Sport/Motorsport

Erinnerungen an 1. Mai 1994 in Rio de Janeiro und Sennas Tod

Der 1. Mai 1994 ist ein Sonntag. Ich befinde mich damals auf einem Verwandtschaftsbesuch in Rio de Janeiro. Genauer gesagt, im Stadtteil Ipanema. Es ist früher Vormittag und wie viele andere Bewohner dieses eher noblen Stadtteils begebe ich mich auf die Avenida Vieira Souto.

Das ist die Prachtstraße entlang der malerischen Küste des Ipanema-Strandes. Die Avenida ist sonntags für Autos gesperrt. Sie ist dann Treffpunkt für Tausende Cariocas, so nennt man die Einwohner der Stadt. Vormittags ist die Avenida hauptsächlich eine Laufstrecke. Der Körperkult steht ganz oben bei den Cariocas. Vor allem bei der Oberschicht. 

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Die brasilianische Gesellschaft scheint zwar nach außen hin multikulti zu sein, erinnert aber eher an das indische Kastensystem. Das gilt auch für den Sport. Fußball ist der Sport für die breite "untere" Schicht. Leichtathletik, Beach-Volleyball und auch die Formel 1 sind der Sport der Reichen und Schönen. Ayrton Senna hat diese soziale Barriere für die Formel 1 durchbrochen. Für so ziemlich alle Brasilianer ist er dreifache Weltmeister ein Halbgott. 

Tags zuvor war Roland Ratzenberger in Imola tödlich verunglückt. Das war beim Abendessen mit Freunden ein Thema gewesen. Es wirkte irgendwie surreal, dass in der Formel 1 wieder Piloten starben.

In Rio ist es an diesem 1. Mai so gegen halb zehn Uhr und auf der Avenida Vieira Souto tummelt sich ein Heer von Joggern. Ich erinnere mich noch genau, wie plötzlich immer mehr Menschen stehen blieben, Gruppen bildeten und in ihren Gesichtern Fassungslosigkeit stand.

Senna hätte beim Rennen in Imola einen schweren Unfall gehabt, hieß es, und es würde nicht gut aussehen. Was besonders in Erinnerung bleibt, war die plötzliche, fast unheimliche Stille. Damals gab es noch keine Smartphones und so strömten die Menschen in die ersten offenen Strandcafés mit einem TV-Schirm oder nach Hause. Eine halbe Stunde später war die Avenida fast wie leergefegt, so wie die ganze Stadt. 

Im Appartement meiner Verwandten hatten sich inzwischen Freunde und Nachbarn eingefunden. Sie alle starrten betroffen auf den TV-Schirm. Manche Gäste hielten sich an den Händen und hatten Tränen in den Augen, der eine oder die andere betete. In diesem Moment fielen mir die Bilder von der Ermordung John F. Kennedys ein. So muss es also gewesen sein. 

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Trauer-Hysterie um Senna mit dem Tod von Lady Di vergleichbar

Obwohl die offizielle Bestätigung von Sennas Tod erst Stunden später eintraf, war bald klar, dass er den Unfall kaum überlebt haben konnte. Später am Tag verhängte Präsident Itamar Franco dann eine dreitägige Staatstrauer. 

Trotz der tragischen Nachricht, fanden am Nachmittag und Abend  Fußballspiele der brasilianischen Liga statt, die in einem Land wie Brasilien natürlich live übertragen werden. Die Bilder sind unvergesslich. Es gab Schweigeminuten. Dabei gingen die Spieler auf die Knie. Zehntausende Fans skandierten "Senna, Senna, Senna". 

Unvergesslich auch die Bilder am Donnerstag darauf. Sennas Leichnam wurde per Linienflug nach São Paulo geflogen, nach dem Eintritt in den brasilianischen Luftraum begleiteten Kampfjets des Militärs die Maschine. Die TV-Anstalten übertrugen live. Als der Sarg durch die Stadt geführt wurde, standen Millionen Menschen Spalier. 

Die Trauer-Hysterie um Senna kann man nur mit dem Tod von Lady Di vergleichen. Wenn überhaupt. Brasilien ist, und war es damals besonders, ein Krisenland. Erfolgreiche Sportler lenken vom tristen Alltag ab und schaffen ein Wir-Gefühl. Senna war so ein Sportler.  Rund zwei Monate später war es dann die brasilianische Fußball-Nationalmannschaft. Sie wurde 1994 in den USA Weltmeister. Aber Sennas Popularität konnte sie nicht erreichen.