Sport/Formel-1

Toto Wolff: "Die Arbeit geht an die Substanz"

Für einen Menschen, dem alle anderen den Kampf angesagt haben, wirkt Toto Wolff entspannt. Der 45-jährige Wiener hat als Teamchef und Mitbesitzer das Formel-1-Team von Mercedes zu drei Weltmeisterschaften nacheinander geführt. Am 26. März beginnt die neue Saison in Australien mit einem komplett veränderten Reglement – und mit dem Ziel, die Silberpfeile endlich einzubremsen.

KURIER: Herr Wolff, ist die Aufregung heuer vor dem ersten Saisonrennen besonders groß?

Toto Wolff:Es ist natürlich viel spannender, als wenn das Reglement stabil bleibt. Ändern sich die Regeln, haben alle die Möglichkeit, sich zu verbessern. Andererseits besteht auch das Risiko, langsamer zu sein.

Ihr Team dürfte auch diesmal um Siege mitfahren, oder täuscht der Testeindruck?

Ganz daneben liegen wir nicht. Aber es ist noch sehr früh in der Saison. Der Red Bull wird noch so viele neue Teile an das Auto stecken bis zum ersten Rennen in Melbourne.

Ist Red Bull der Hauptgegner?

In der Ingenieurabteilung bei Red Bull sitzen schon auch sehr gute Leute, die über alle Ressourcen verfügen, die nötig sind, um ein schnelles Auto zu bauen. Und sie wollen etwas beweisen nach den vergangenen Jahren. Ein ähnliches Potenzial sehe ich auch bei Ferrari.

Wie wichtig ist es, sich von der Konkurrenz nicht ablenken zu lassen? Müssen Sie als Teamchef den Fokus schärfen?

Wir bezeichnen all das, was wir sehen, die vielen Gerüchte im Fahrerlager, als Tratsch. Das sind keine Fakten. Wir nennen das "Noise" (Nebengeräusche, Anmerkung). Das darf keinen Einfluss auf unsere Entwicklung haben.

Wann kann man sich sicher sein, vorne dabei zu sein? Nach drei, vier Saisonrennen?

Nach Abu Dhabi (lacht/ letztes Rennen, Anmerkung). In einem normalen Jahr verbesserst du dein Auto vom ersten bis zum letzten Rennen um rund zwei Sekunden. Heuer mit dem neuen Reglement kann das wesentlich mehr sein. Wie bei jeder großen Reglementänderung bereitet uns derzeit aber ein anderes Thema ein wenig Kopfzerbrechen.

Welches denn?

Wir wollen maximale Leistung und müssen das mit größtmöglicher Haltbarkeit verbinden. Eine knifflige Herausforderung.

Nicht nur das Reglement ändert sich, auch der Besitzer der Formel 1 ist neu. Wie tritt Liberty Media den Teams gegenüber auf?

Interessiert. Sie sind Experten in der amerikanischen Sportindustrie und in Sachen TV-Vermarktung, aber nicht in der Formel 1. Das wissen sie. Deswegen gehen sie offen auf alle Teams zu.

In einer ersten Analyse benannte Liberty einige Problemfelder, der Spielraum zur Veränderung ist demnach groß. Was ist unverrückbar in der Formel 1?

Für mich gibt es ein paar Punkte, die die DNA der Formel 1 ausmachen: Es geht um die schnellsten und spektakulärsten Autos und um die besten Fahrer, die einen Grand Prix am Wochenende fahren. Deswegen ist es wichtig, dass man das Wochenendformat nicht anrührt. Und, ja, auch die Technik spielt eine wesentliche Rolle. Die Formel 1 ist das schnellste Labor der Welt mit den weltbesten Ingenieuren. Das sollten wir nicht aufgeben.

Wo und wie sollte die Formel 1 zu sehen sein?

Ein Großteil der Übertragung sollte frei empfangbar sein. Die Formel 1 sollte nicht hinter eine Bezahlschranke, um nicht zu einem Nischensport zu werden. Wir müssen die Massen erreichen und global denken. Uns plötzlich nur auf die USA zu konzentrieren, wäre falsch. Dort funktioniert der Fernsehmarkt ohnehin anders.

Wie meinen Sie das?

Bezahlfernsehen ist dort Teil der Fernsehkultur. Für die vielen Formel-1-Freaks kann man natürlich zusätzliche Angebote schaffen, die zum Teil hinter einer Bezahlschranke stattfinden.

Liberty hat sofort ein paar Verbote aus der Ecclestone-Ära gelockert, etwa bei der Nutzung der sozialen Netzwerke. Ein wichtiger Schritt?

Du darfst dich dem nicht verschließen – ob es dir gefällt oder nicht. Die Jugend erreichst du nur noch digital. Daher muss die Formel 1 den schwierigen Spagat schaffen und das Produkt so umgestalten, dass alte Zuseher gehalten werden und gleichzeitig neue Formate zur Verfügung gestellt werden, die die Jugend ansprechen.

Mit Weltmeister Nico Rosberg und Technikdirektor Paddy Lowe mussten Sie zwei wichtige Personalien nachbesetzen. Hat das den Winter besonders herausfordernd gemacht?

Die Sache mit Nico hat uns erwischt. Überraschungen sind selten gut für die Planbarkeit. Klar war der Winter dadurch nicht einfach. Aber ein neuer Fahrer eröffnet auch Möglichkeiten. Die Fahrerpaarung mit Hamilton war gegen Ende der Saison alles anderes als einfach.

Ist es nun entspannter?

Ja. Aber exakt nur so lange, bis die beiden das erste Mal um die Wette fahren.

Erstmals seit dem Wiedereinstieg als Werksteam 2010 fährt kein Deutscher für Mercedes. Welche Rolle hat diese Überlegung gespielt?

Für den Konzern spielt es keine großartige Rolle. Aber wir haben eine loyale Fanbasis in Deutschland, deshalb haben wir schon intensiv darüber nachgedacht. Am Ende geht es jedoch darum, die bestmögliche Fahrerpaarung zu stellen. Es wäre falsch, immer nach Marketing-Gesichtspunkten zu handeln.

Aufsichtsratsboss Niki Lauda und Sie haben vorzeitig bis 2020 verlängert. War Ihnen das auch als Zeichen wichtig?

Es spielt für die Mitarbeiter eine Rolle im Sinne der Stabilität. Der Hauptantrieb war, dass wir bis jetzt den Erwartungen von Daimler gerecht geworden sind – und unseren eigenen.

Erkennen Sie nach vier Jahren als Teamchef erste Ermüdungserscheinungen?

Schon. Ich muss mehr auf mich schauen. Das betrifft Körper und Geist. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob das mit der Tätigkeit zu tun hat oder mit dem Alter. Zusätzlich zu den vielen Reisen und den Grand-Prix-Wochenenden habe ich ja auch einen normalen Büroalltag, der jeden Montag um 8 in der Früh in England losgeht. All das geht an die Substanz.