Leben/Reise

Zu Besuch bei Onkel Ho

Vierzig Jahre Schauspielerleben, zehn Jahre davon als Theaterdirektor. Das reicht. Ein neues Leben muss her. Und wie! Aber so dramatisch hat es sich Michael Schottenberg wohl nicht vorgestellt. Auf Sitzplatz 58C einer Boeing 747 der Vietnam Airlines landet er an einem 26. August nach elfstündigem Flug in Hanoi. Nicht nur, dass er davon keine einzige Sekunde geschlafen hat, übermannt ihn sofort nach der Ankunft der neue, der fremde Alltag.

Es ist inzwischen acht Uhr Früh. Meine Kleider kleben an mir wie die Frischhaltefolie an einer Weihnachtsgans. Ich habe seit mehr als achtundvierzig Stunden kein Auge zugedrückt. Ich stehe mutterseelenallein, umringt von einer Hundertschaft mir zunickender Menschen auf einer Durchzugsstraße in einem dieser Moloche Südostasiens, notiert „Schotti“ in sein Reisetagebuch.

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"Mein neues Leben"
Und weiter:So fühlt es sich also an, mein neues Leben. Ich bin angekommen. Ist das das Zentrum von Hanoi, einer Stadt mit geschätzten acht Millionen Einwohnern? Die Armada von Mopedfahrern beginnt mich zu bedrängen. Ich verstehe ,Taxi’. Ich wehre ab. Wie in aller Welt soll ich mit meinem riesigen Gepäck auf einem dieser als Moped getarnten Rosthaufen, dazu noch auf einem Gepäckträger, Platz nehmen? Und: Wie sollte sich einer dieser armen Teufel mit einem weißhäutigen, schwitzenden Touristen unfallfrei durch den Verkehr quälen?

"Von der Bühne in die Welt"
Die Antwort vorweg: Die Reise, besser Expedition, verlief ziemlich gut, sogar ohne gröbere Blessuren. Nur einmal war es so knapp, dass der 65-jährige Kulturmensch den Abdruck eines gegnerischen Mopedreifens als unfreiwilliges Souvenir auf seinem Bein davontrug. Macht nichts, wisch und weg. Wichtiger ist, dass die fünf Wochen Vietnam in ihm so viele Eindrücke hinterließen, dass er darüber eine neue Aufgabe fand: "Von der Bühne in die Welt. Unterwegs in Vietnam" (Amalthea Verlag) ist das erste Reisebuch des ehemaligen Theatermachers, weitere sollen folgen. Wie das, Herr Schottenberg? "Ich habe mich ein Leben lang mit dem Reisen beschäftigt", erzählt er braun gebrannt und herrlich entspannt im Café Engländer in der Wiener Postgasse.

"Die Bühne ist letztlich immer ein Abenteuer mit unbekanntem Ziel, jede Inszenierung ist eine Reise ins Ungewisse. Man kennt den Anfangspunkt, aber weiß nicht genau, ob man ankommt" Und weiter: "Man weiß, dass jede Reise einen auch mit sich selbst konfrontiert. Eine Fahrt zu sich und zu seinen Gedanken ist. Das wollte ich"

Warum Vietnam?
Aber warum ausgerechnet Vietnam? In Asien war Schottenberg schon mehrmals gewesen, in dieser Ecke eben noch nie. Aber warum zur Regenzeit? So ziemlich jeder Reiseführer verheißt die optimale Reisezeit für Vietnam zwischen November und Mai. "Schotti" jedoch zog es offenbar genau dann in die Fremde, als es wie aus Schaffeln schüttete. Denn, ganz einfach: "Da erlebt man mehr. Für die Geschichten, die ich aufsammelte, war es jedenfalls sehr gut."

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Der Neo-Schriftsteller nimmt einen ungeniert mit in ein Hotel, das sich über Nacht in eine Moped-Garage verwandelt; in Restaurants, in denen es kreucht und fleucht wie in einem Mix aus Terrarium und Aquarium sowie auf einen 14-Stunden-Eisenbahn-Trip, bei dem er wie eine Sardine in der Büchse zwischen Einheimischen, Hendln und anderen Touristen eingezwängt war.

"Schotti" als Reiseführer
„Schotti“ als Reiseführer ist ein Garant dafür, dass man sich bei seinen Schilderungen mittendrin fühlt statt nur dabei. Berührungsängste darf man dabei freilich eher wenige haben. In einem der zahlreichen Restaurants bestelle ich Garnelen und Jakobsmuscheln. An den Ständen stehen große Bottiche und Aquarien, in denen Schlangen, Muränen, Tintenfische und Kraken schwimmen und auf Erlösung hoffen. In Vietnam wird nichts bestellt, was nicht mehr lebt.

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Autor ist hart im Nehmen
Statt mit Wellness-Suiten in Luxushotels macht man Bekanntschaft mit Hotelzimmern, die ganz selbstverständlich mit Küchenschaben geteilt werden. „Es ist schon auch eine Konfrontation mit dem Hässlichen“, warnt der spätberufene Reiseprofi nicht ohne Augenzwinkern. Unser Glück: Der Autor ist hart im Nehmen. Immer schon gewesen. Sonst wäre er ja auch nicht auf die Idee gekommen, zur Monsunzeit zu reisen. Obwohl: Erst als am zweiten Tag nach seiner Ankunft eine düstere Wasserfront „die Stadt außer Gefecht setzt“, kommt ihm etwas in den Sinn: Ich habe diese Reise gebucht, ohne darauf zu achten, dass derzeit Regenzeit ist.

