Unterwegs in Russland: Metalldetektoren mit Charme
Von Bernhard Hanisch
Wieder spuckt die Metro-Station Ochotny Rjad Menschen aus. In Gruppen, die sich im Tageslicht zu Massen vereinen, quietschend, schreiend, im internationalen Durcheinander herrscht unruhige Erwartung, um dann doch von kompromisslosen Uniformträgern in Schranken gewiesen zu werden. Geduldig umkreist die Prozession den auf allen Seiten verriegelten Roten Platz.
Der Kreml lässt sich nur für Momente blicken und verliert seine historische Erhabenheit, die bunte Basilius-Kathedrale fügt sich bereitwillig in ihr ohnehin schon längst verpasstes Disneyland-Image.
Wilde Mischung
Am Donnerstag eröffnet Russland seine Fußball-Weltmeisterschaft. Mit dem Spiel gegen Saudi-Arabien im Luschniki-Stadion von Moskau (17.00 Uhr MESZ).
Über Nacht hat sich das Zentrum der Hauptstadt in eine Mischung aus Rummel- und Truppenübungsplatz verwandelt. Der Bewegungsfreiheit von Touristen und Fans – eine Million erwartet Moskau zu WM-Zeiten – sind klare Grenzen gesetzt. Offiziell bestätigt ist die erhöhte Terrorgefahr, und auf Schritt und Tritt muss das staatliche Versprechen der totalen Sicherheit auf russischem Boden auch spürbar sein.
„Russland liebt keine Überraschungen“, wurde erklärt. Also stehen Menschen vor Metalldetektoren Schlange, nehmen mehrmaliges polizeiliches Abtasten in Kauf, um an der Rückseite des Gum, des berühmten luxuriösen Einkaufstempels, auf Holzkohle gegrillte Schweinsstelzen und Geflügelteile abzunagen.
Nebensache Fußball
Die Gastgeber bleiben gelassen. Gute Gastgeber wollen sie sein. Sie haben sich damit abgefunden, bei dieser WM wohl keine Überraschung zu liefern. Im internationalen Ranking der besten Fußball-Teams ist Russland der schlechteste aller Teilnehmer und hat dies in den letzten Tests eindrucksvoll bewiesen. Die Spieler sollten erst einmal laufen lernen, heißt es. Eine Frau erklärt, warum sie bei Sportveranstaltungen sonst nur „Traktor, Traktor“ schreit. Sie liebt Eishockey und ihren Verein aus ihrer Heimatstadt Tscheljabinsk. Fußball? Dort nur eine Nebensache.
Hier, in der Auslage Russlands, ist alles geregelt, unwirklich erscheinen die Geschichten von den berüchtigten Schlägern, die den Ruf des russischen Fußballs in Frankreich bei der EURO 2016 in Grund und Boden geprügelt haben.
Ägyptische und tunesische Anhänger lassen sich feiern und fotografieren, Peruaner schwenken russische Fahnen, ein Argentinier zeigt, was er in den letzten fünf Jahren so getrieben hat. Mit dem Rad gefahren ist er, durch 37 Länder, insgesamt 80.000 Kilometer weit, Zwischenstopp in Moskau. Mitten in der Volksfeststimmung steht ein Mann hinter einem in Weiß-Blau-Rot eingefärbten und beschrifteten Plakat. Der Moskauer Bürgermeister Sergei Semjonowitsch Sobjanin solle sich doch lieber um soziale Wohnungen für Familien kümmern, anstatt die ganze Stadt mit Fliesen zuzupflastern.
Rückkehr in die Realität. Die Ordnungskräfte schauen weg. Gewährleistung der Sicherheit ist schließlich ihr vorrangiger Auftrag.
Dafür hat Russland schon 2014 als Ausrichter der Olympischen Spiele in Sotschi rund zwei Milliarden Euro investiert. Für diese WM wird man tiefer in die Tasche greifen, ein Vielfaches springen lassen. Alleine in Moskau ist die Polizeipräsenz enorm, der Weg in jede Metro-Station führt durch Metalldetektoren. Trotz der astronomisch hohen Ausgaben für die Sicherheit und die Infrastruktur (die Stadien kosten insgesamt rund zehn Milliarden) glauben die Russen an das große Geschäft.
Die WM bietet Werbeflächen. Schließlich sollen die Touristen wiederkommen. Eine Charme-Offensive ist also angesagt. Plötzlich wartet in den Irrgängen der Metro freundlich lächelndes, durch rote Armbinden gekennzeichnetes Personal, welches zur Seite steht, sollten Ausländer an richtungsweisenden Beschriftungen verzweifeln.
Der Haken im System: Sämtliche amerikanischen Marken prägen längst das Outfit der Jugendlichen in Moskau, doch fast alle verbindet die Distanz zur englischen Sprache. Relativ spurlos scheinen auch die von oben angeordneten Kurse an den Polizisten vorübergegangen zu sein. Die Standardantwort auf sämtliche Fragen: „This way.“
Fremde Sprache
Die Rezeptionistin im Hotel, über dessen Eingang nicht sehr viele Sterne funkeln, hält dem nach Information suchenden Gast ihr Smartphone mit dem englisch-russischen Übersetzungsprogramm unter die Nase. Das Mädchen im Café des Luschniki-Stadions schielt hinter ihrem weißen Häubchen auf den Schummelzettel, den sie sich zurechtgelegt hat.
Phrasen für den Ernstfall. Der ist jetzt eingetreten. „Sie dürfen sich den Kuchen selbst aus der Vitrine nehmen“ sagt sie.