Leben/Reise

Wien & die Städte der Zukunft

Fliegende Häuser, transportable Mini-Wolkenkratzer, schwimmende Städte, die ihre Energie aus den Gezeiten, dem ewigen Auf und Ab der Meere gewinnen. So kühne wie spannende Studien herausragender Architekten lassen uns davon träumen, was die Zukunft bringen wird. Einmal. Irgendwann.Die Prognosen für das Jahr 2030 sind dagegen relativ nüchtern: Wien, auch heute immerhin die siebtgrößte Stadt der EU, wird dann gut zwei Millionen Einwohner haben.

Rechnet man den Großraum Wien dazu, kommt man auf etwa drei Millionen. Das bedeutet in erster Linie: jede Menge Arbeit für Stadt- und Raumplaner. Und die Zukunft dürfte dabei wesentlich weniger spektakulär werden, als wir es uns vorstellen. Dafür allerdings schöner. Lebenswerter. Städtischer.

Wien

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Wer Wien das letzte Mal vor 20 Jahren gesehen hat und sich der Stadt heute von Süden her nähert oder mit einem Boot an der Alten Donau rumschippert, wird seinen Augen nicht trauen. Denn er sieht doch tatsächlich die Skyline einer Stadt, wie man sich gemeinhin eben eine Großstadt vorstellt. „Er sieht ein paar Hochhäuser“, schränkt Rudolf Scheuvens, Dekan der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der TU, ein. Und die, so der Professor, seien nicht unbedingt das, was eine Stadt ausmache. Wichtiger ist für ihn das Vorhandensein bzw. Entstehen lebenswerter Stadtquartiere – die dem Betrachter nicht notwendigerweise sofort ins Auge stechen müssen. „Natürlich wird es auch in Wien weiteres Höhenwachstum geben, davon kann man ausgehen“, so Scheuvens.

Es geht darum, Räume zu schaffen

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Aber in erster Linie gehe es darum, Räume zu schaffen. „Zwei Millionen Menschen klingt verglichen mit den Megacities dieser Welt überschaubar“, sagt Scheuvens, „aber das sind immerhin 300.000 mehr als heute – und das ist kein Pappenstiel.“ Vor allem, da Wien nach dem 2-Millionen-Hoch des Jahres 1915 praktisch das gesamte 20. Jahrhundert langsam aber beständig geschrumpft ist. Wir haben also kaum Routine, wenn's darum geht, zu wachsen. Neue Menschen wollen untergebracht werden. Viele, die schon hier sind, wollen sich verändern. Die Hochhäuser, die wir so gerne mit Großstadt assoziieren, werden die wenigsten von ihnen beherbergen. Das geht nur durch die von Scheuvens angesprochenen Stadtquartiere, wie das große Wiener Vorzeigeprojekt, die „Seestadt Aspern“, mit 20.000 prognostizierten Bewohnern und einer Größe von 240 Hektar eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas.

Hier werden nach einem in jahrelanger Arbeit erstellten Masterplan die Rahmenbedingungen gestellt, für das, was einmal Stadt werden soll. Moderne, aber nie überdimensionierte Stadthäuser, architektonisch vielfältig, kein vervielfältigtes Reißbretthaus. Jede Menge öffentlicher Plätze, sie machen die Hälfte des Areals aus als Meeting-Points und städtische Kommunikationsplattformen, Geschäfte, Lokale und andere Nahversorgungseinrichtungen, soziale Infrastruktur, öffentliche Verkehrsmittel und Wohn- und Arbeitsquartiere, alles zu Fuß erreichbar. Das Musterbeispiel einer „Smart City“, einer klugen Stadt (siehe „Kluge Städte...“) in der Stadt, die selbst auch immer smarter wird. „Der Anspruch der Menschen, was eine Stadt alles können muss, wächst“, sagt Rudolf Scheuvens.

Wir erinnern uns an die 70er Jahre

Die Zeiten, in denen es reichte, Wohnsiedlungen für möglichst viele Menschen zu bauen, sind vorbei. Wir erinnern uns an die 1970er-Jahre: Hübsche Reihenhäuschensiedlungen und Mega-Wohnkomplexe am Stadtrand, zum Einkaufen muss man mit dem Auto in einen Supermarkt an einer Kreuzung im Nirgendwo, die Kinder fährt man jeden Tag geduldig mit dem Auto in die Schule und zum Sportverein, und zum Arbeitsplatz ist man selbst auch gleich eine Stunde unterwegs. In den Städten von morgen soll dies endgültig ein Ding von vorgestern sein. Denn auch wenn wir dieses Bild aus Tausenden US-TV-Serien kennen, widerspricht es allem, was nach heutigem Verständnis Urbanität ausmacht.

Da der Anreiz, in einer Stadt zu wohnen, doch eigentlich darin besteht, alles, was man zum täglichen Leben braucht, was einem Spaß macht und einen entspannt, in unmittelbarer Nähe zu haben. „Wir versuchen heute, ein Konzept der ,kurzen Wege' in so vielen Aspekten wie möglich zu verwirklichen“, erklärt Rudolf Scheuvens.Apropos kurze Wege: Von der Seestadt wird man mit der U-Bahn in gut 20 Minuten im Zentrum Wiens sein. Und in nur 28 Minuten per Intercity in Bratislava. Das ergibt im Jahr 2030 einen Ballungsraum von etwa 3,7 Millionen Einwohnern.

„Die Agglomeration Wien-Bratislava ist jetzt schon Realität“, sagt Scheuvens. „Wichtig wird die verstärkte Kooperation über die Sprachbarrieren hinweg sein, in allen Aspekten: Arbeitsplätze, Kultur, Raumerschließung. Um sich in Europa zu positionieren.“Stadtteilplanung statt Wohnraumplanung ist heute gefragt, da wie dort – und das Konzept ist mehr als vielversprechend. Ich wiederum hab bis dahin vielleicht genug von Städten. Und lebe in einem fliegenden Häuschen. Oder einem, das schwimmen kann. Die Zukunft wird's zeigen.