Tour. Viel kompletter, anders hätte ich mich auch nicht über all die Jahre da vorne halten können.

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Sie waren lange die Nummer eins in Deutschland. Trotzdem hatte man das Gefühl, dass Sie in der öffentlichen Wahrnehmung unter gegangen wären.

Stimmt, es hat jetzt bei mir nie zu einer Top-Ten-Platzierung gereicht, und vielleicht hatte ich auch nicht die absoluten Highlights. Aber umgekehrt bin ich auch nie richtig abgefallen. Und diese Konstanz, die ich da hingelegt habe, bei den vielen jungen Spielern, die jedes Jahr herein drängen, macht mich schon stolz. Wissen Sie, was das Problem im Sport ist?

Sagen Sie’s uns.

Es wird eigentlich immer nur der Superlativ gemessen. Man zählt nur die maximalen Erfolge auf und reduziert es darauf. Dann heißt’s: Aha, der hat jetzt soundsoviele Turniere gewonnen, das war seine höchste Platzierung. Ich glaube, dass man andersrum auch ein Lob aussprechen könnte für Leute, die konstant vorne dabei sind. So viele Tennisspieler gibt es dann auch wieder nicht, die das erreicht haben. Mir fehlen noch 40 Siege, dann hätte ich 500 auf der Tour, das haben nicht viele geschafft. In Deutschland nur Boris Becker und Tommy Haas.

Fast die Hälfte der Spieler in den Top 40 der Weltrangliste sind 30 Jahre und älter. Woran liegt das?

Vor allem an der Entwicklung auf dem Fitnesssektor. Das kann man ja in vielen Sportarten beobachten, dass die Karrieren heute viel länger dauern und die Athleten länger konkurrenzfähig sind. Und natürlich darf man nicht vergessen, dass wir gerade eine Generation mit vielen außergewöhnlichen Spielern haben. Rafael Nadal, Novak Djokovic, Andy Murray, und ein Roger Federer spielt sowieso Tennis von einem anderen Stern.

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Warum sind die Routiniers den jungen Wilden überlegen?

Bestimmt auch deshalb, weil wir auf dem Platz gelassener und weniger heißspornig unterwegs sind. Das ist bei entscheidenden Situationen kein Nachteil. Was man außerdem beobachten kann: Die junge Generation spielt noch sehr eindimensional.

Eindimensional?

Ja, die haben heute weniger Variation im Spiel, weniger Kreativität. Ich bin noch mit einem anderen Stil aufgewachsen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die jüngeren Spieler sich schwer tun, wenn sie jemandem gegenüber stehen, der eine kreative Ader hat. Die können nicht damit umgehen, dass vielleicht auch einmal ein langsamerer Ball kommt. Weil sie nur Powertennis kennen. Mag sein, dass unser Stil für sie manchmal altmodisch wirkt, aber damit kann man sie ärgern.

Wenn Sie Ihren perfekten Tennisspieler zusammenstellen könnten, wie würde der denn aussehen?

Natürlich würde hier Roger Federer oft vorkommen. Ich finde einfach, dass er von allen den besten Touch hat. Die Vorhand würde ich von Rafael Nadal nehmen, die Rückhand von Novak Djokovic, wenn’s denn eine beidhändige wäre. Bei einer einhändigen Rückhand würde ich sogar mich nominieren, damit ich auch vorkomme. Dazu den Aufschlag von Federer, das Kämpferherz von Nadal, die Beinarbeit des jüngeren Andy Murray. Wobei ich da auch Dominic Thiem schon ganz vorne sehe.

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Weil Sie schon Dominic Thiem angesprochen haben: Was zeichnet ihn aus?

Ich verfolge seine Karriere jetzt schon sehr lange, wir sind auch befreundet und oft gemeinsam im Trainingslager. Es ist eine Verbundenheit da, die Familie ist super nett und Günter Bresnik ein Monster-Mentor, der mir auch schon öfter geholfen hat. Ich finde, dass Dominic einen Vorbildcharakter hat, wie ich ihn so noch nicht oft gesehen habe.

Was meinen Sie?

Man muss das ja so sehen: Dominic hat schon sehr früh sehr viel erreicht und da prasselt dann natürlich vieles auf einen ein. Die Erwartungshaltung, die Medien, die Aufmerksamkeit. Man könnte da auch leicht abheben. Aber Dominic ist da nicht nur back to Earth, er ist sogar eine Stufe drunter. Er ist so bodenständig, so lieb, so nett, da können wir den Eltern ein Riesenkompliment machen. Dominic ist so normal geblieben, es ist toll für Österreich, so einen sympathischen Superstar zu haben. Er ist wirklich ein Vorbild für mich.

In welcher Hinsicht? Was kann sich ein 35-Jähriger von einem 25-Jährigen abschauen?

Mit seiner Art, wie er sich gibt und auftritt ist Dominic einzigartig. Auch auf dem Platz. Diese Geilheit zu spielen, die er hat. Da muss ich zugeben, das habe ich aufgenommen von ihm.

Hat Ihnen das Spiel denn nicht immer Spaß bereitet?

Für mich war Tennis in früheren Jahren oft auch mit Druck verbunden. Nach dem Motto: Ich muss jetzt spielen, ich muss gewinnen, ich muss mich beweisen. Das gibts’s bei Thiem nicht. Er freut sich immer so, dass er auf dem Platz stehen darf. Und genau das habe ich mir von ihm abgeschaut. Man sieht ihm die Leichtigkeit an.

Trotzdem gab es hierzulande immer wieder einmal die Kritik, dass er die großen Turniere nicht gewinnt.

Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Aber wir haben in Deutschland ja ein ähnliches Problem. Alexander Zverev wird mittlerweile nur mehr an den Grand-Slams gemessen. Das wird bei Marcel Hirscher nicht anders sein. Ich bewundere seine Konstanz, bei ihm sieht alles so leicht aus. Für mich ist er ja der Roger Federer des Skisports und steht über allem. Aber wenn er jetzt nicht Olympiagold holt, dann sind die Leute plötzlich enttäuscht. So was kann ich nicht nachvollziehen. Dominic Thiem ist verdammt jung, er steigert sich ständig, geben wir ihm doch Zeit.

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Hat Ihnen das Spiel denn nicht immer Spaß bereitet?

Für mich war Tennis in früheren Jahren oft auch mit Druck verbunden. Nach dem Motto: Ich muss jetzt spielen, ich muss gewinnen, ich muss mich beweisen. Das gibts’s bei Thiem nicht. Er freut sich immer so, dass er auf dem Platz stehen darf. Und genau das habe ich mir von ihm abgeschaut. Man sieht ihm die Leichtigkeit an.

Trotzdem gab es hierzulande immer wieder einmal die Kritik, dass er die großen Turniere nicht gewinnt.

Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Aber wir haben in Deutschland ja ein ähnliches Problem. Alexander Zverev wird mittlerweile nur mehr an den Grand-Slams gemessen. Das wird bei Marcel Hirscher nicht anders sein. Ich bewundere seine Konstanz, bei ihm sieht alles so leicht aus. Für mich ist er ja der Roger Federer des Skisports und steht über allem. Aber wenn er jetzt nicht Olympiagold holt, dann sind die Leute plötzlich enttäuscht. So was kann ich nicht nachvollziehen. Dominic Thiem ist verdammt jung, er steigert sich ständig, geben wir ihm doch Zeit.