"Bia" beherrscht er flüssig

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Immer wieder blitzt der Humor des echten Wieners durch, etwa wenn es um die nicht ganz leichte Verständigung mit der asiatischen Bevölkerung geht: Ich sitze in einem kleinen Straßenlokal, Ecke Duong Yen Phu und Hoe Nhoi, im Nordosten von Hanoi und genieße ein kühles ,Bia Saigon’. Mein Vietnamesisch ist schon recht gut. ,Bia’ beherrsche ich flüssig.


Tage später hätte er ein paar Brocken Vietnamesisch gut vertragen können. Schottenberg beim Mittagessen: Nach dem dritten Kellner kommt der Englisch sprechende Sohn des Hauses. Ich bestelle ,Water’. Er nickt und verschwindet. Ich sehe ihn über die Straße laufen. Gleich darauf ist er zurück und stellt ein lauwarmes Red Bull auf den Tisch. Respekt an Herrn Mateschitz: Seine Limonade ist als Grundnahrungsmittel angekommen.

Eine Herrenreise

Als Urlaubsreise, bei der „man sich hinlegt und ausrastet“, war das asiatische Abenteuer von Anfang an nicht angelegt. Eher als Tour de Force. Der Autor war nicht zufällig solo unterwegs. Mit großem Rucksack, kleiner Garderobe, Kamera, einem dicken Bündel Bargeld in Landeswährung (Vietnamesische Dong) und hohen Erwartungen.

Schottenberg selbst hat dafür die nette Umschreibung „Herrenreise“ parat. Die Erfahrung macht sicher: „In Kontakt mit der Bevölkerung zu kommen, klappt besser, wenn man sich ohne Begleitung aufmacht.“

Der Wiederholungstäter

Ganz alleine fühlte er sich in diesen fünf Wochen dennoch nicht. „Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch“, erklärt Schottenberg. Und überlegt dann laut: „Ich war eigentlich noch nie fünf Wochen allein. Dann auf einmal niemanden um mich zu haben, war eine völlig neue Erfahrung. Gerade auf Reisen kann es sehr einsam werden, denn wer etwas erlebt, will ja auch andere daran teilhaben lassen.“ Die Lösung dieses Dilemmas lag in einem Notizheft der Wiener Festwochen mit dem auffordernden Titel „Vermehrt Schönes!“, das er mitgenommen hatte, „für den Fall, dass ich mir etwas aufschreibe."

Mehr noch. Schottenberg wurde zum Wiederholungstäter. „Ich dachte, ich schreibe einfach weiter, bevor ich es vergesse. Dann habe ich angefangen, mit meinem ,Schatz’ einen Dialog zu führen. Durch dieses immerwährende quasi Tagebuchnotieren befand ich mich nie alleine in diesen fünf Wochen.“ Aus dem Dialog mit der „Freundin“ soll künftig auch ein Dialog mit den Lesern werden. Denn nach Erscheinen seines Reisebuches „Von der Bühne in die Welt“ am 21. September startet „Schotti“ eine Lesereise durch Wiener Volkshochschulen und Büchereien, bei der er nicht alleine dieses Werk vorstellen wird, sondern den Zuhörern auch Mut machen will. Mut für einen etwaigen Umstieg. Und Mut, vielleicht etwas Neues zu wagen. „Ich habe vierzig Jahre lang etwas mit großem Vergnügen gemacht“, wiederholt er, „es aber auch mit großem Vergnügen hinter mir gelassen. Und dieser Schritt hat mit Mut zu tun."

Konfuzius geht immer

Von Zeit zu Zeit will man, soll man, muss man etwas riskieren. Etwas Neues. Oder wie der Eigenbrötler und Philosoph „Schotti“ in seinem Reisetagebuch auf einen seiner „Lehrer“ verweist: Wer ständig glücklich sein möchte, muss sich oft verändern (Konfuzius).

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Sagt’s und hat es schon vorgelebt. Denn es soll nicht bei diesem einen Buch bleiben. Einen Nachfolger hat er bereits abgeschlossen. „Wieder eine Herrenreise“, gibt er Auskunft. „Diesmal war es eine auf einem Frachtschiff.“ Schottenberg, selbst ernannter „Schiffsfreak“, war drei Wochen auf der Route Hamburg/Brunsbüttel-Schweden-England-Belgien-Hamburg unterwegs. „Einmal habe ich das 100-Meter-Schiff sogar gesteuert“, macht er Appetit auf die Lektüre. Das noch unverfasste dritte Buch handelt dann wieder von Asien, konkret Burma. Für beide Bücher verspricht er bessere Fotos, denn einen „richtigen Apparat“ hat er sich erst nach seinem Debüt als Reisechronist zugelegt.

Das Buch

Michael Schottenberg,

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"Von der Bühne in die Welt -

Unterwegs in Vietnam" (Amalthea)

208 Seiten mit vielen Fotos

Lesereise „Von der Bühne in die Welt“
21.9. Buchhandlung Thalia Wien-Mitte
2.10. VHS Urania, jew. 19h