David Lama: "Wenn mir was passiert, holt mich keiner runter"
Von Christoph Geiler
Mit dem Begriff Scheitern hat David Lama so seine Probleme. Ist es ein Scheitern, wenn er 300 Meter unterhalb des Gipfels kehrtmacht? Ist Umdrehen wirklich ein Zeichen von Schwäche? „Ich will diesen Gipfel erreichen. Wenn ich’s nicht schaffe, bin ich in gewisser Weise gescheitert. Aber was habe ich davon, wenn ich nur raufkomme“, fragt Lama. „Das Wichtigste ist doch, dass ich es auch wieder runter schaffe. Mir ist klar, dass der Berg der Stärkere ist.“
Der Gipfel, der David Lama Berge gibt, ist der Lunag Ri im Grenzgebiet zwischen Nepal und Tibet. Es ist nicht sicher, ob der Lunag Ri 6895 oder nicht doch 6907 Meter hoch ist, was aber unbestritten ist: Bis heute hat noch kein Mensch einen Fuß auf den Gipfel gesetzt. „Mir kann das gelingen“, sagt Lama.
Vierter Versuch
Der 28-Jährige unternimmt schon den vierten Anlauf, um den Lunag Ri zu bezwingen. Als er 2015 mit dem US-Bergsteiger Conrad Anker den ersten Versuch wagte, wurden beide von den anspruchsvollen Kletterpassagen überrascht. Ein Jahr später musste das Duo umkehren, nachdem Anker in 6000 Metern Höhe einen Herzinfarkt erlitten hatte. Lama versuchte es wenig später im Alleingang, kam allerdings nur bis 300 Meter unter den Gipfel.
Diesen Monat soll es für den Tiroler endlich mit dem Gipfelsturm klappen. Dabei versucht Lama erneut solo sein Glück. „Zu zweit wäre es sicher leichter. Aber so fühlt es sich für mich richtiger an.“
Ohne Sicherung
Was sich für David Lama richtig anfühlt, muss sich für jeden Ottonormalbergsteiger wie der blanke Wahnsinn anhören. Wer eine Expedition wie diese im Alleingang wagt, der setzt sich noch höheren Risiken aus, als sie die Natur in dieser Region und Höhenlage ohnehin bereithält.
Weil David Lama der Kletterpartner fehlt, wird er meist seilfrei gehen, also ohne jegliche Absicherung. Nur an den schwierigsten Stellen will er auf die Selbstsicherung zurückgreifen. „Das geht so: Du hinterlässt irgendwo eine Sicherung und fixierst ein Ende vom Seil. Dann kraxelst du hinauf und fixierst das andere Ende vom Seil. Dann kletterst du wieder runter und holst das Seil rauf. Und so weiter. Das ist sicherer, heißt aber auch, dass du den Berg quasi doppelt besteigst. Diese Zeit habe ich einfach nicht“, erklärt Lama. „In dieser Höhe ist jeder Tag länger eine enorme Belastung.“
Leichtes Gepäck
"Dort oben musst du einen kühlen Kopf bewahren und deine Emotionen ausschalten.“
Lama hat für den Aufstieg dreieinhalb Tage eingeplant, der Abstieg sollte an einem Tag möglich sein. Weil das Klettern mit schwerem Gepäck viel schwieriger ist, nimmt der Tiroler nur das Nötigste mit. In seinem Zehn-Kilo-Rucksack ist nur Platz für ein Zelt, zwei Seile, ein Erste-Hilfe-Paket, einen Kocher zum Schneeschmelzen und Zubereiten der Suppen, „und etwas Speck, Käse und Schüttelbrot. Weil mir das in der Höhe schmeckt.“
Für nützliche Dinge wie Klopapier oder ein Satellitentelefon bleibt im Rucksack kein Platz. „Zu schwer“, sagt Lama, der im Notfall per Funk Kontakt mit dem Basecamp aufnehmen kann. Doch wenn wirklich etwas schiefgehen sollte, nutzt auch das Funkgerät wenig. „Du bist dort oben auf dich allein gestellt. Wenn etwas passiert, dann kommt keiner rauf und holt dich“, ist sich Lama bewusst. „Wenn du es nicht schaffst, selbst runter zu kommen, bleibst du oben.“
Harakiri mit Anlauf?
Keineswegs, findet Lama. Er habe alles unternommen, um die Erstbesteigung des Lunag Ri so gefahrlos wie möglich zu gestalten. „Es gibt am Berg genug Unwägbarkeiten. Ich will nicht auch noch vom Glück abhängig sein. Zumindest die Sachen, die man selbst in der Hand hat, sollte man perfekt planen und durchspielen.“
Exitstrategie
Dazu gehört auch eine Exit-Strategie. „Es ist extrem wichtig, dass man sich immer auch vor Augen hält, was alles passieren kann. Ab einem gewissen Punkt darf man nicht am Ziel festhalten, dann geht es nur noch ums Überleben und ums Runterkommen.“
Als er 2017 umgekehrt war, hatte sich sein Kopf gegen die Emotionen durchgesetzt. Möglicherweise hätte es David Lama damals ganz auf den Lunag Ri geschafft, aber die Gefahr wäre zu groß gewesen, dass er das Tal nicht mehr heil erreicht hätte. „Man muss vorausschauend handeln. Ich kann nicht bis fünf Minuten vor dem Schneesturm klettern und dann sagen: ,Hubschrauber, bitte hol mich ab‘“, sagt Lama. „Mit dem Kopf durch die Wand geht’s nicht.“
Die Devise muss vielmehr heißen: Mit Köpfchen durch die Wand. „Du musst die Emotionen ausschalten und klaren Kopf bewahren“, sagt Lama. So aufregend die Erstbesteigung ist, so einzigartig die Erfahrung im Grenzbereich sein mögen. „Der Alpinismus ist kein Spiel.“