Deutscher Absturz: Vom Ersten zum Letzten in vier Jahren
In der Hitze von Kasan gingen die Deutschen ein: Das 0:2 gegen Südkorea bedeutete das Aus in der Vorrunde. Ein 1:0 hätte zum Aufstieg ins Achtelfinale gereicht, weil im Parallelspiel in Jekaterinburg Schweden Mexiko mit 3:0 besiegte. Aber die Kicker des Weltmeisters wollten und konnten nicht. Es war Schluss mit lustig in Russland. Auftaktschlappe gegen Mexiko, Zittersieg gegen Schweden, Blamage gegen schwache Südkoreaner. Eine Spurensuche des KURIER nach den Ursachen des Bauchflecks.
Mentalitätsproblem:
Die Bereitschaft habe gefehlt, ortete selbst Teamchef
Joachim Löw. Und das nicht erst bei der WM: Die Deutschen lieferten ihre letzten überzeugenden Spiele im Herbst 2017 ab. Danach waren die Defizite nicht mehr zu übersehen. Beim 1:2 gegen Österreich in Klagenfurt spielte der Weltmeister vor der Pause überheblich und danach mit angezogener Handbremse. Auch der 2:1-Sieg im letzten Test gegen Saudi-Arabien war alles andere als überzeugend.
Körperliche Defizite:
Irgendetwas muss in der Vorbereitung schief gegangen sein: So schwerfällig agierte schon lange keine deutsche Mannschaft mehr bei einem großen Turnier. Die sogenannten Leistungsträger haben eine lange Saison hinter sich, wirkten nicht regeneriert und waren überhaupt nicht spritzig.
Leader hörten auf:
Der Aderlass an Führungsspielern nach dem Titelgewinn 2014 konnte nicht wettgemacht werden. Philipp Lahm, der Kapitän, Miroslav Klose, der Knipser, Bastian Schweinsteiger, der Taktgeber. Sogar Lukas Podolski, der Stimmungsmacher. Sie fehlen an allen Ecken und Enden.
Störgeräusche:
Mesut
und Ilkay Gündogan hatten vor der WM für den großen Aufreger gesorgt, als sie sich gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan in London fotografieren ließen. Vor allem Özil stand bei der WM neben den Schuhen. Sein Einsatz gegen Südkorea war einer der Fehler von Joachim Löw. Auch das Hin und Her um den monatelang verletzten Keeper Manuel Neuer lenkte von Wichtigerem ab.
Festhalten an den Stars:
Es schaute nach Umbau aus, weil nur neun Spieler dabei waren, die sich vor vier Jahren als Weltmeister hatten feiern lassen dürfen. Aber gleich acht von ihnen standen im Auftaktspiel gegen Mexiko in der Startelf. Der Neunte, Matthias Ginter, kam weder in Brasilien noch in
Russland zum Einsatz – übrigens als einziger Feldspieler.
Liga-Sorgen:
Der Großteil der Mannschaft kommt aus der Bundesliga: Neuer, Kimmich, Hummels, Boateng, Hector, Werner, Reus, Rudy, Süle, Brandt und Gomez. Sie alle spielen in einer Liga, in der man nicht einsehen will, dass man den Anschluss an die Topligen Spanien und England verloren hat. Selbst die von Krisen geschüttelte italienische Serie A ist im UEFA-Ranking vorbeigezogen. Zuletzt stand 2013 ein deutscher Klub in einem Europacup-Finale. Nur Bayern gehört zu den absoluten Topteams – bei den Münchnern prägen aber viele Legionäre das Spiel.
Und am Ende gewinnen die Deutschen:
Die alte Fußball-Weisheit fand ihr Ende in Russland. Mannschaft und Betreuerteam zeigten sich zart besaitet. In jüngerer Vergangenheit hat es das noch nie gegeben, dass das Umfeld des WM-Quartiers kritisiert wurde, dass über Hotels und Flüge gejammert wurde. Und dann zuckten noch ein Quartiermeister sowie ein Pressesprecher aus und verhöhnten nach dem knappen und späten Sieg im zweiten Spiel die Schweden.
Ausgeknipst:
Deutschland hat nach dem Abgang von Miroslav Klose keinen Torjäger mehr. In Südafrika und Brasilien sprang Thomas Müller mit je fünf Toren ein. Doch nicht nur der Bayer versagte: Timo Werner stand wie Mario Gomez neben sich. Bei der WM gelangen in drei Gruppenspielen gerade einmal zwei Tore – und überhaupt nur eines fiel aus dem Spiel.
Müder Chef:
Jogi war wohl nicht da. Es war Joachim Löw, der Ältere. Vielleicht braucht es auch auf der Bank einen Neustart, vielleicht kommt der Teamchef – seit 2006 im Amt – zur aktuellen Generation nicht mehr durch. Zwar wurde sein Vertrag längst bis 2022 verlängert. Doch nun wird darüber gesprochen, ob Löw nicht zurücktreten soll. Der 58-Jährige erbat sich Nachdenkzeit. Frei von Schuld ist er nicht: Dem engagierten Brandt ließ er nur die Jokerrolle. Zentrumsspieler Goretzka brachte er rechts. Das sind nur zwei von vielen unverständlichen Personalentscheidungen.
Kurze Bank:
Nach dem Versagen gegen Mexiko setzte Joachim Löw ein Zeichen – und Özil und Khedira auf die Bank. Verstärkter
Konkurrenzkampf wurde die Maßnahme genannt. Aber die Konkurrenz nahm die Chance nicht wahr. Der Teamchef ruderte zurück und stellte die Weltmeister wieder in die Startelf. Und sowohl Özil als auch Khedira ließen gegen die Südkoreaner völlig aus.