Spieltrieb

In Würde gealtert: Warum "Agricola" auch nach 15 Jahren eine Partie wert ist

Ob ein Spiel daheim im Spieleregal seinen fixen Platz erhält, sagt viel aus über seine Qualitäten. Agricola steht seit Jahren an gut erreichbarer Stelle. Griffbereit. Die Box kommt bis heute regelmäßig zum Einsatz – und das nicht nur aus Nostalgie.

Der Kennerspiel-Klassiker feiert dieser Tage sein 15-Jahr-Jubiläum – und ist ausnehmend gut gealtert. (Nicht alle seiner Zeitgenossen können das von sich behaupten.) Dass dem so ist, hat seine Gründe.

Die erste Inspiration zu Agricola kam Uwe Rosenberg – einer jener Autoren, die das Präfix Kult- zu Recht trägt – bereits zwei Jahre, bevor das Spiel das Licht der Welt erblicken sollte. Eine Robinsonade sollte es ursprünglich werden, erinnert er sich an lässlich des Jubiläums. Ein Abenteuerspiel im Sinn und Stil von Robinson Crusoe also.

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Rosenberg verwarf die Idee – aus unerwartetem Grund, aber dazu später mehr – und siedelte sein Spiel lieber in der Zeit um 1670 an: „Die große Pest war vorüber, die Landwirtschaft lag am Boden“, sagt der Autor. „Es gab jedoch schon viele Erfindungen, auf die man zurückgreifen konnte.“ Wichtig für die Spielmechanik. Maßgeblich inspiriert habe ihn zudem das Spiel Caylus, das kurz zuvor in einem kleinen französischen Verlag erschienen war.

Auf einem Tisch von gerade mal fünf mal zwei Metern präsentierte man Agricola 2007 auf der Messe in Essen – ein Jahr später war es mit Preisen überhäuft. Deutscher Spielepreis, Spiel der Spiele, International Gamers Award.

Agricola (Lookout Spiele)

  • Die Daten: Für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren, Dauer: rund 90 Minuten
  • Mechanik: klassisches Worker Placement
  • Schwierigkeitsgrad: Kennerspiel, auch für Einsteiger geeignet
  • Richtet sich an: Freunde und Familie
  • Mehrfach ausgezeichnet, auch von der Jury des "Spiel des Jahres"

Von der Jury des „Spiel des Jahres“ erhielt Agricola den – wie es damals hieß – „Sonderpreis Komplexes Spiel“. Das sagt viel über die Entwicklung der Branche. Erst seit 2011 wird das „Kennerspiel“ als eigene Kategorie geführt. Agricola darf sich (gemeinsam mit vielen anderen) als Wegbereiter fühlen.

Das Spielkonzept

Das Thema und die Mechanik (beide greifen – das ist immer ein Qualitätsmerkmal – gut ineinander) fanden ihr Publikum: Die Spieler schlüpfen in die Rolle der (namensgebenden) Bauern und müssen über mehrere Runden hinweg ihre Landwirtschaft zum Gedeihen bringen. Es wird Ackerbau betrieben, Tiere werden gezüchtet, das Haus wird ausgebaut. Anschaffungen und eine Vielzahl an möglichen Arbeitern steigern den Ertrag.

All das, um die wachsende Familie zu ernähren. (Dass es im Spiel Nachwuchs geben soll, war eines von Rosenbergs zentralen Motiven. Ja, deshalb entschied er sich gegen Robinson und Freitag.)

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Agricola ist – und das ist einer der Gründe für seinen Erfolg – eine Aufbausimulation im besten Sinne des Wortes. Hier wird errichtet, gezüchtet, geerntet, gezeugt – nicht zerstört. Das bereitet Freude, wissen Spieleforscher. Das Thema ist emotional, es ermöglicht Identifikation. Bis heute.

Dass es auch für Rosenberg, der zuvor schon mit Bohnanza einen Erfolg feiern durfte, jenes Spiel war, mit dem er „meine Familie ernähren konnte“, ist eine schöne Anekdote am Rande.

Lob gebührt der Spielmechanik. Agricola ist ein Worker-Placement-Spiel in Reinform. Die Spieler wetteifern mit ihren Familienmitgliedern jede Runde um eine begrenzte Zahl an Aktionen, die es strategisch klug zu besetzen gilt. Mehr nicht. Würde man das heute noch so designen? Nein, sicher nicht. Ist es heute noch gut spielbar? Ja, mehr als das.

Agricola ist in seinen Regeln schnörkellos, ohne dabei simpel zu sein. Ein Kennerspiel, bei dem die Komplexität kein Selbstzweck ist. Das ist (auch) die Gnade der frühen Geburt. Die Konkurrenz war nicht so unüberblickbar wie heute. Um auf sich aufmerksam zu machen, brauchte es keinen Mechaniken-Mix, keine diffuse Rundenstruktur.

Das macht das Spiel heute sogar zu einer Art „Gateway Game“, das Jüngeren den Weg in die Expertenspielwelt weist. Hier lässt sich das so beliebte Worker-Placement hervorragend erfassen.

Nicht allzu ernst

Der Erfolg nahm 2007 also seinen Lauf. Auf der Plattform „Boardgamegeek“ löste es Puerto Rico (Stichwort: schlecht gealtert – aber dazu nächstes Mal mehr) als bestbewertetes Spiel ab.

Der deutsche „Lookout“-Verlag reagierte – und entwickelte das Spiel mit Rosenberg, dem Grazer Illustrator Klemens Franz und der Community weiter. Das Spielmaterial wurde verbessert. Die Schafe etwa waren anfangs bloß Holzwürfel, erst später wurden sie zu „Sheeples“, also Figuren im Schafsdesign.

Auch bei den Erweiterungen machte man viel richtig. Agricola blieb sich in Thema und Mechanik treu, ohne sich zu ernst zu nehmen. Dass in der X-Deck-Erweiterung Außerirdische den Hof unsicher machen dürfen, ist nur ein Beweis dafür.

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Agricola ist in 18 Sprachen übersetzt, rund 500.000 Exemplare sind verkauft. Plastischer ausgedrückt: Neun Millionen Schaf-Meeples wurden produziert, die 30 Millionen kleiner Holzzäune ergäben aneinandergereiht eine Strecke von 1.160 Kilometern.

Die neue Big Box

Als bedürfte es eines Beweises, hat der „Lookout“-Verlag im Oktober zum Jubiläum eine Big Box herausgegeben, bei der einem Augen und Herz übergehen. 3,8 Kilo ist sie schwer; zwei Spieleschachteln stecken geschickt ineinander, um das Grundspiel und das Bonus-Material zu fassen.

430 Karten aus teils legendären Erweiterungen sind inkludiert, aber freilich auch Neuzugänge. Für die knapp 300 Holzteile hält die Box Aufbewahrungsfächer bereit. Dabei sind auch die einst vergriffenen individuellen Hofpläne in mehreren Designs. (Und noch mehr.)

Lohnt sich das? Ja, für Aficionados jedenfalls. Aber auch für Einsteiger, die sich endlich an Agricola heranwagen wollen. Versprochen: Auch diese Box wird lange ihren Fixplatz im Regal haben.

Ad multos annos!