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Denksport Klettern: Mit dem Kopf durch die Wand

In den letzten Tagen vor der WM war Jakob Schubert ganz besonders auf der Hut. Bloß keine unbedachten Aktionen, nur ja im Alltag kein unnötiges Risiko eingehen. Man soll ja den Verletzungsteufel nicht an die Wand malen, aber so ein kleiner Schnitt in den Finger ist beim Kochen schnell passiert. „So etwas wäre verhängnisvoll, das kann dir die WM kosten“, sagt Jakob Schubert. „Die Finger und die Haut der Kletterer sind etwas sehr Kostbares. Das ist ähnlich wie bei einem Klavierspieler.“

Jakob Schubert ist, wenn der Vergleich erlaubt ist, der Virtuose unter den Sportkletterern. Der 27-jährige Tiroler ist für seine Fingerfertigkeit bekannt, wo andere in der Steilwand oft alle Hände voll zu tun haben, bewegt sich Schubert gerne mit spielerischer Leichtigkeit und Eleganz. Nicht von ungefähr ist der Weltmeister von 2012 aktuell die Nummer eins im Lead-Klettern – und damit heute auch der Topfavorit bei der Medaillenjagd in Innsbruck (13 Uhr Semifinale, 19 Uhr Finale, jeweils live ORF Sport+).

Der Lokalmatador weiß, was bei der Heim-Weltmeisterschaft von ihm erwartet wird. Und er setzt sich auch selbst die Latte sehr hoch. „Das ist der wichtigste Wettkampf, den ich in meiner Karriere geklettert bin. Das große Ziel kann nur die Goldmedaille sein“, sagt Schubert.

Erfahrung

Auf dem Weg zum Gipfelsturm kann sich der Innsbrucker nicht nur auf seine Trittsicherheit und das Fingerspitzengefühl verlassen, im Extrembereich wird vor allem sein Erfahrungsschatz zum großen Trumpf. Elf Saisonen kraxelt Schubert nun bereits im Weltcup, er weiß, was ihn erwartet und kann kaum einmal von einem Routenbauer auf dem falschen Fuß erwischt werden. „Meine Erfahrung ist da sehr hilfreich. Ich kenne die Situationen, die auf mich zukommen können und kann heute auch mit dem Druck sehr gut umgehen“, erklärt der Tiroler. „Und wenn du so lange wie ich dabei bist, dann liest du auch die Routen viel leichter.“

Diese Eigenschaften sind genauso wichtig wie die körperliche Fitness oder die Klettertechnik. Wer hoch hinaus will, der muss mit dem Kopf durch die Wand – denn das Klettern ist auch ein Denksport. Die große Herausforderung besteht für die Kletterer darin, schon bei der Besichtigung vor dem Bewerb die Route und die Griffe richtig zu bewerten, um dann in der Wand nicht vor unlösbare Aufgaben gestellt zu werden. „Du legst dir vorher im Kopf einen Plan zurecht, wie du durchsteigen willst“, erzählt Jakob Schubert, „aber nicht immer geht das auf.“

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Improvisationskunst

Denn auch der beste Plan muss mitunter über den Haufen geworfen werden, weil sich ein Griff dann plötzlich ganz anders präsentiert als ursprünglich gedacht. „Im Lead geht’s auch viel ums Improvisieren. Du bist ständig nur dabei, Lösungen zu suchen“, meint Jakob Schubert. Dass die Kletterer den Konkurrenten nicht auf die Beine und Hände schauen können, kommt dabei erschwerend hinzu. Bis zu ihrem Einsatz sind die Athleten isoliert und haben auch keinen Kontakt zu den Trainern. „An der Reaktion des Publikums kannst du hören, ob ein Kletterer ganz hinauf gekommen ist“, erzählt der HSZ-Athlet.

Selbstvertrauen

In der Qualifikation am Freitag war ein Raunen durchs Publikum gegangen, nachdem sich Schubert einen Fehler geleistet hatte und sich mit Rang 17 begnügen musste. „Eine Heim-WM ist speziell. Klar will man da alles noch besser machen, wenn so viele Freunde im Publikum sitzen“, meint der Österreicher.

Jakob Schubert will sich durch das Missgeschick nicht aus dem Tritt bringen lassen. „Es hilft mir, dass ich schon Weltmeister bin. Und wenn ich das abrufe, was ich drauf habe, ist die Wahrscheinlichkeit einer Medaille sehr hoch.“