Sport

Erst am Limit beginnt das Abenteuer

Irgendwann, als die 200 Kilometermarke längst erreicht, das Ziel aber immer noch einen Marathon weit entfernt war, bekam Christian Schiester Gesellschaft. "Da waren plötzlich Stimmen und in der Dunkelheit habe ich Gesichter gesehen."

Für einen erfahrenen Extremläufer ein beruhigendes Signal. "Ja wirklich", bekräftigt er. "Das ist ganz normal. Das Gehirn spielt dir etwas vor. Es richtet sich am Limit eine andere Wirklichkeit her, damit etwas Positives da ist."

Also konnte kaum noch etwas schief gehen. Christian Schiester bewältigte die 250 Kilometer durch die ägyptische Wüste beim Ocean Floor Race nonstop in 48 Stunden und 44 Minuten. Damit kam er nur 45 Minuten hinter seinem belgischen Dauerrivalen Steven Sleuter ins Ziel. "Gegen Ende bin ich zusammengebrochen und die Augen sind mir zugefallen. Das war die Entscheidung", sagte der 46-Jährige.

Die Schmerzen

Alle 25 Kilometer gab es Verpflegungsstationen, bei denen die Läufer vier Liter Wasser bekamen. Dem Essen an den Ständen hat Schiester nicht vertraut. "Ich habe in meinem Rucksack immer Trockenwurst, Nüsse, Datteln, Olivenöl, usw."

Eine der größten Herausforderungen in Ägypten war die Folge eines kleinen Steinchens. "Ich hab’ nicht gleich bemerkt, dass sich ich einen Stein im Schuh gehabt habe und hab’ eine riesige Blase bekommen." Mit Schmerzen hat Schiester in den letzten 25 Jahren zu leben gelernt. "Mit einem gewissen Schmerzpegel muss man umgehen können", erklärt der Steirer. Auch mit der Temperatur hat er sich arrangiert. Die Hitze spielt sich nur im Kopf ab. Wenn ich dagegen ankämpfe, verliere ich zu viel Energie für das Laufen. Man muss eben mehr trinken. "

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Diese mentale Kraft beeindruckt Christian Schiester: "Viele Leute wissen gar nicht, was sie alles erreichen können." Ihm selbst hat der Sport wahrscheinlich das Leben gerettet. Denn mit 20 Jahren wog er 100 Kilo, trank und rauchte viel. Sein Arzt prophezeite ihm kein langes Leben, wenn er so weiter machen würde. Also begann er zu laufen. 26 Jahre später gibt es weltweit kaum noch einen Extremlauf, bei dem Schiester nicht teilgenommen hat.

"Dann sehe ich rot"

Am 4. Mai steht der Wings for Life World Run in St. Pölten auf seinem Programm. An 35 Orten weltweit wird am 4. Mai gleichzeitig um 12 Uhr MESZ gestartet. In der Kommandozentrale in Spielberg gehen die Signale zu allen Veranstaltungen. 30 Minuten nach dem Start fährt ein Auto los. Wird der Läufer eingeholt, ist sein Rennen zu Ende. "Das ist ein völlig neues Lauferlebnis. Viele Läufer sind Geisel ihrer Uhren", sagt Schiester über das neue Konzept. Sein Ziel: "Ich kann es nicht locker angehen. Wenn ich eine Startnummer drauf habe, sehe ich rot. Wenn ich für den Kilometer vier Minuten brauche, dann schaffe ich 65 Kilometer."

Und wenn nicht? "Egal. Ich werde alles geben. Ich will mir ja beim Schlafengehen zufrieden die Decke über die Nase ziehen können."

Wenn am 4. Mai in St. Pölten und an anderen 34 Orten der Welt der Startschuss (Anmeldung unter www.wingsforlifeworldrun.com) fällt, dann wird ein kleines Puzzleteil zum großen Bild beigetragen. Denn Red Bull kommt für die Kosten auf, alle Einnahmen gehen in die Stiftung "Wings for Life". Diese wurde 2004 mit dem Ziel geründet, Querschnittslähmung heilbar zu machen. Auslöser war der Motorradunfall von Hannes Kinigadner, dessen Vater Heinz mit Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz befreundet ist.

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Zehn Jahre später hat die Forschung große Fortschritte gemachen. Wolfgang Illek, der seit einem Mountainbike-Unfall selbst im Rollstuhl sitzt, und für "Wings for Life" arbeitet, sagt: "Es ist nicht mehr die Frage ob, sondern wann." Die Stiftung finanziert Studien, die von international anerkannten Forschern eingereicht werden.

Der Tag X kommt

Die private Initiative ist notwendig, weil es für die Pharmaindustrie zu wenige Querschnittsgelähmte gibt. Mit den zirka drei Millionen Betroffenen lässt sich die Forschung nicht finanzieren. "Wings for Life spielt eine entscheidende Rolle", erklärt Illek. Einmal im Jahr werden alle Forscher nach Salzburg eingeladen, um Erkenntnisse auszutauschen und Synergien zu nutzen. In Versuchen wurde es bei Mäusen schon erreicht, dass Nerven wieder zusammenwachsen. "Es gibt auch Beispiele aus Amerika, bei denen Leute wieder gehen können. Jetzt wird in Studien ermittelt, ob das mit der Therapie zu tun hat", erklärt Illek. Der Niederösterreicher ist optimistisch, seinen Rollstuhl auch verlassen zu können: "Ich halte meinen Körper jeden Tag fit, damit ich bereit bin für den Tag X. Ich bin sehr zuversichtlich" Und Illek betont, auch wenn Red Bull die treibende Kraft sei, "Therapien werden allen Betroffenen zur Verfügung stehen".