Sport/Fußball

Deutschlands Everybody’s Darling

Wie geht’s einem zum Kehraus eines Jahres, in dem seine Fußballnationalmannschaft den WM-Titel geholt hat? Was empfindet eigentlich jemand, der 2014 in Deutschland zum Mann und zum Trainer des Jahres gewählt wurde und nach dem neuerdings sogar ein ganzes Fußballstadion (in Schönau im Schwarzwald) benannt ist?

Wünscht er sich, dass 2014 nie zu Ende gehen soll? Lässt er täglich die Sektkorken knallen? Verspürt er Stolz und Genugtuung?

"Ich bin dann auch mal froh, dass dieses Jahr vorbei ist", gesteht Joachim Löw.

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Der deutsche Bundestrainer wurde zuletzt herumgereicht wie ein Joint in Woodstock. Kein Jahresrückblick der renommierten deutschen Sender, bei dem er nicht Stargast gewesen wäre; kein roter Teppich zwischen München und Berlin, über den er nicht hätte schreiten müssen; kein Thema, zu dem er nicht nach seiner Meinung befragt worden wäre. Sogar zum Tod von Udo Jürgens musste sich Deutschlands neues Everybody’s Darling zuletzt äußern. "Es ist auch gut, wenn ich jetzt mal irgendwann den Mund halte und nichts mehr über Fußball erzähle", sagt Löw.

Ein Satz wie dieser wäre dem letzten deutschen Weltmeistertrainer Franz Beckenbauer wohl nie über die Lippen gekommen.

Auf dem Platz

Joachim Löw ist keiner, der im Mittelpunkt stehen muss und das Rampenlicht sucht. Allüren sind dem Schwarzwälder fremd und die einzigen Extravaganzen, die er sich im Leben leistet, sind ein gutes Glas Rotwein und die Genusszigarette nach dem Essen. Und auch, wenn der 54-Jährige ein zentraler Faktor für den WM-Titel war, für viele Experten hatte Löw sogar den Löwenanteil am Triumph, so nimmt sich der Bundestrainer selbst nicht so wichtig. "Dein Einfluss als Trainer ist begrenzt."

Es passt gut in dieses Bild des bescheidenen, demütigen Weltmeistermachers, dass sich Löw nirgends so wohlfühlt wie auf dem Trainingsplatz, bei der Arbeit mit seinen Spielern. "Da gehe ich auf, das ist einfach der Trainer in mir. Wenn ich auf dem Platz stehen kann, dann bin ich in meinem Element", sagt Joachim Löw im Gespräch mit dem KURIER.

In der Luft

Die andere Seite des Jobs als Bundestrainer behagt ihm da schon weit weniger. Seine enorme Popularität und sein hoher Bekanntheitsgrad machen für Joachim Löw ein normales Leben längst unmöglich. Wenn die Menschen einen regelrechten Löw-Tourismus betreiben und plötzlich daheim bei ihm in Wittnau bei Freiburg im Garten stehen; wenn er nicht mehr in Ruhe seinen geliebten Espresso schlürfen kann, ohne dabei fotografiert zu werden; oder wenn er sich im Urlaub seltsame Mützen aufsetzen und sein Gesicht hinter riesigen Sonnenbrillen verstecken muss, um nicht von den Paparazzi erkannt zu werden. "Irgendwie habe ich ständig das Gefühl, beobachtet zu werden", gesteht Löw, "genießen kann ich meine Bekanntheit deshalb nur in den seltensten Fällen. Ich kann seit Jahren nicht mehr anonym durch eine deutsche Stadt spazieren."

Möglicherweise ist gerade dieses lästige Leben als Star und öffentliche Person der Grund, warum er neuerdings abhebt. Nach dem WM-Titel hat Joachim Löw eine neue Leidenschaft entdeckt: das Fliegen. Hoch über den Wolken ist wohl das einzige Fleckchen, wo er inzwischen noch seine Ruhe hat.