Sport/Fußball

Vor 44 Jahren: Als während der WM verhört, gefoltert, beseitigt wurde

Vorweg: Selbst im Falle eines optimalen WM-Verlaufs darf Katars problematischer Umgang mit Menschenrechten nicht bagatellisiert werden. Die in TV-Talkformaten wiederholt gemachte Behauptung, wonach keine WM jemals zuvor so fragwürdig gewesen sei, aber ist falsch.

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Mit den globalen Online-Infos und dem Wissensstand von heute hätte selbst die moralisch unsensible FIFA die WM 1978 verlegen lassen. Wäre es vielleicht anderswo, nicht aber auf argentinischem Boden zum "Wunder vom Cordoba" gekommen. So hatte auch der dort beim 3:2 gegen Deutschland legendär gewordene Hans Krankl, "nicht im Entferntestem" geahnt, dass zur WM-Zeit Tausende Menschen in Argentinien liquidiert wurden.

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Noch kurz vor der WM versicherten solche, die 1938 vor den Nazis sowie solche, die 1945 wegen ihrer NS-Vergangenheit nach Südamerika geflüchtet waren, bei einem Asado (Grillfest) für Österreich-Freunde, dass die Horror-Storys über die Militär-Junta nicht stimmen. Und endlich Ruhe herrsche im ganzen Land.

Tatsächlich war es möglich, im Juni 78 gefahrlos nachts (dank WM-Ausweis) vom Medienzentrum bis zum Hotel quer durch Buenos Aires zu gehen. Nachdenklich wurde ich erst, als Obdachlose von Uniformierten gepackt und wie ein Stück Vieh auf die Ladeflächen von Militärautos geworfen wurden. Straßenreinigung auf Videla-Art. Jorge Videla hieß der Staatschef, bei dem die Finalisten zu erscheinen hatten.

Als sich zwei Spieler von Ernst Happels niederländischem Team, in der letzten Reihe stehend, während General Videlas Rede unterhielten, rief man sie per Gewehrkolben zur Ordnung. Worauf Happel mit seinem Team den Saal verließ.

Die Niederländer wurden zum Feindbild im River Plate-Stadion. Dort siegten die Gastgeber 3:1. U. a. dank Schützenkönig Mario Kempes, der später bei Vienna, St. Pölten und Krems spielte. Aber auch begünstigt durch einen parteiischen Unparteiischen. So Manches kam einem schon vor dem Finalkrimi bei Argentiniens 6:0 gegen Peru spanisch, pardon, auf einen WM-Triumph Argentiniens zugeschnitten vor.

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Was leider mehr als nur Gerücht war: Dass kaum 300 Meter vom Final-Stadion entfernt hinter hohen Mauern unzählige des links-linken Terrors Verdächtigte verhört, gefoltert und auf Nimmerwiedersehen beseitigt wurden. Die ganze grausame Wahrheit erfuhr die Weltöffentlichkeit erst sieben Jahr danach beim Videla -Prozess.

Inzwischen ist der Blutgeneral längst im Gefängnis gestorben. Inzwischen gilt Argentinien, das nach der Junta-Ära dank Diego Maradona auch 1986 Weltmeister wurde, wieder einmal als ein Topfavorit. Und inzwischen sind – erfolglose – Boykottaufrufe vor Sportgroßereignissen schon Tradition. Siehe Olympia in Peking, siehe die letzten Weltmeisterschaften in Südafrika, Brasilien, Russland. Siehe sogar EM.

Im Juli 2007 hatten Ultras Rapid auf die Europacup-Reise nach Kazan (Russland) in Leibchen mit dem Aufdruck "Sch ...-EM" begleitet. Elf Monate später fand die besagte EM in ... Österreich statt.