Elfmeter: Wie das Runde ins Eckige kommt
Von Peter Karlik
Es hat etwas von einem Duell Mann gegen Mann. Wie im Wilden Westen: elf Meter Entfernung, der Schuss muss sitzen. Die emotionale Anspannung bei einem Elfmeter ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Ein Schuss kann alles verändern.
Bei der WM in Russland gab es in den ersten 48 Spielen 24 Elfmeter. Das ist Rekord. Zuvor lag die Bestmarke bei 18 von den Weltmeisterschaften 1990, 1998 und 2002. Bei der WM 2014 in Brasilien gab es 13 Elfmeter.
Das hat auch mit dem Videobeweis zu tun: Die Referees entscheiden schneller auf Elfmeter, weil sie die Szene mit den TV-Bildern überprüfen können. Meist ist es dann auch ein Foul. Aber die Bilder entlarven auch Selbstfaller wie jenen von Brasiliens Filigran-Techniker Neymar gegen Costa Rica.
Von den 24 Elfmetern wurden in Russland 18 verwandelt. Das entspricht dem Durchschnitt. Interessanter wird es, wenn man sich ansieht, wo der Schütze hinschießen muss, damit er auch trifft. Bei der EURO 2016 in Frankreich wurden alle 36 Tore bei 49 Versuchen (inklusive Elfmeterschießen) dokumentiert und die Erfolgsquote in der Grafik visualisiert. Die Erkenntnis: Wer die Fähigkeit besitzt, sicher das Kreuzeck zu treffen, darf schon jubelnd abdrehen.
Halbhoch und nicht platziert, wie es in Russland Ronaldo und Messi gezeigt haben, führt hingegen zu einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu scheitern. Aus Sicht des Tormannes ist das leicht erklärt: Der Ball braucht zirka 0,4 Sekunden von der Schussabgabe bis zur Torlinie. Das reicht nicht, um die Richtung des Balles zu erkennen. Also entscheiden sich die meisten Torhüter für eine Ecke.
Linkslastige Rechte
Allerdings sind sie offenbar nicht immer gut vorbereitet auf ihre Gegner. In einer Studie der Sporthochschule Köln wurden alle Elfmeterschießen (also nach 120 Minuten) bei Welt- und Europameisterschaften von 1982 bis 2012 analysiert. 73,3 Prozent der 322 Schüsse waren erfolgreich. Rechts schießende Spieler zielen eher in ihr linkes Eck (104 links/87 rechts). Tormänner würden aber ungefähr gleich oft in die linke und die rechte Ecke springen. Bei Linksfüßern gibt es keinen signifikanten Unterschied. Die linke Ecke vom Schützen aus gesehen ist statistisch gesehen auch die sicherere.
Ein entscheidender Faktor ist die Höhe des Schusses: Von 1982 bis 2012 wurde kein Elfer gehalten, der höher als 1,20 Meter geschossen wurde. Allerdings gleicht sich das puncto Erfolgsquote fast wieder aus, weil jeder vierte hohe Schuss an die Stange oder vorbei geht.
Mythos des Gefoulten
Wissenschaftler der Uni Halle-Wittenberg haben in der Deutschen Bundesliga herausgefunden, dass es bei den 102 vom gefoulten Spieler selbst geschossenen Elfern eine Erfolgsquote von 73 Prozent gab. Die nicht gefoulten Schützen trafen zu 75% – kein signifikanter Unterschied. Es ist also ein Mythos, dass der Gefoulte nicht schießen sollte.
Eine weitere Studie hat einen dramatischen Elfmeter-Faktor erbracht: Elfmeter führen zu mehr Herzinfarkten. Das resümierte George Davey Smith von der Uni Bristol 2002. Er fand heraus, dass nach dem Entscheidungsspiel England gegen Argentinien bei der WM 1998 25 Prozent mehr Patienten mit einem Herzanfall ins Spital kamen als an anderen Tagen.
Geschichte: Ein bayrischer Friseur erfand die Entscheidung vom Punkt
Es ist wieder so weit: Die K.-o.-Runde bei einem großen Fußball-Turnier ist auch die Zeit der Nervenduelle vom Elfmeterpunkt. Das Zitterspiel nach 120 Minuten ist die Erfindung eines Deutschen: Der 2011 verstorbene Friseur und Amateur-Schiedsrichter Karl Wald aus dem oberbayrischen Penzberg gilt als Vater des Elfmeterschießens.
Lange Zeit waren die Spiele durch Münzwurf entschieden worden, wenn es nach der Verlängerung noch keine Sieger gab - Zufall statt Leistung. Karl Wald konnte sich nie für diese Regel erwärmen und überlegte, wie diese Situation nur zu ändern wäre.
Am 30. Mai 1970 hat Wald dann auf dem Verbandstag des Bayrischen Fußball-Verbandes seine neumodische Idee eines Elfmeterschießens präsentiert – sehr zum Ärger etlicher Funktionäre. „Meine Kameraden, ich bitte Sie, geben Sie dem Antrag grünes Licht, nach dem Motto, der Erfolg rechtfertigt alles, vielen Dank“, rief Wald schließlich den Delegierten zu, die ihm daraufhin eifrig applaudierten.
Nach eingehender Beratung wurde das Format dann doch beschlossen und in Bayern bereits zur Saison 1970/’71 eingeführt. Bald folgten der Deutsche Fußball-Bund sowie die großen Verbände UEFA und FIFA dem Beispiel. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich Recht hatte“, sagte Karl Wald, der 2011 95-jährig starb.
Bei großen Turnieren verlor Deutschland nur einmal ein Elfmeterschießen – gleich bei der Premiere 1976, im EM-Finale gegen die CSSR.