Wie die Schiffe der Zukunft aussehen: Natur unter Glaskuppeln
Er gestaltet die Zukunft auf hoher See entscheidend mit: Stararchitekt Dieter Brell ist Gründer des deutschen Architekturbüros 3deluxe und designt Schiffe für Weltmarktführer wie TUI Cruises, Silversea oder Royal Caribbean Cruises. Seine neuen Kreuzfahrt- und Expeditionsschiffe werden Tausende Passagiere befördern.
KURIER: Auf Luxus-Kreuzfahrten gibt es heute mindestens 30 Quadratmeter große Kabinen für die Passagiere. Werden Urlauber in Zukunft auf noch größere Räumlichkeiten treffen – wird es noch bombastischer?
Dieter Brell: Nicht unbedingt. Die Diversifizierung wird bei Kreuzfahrtschiffen immer wichtiger. Neben zahlungskräftigen Kunden werden zukünftig immer stärker auch jüngere Zielgruppen angesprochen, die weniger Geld ausgeben möchten. Den klassischen Kunden – das Pärchen oder die Kleinfamilie – gibt es immer weniger. Es wird Bereiche geben, die modernes Hostel-Niveau haben – wo junge Leute gemeinsam feiern und kleine Schlafkojen haben. Auch alleine zu reisen, wird ein Thema. Auf der anderen Seite gibt es die Patchworkfamilien, die vielleicht mehr Platz beanspruchen.
Wie kann sich ein Urlauber Kreuzfahrten in zehn Jahren an einem konkreten Beispiel vorstellen?
Angedacht ist beispielsweise ein Green House. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie haben an Bord einen Park mit Garten und Bäumen unter einer Glaskuppel, mit Hängematten, Baumhäusern und Wasserspielen. Ein grünes Paradies, wo auch Gemüse angebaut wird. Workshops werden angeboten, bei denen die gemeinsame Ernte abends frisch zubereitet wird. Anschließend gehen Sie in den illuminierten Freiluftpool eine Runde schwimmen und schauen in die Sterne.
Im Prinzip sind das alles Dinge, die Sie womöglich auch an Land machen könnten. Aber ich glaube, durch die Konzentration unterschiedlicher Erlebnisse auf einem überschaubar großen Ort, der dann auch noch auf dem Ozean unterwegs ist, macht es die Sache wirklich speziell und besonders.
Generell wird der Kontakt zur Natur eine wichtige Rolle spielen. Früher hat man sich vom Meer abgeschottet, weil es als Bedrohung wahrgenommen wurde. Es gab nur kleine Bullaugen. Heute sind die Kabinen von links bis rechts verglast, haben Balkon.
Reedereien rühmen sich immer öfter mit namhaften Designern, die sie für ihre Kreuzfahrtschiffe gewinnen können. Früher war das kein Thema.
Die Branche boomt, der Wettbewerb wird größer – da will man die besten Köpfe haben, um sich zeitgemäß weiterzuentwickeln. Lange Zeit hat der frische Input in der Branche gefehlt. Deshalb hat man sich auch an uns gewandt. Weil sich in der Innenarchitektur an Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel interessantes Know-how entwickelt hat. Die Branche holt jetzt enorm auf und könnte sogar bald Vorbild für Resorts an Land sein.
Beinahe die Hälfte der Touristenschiffe, die 2019 in See stechen, sind Expeditionsschiffe. Sie selbst haben gerade die neue Celebrity Flora entworfen. Geht der Trend zu Expeditionsreisen?
Es gibt tatsächlich sehr viele interessierte Menschen, die gerne auf die Galapagos Inseln oder in die Antarktis fahren würden, aber bislang nur eine relativ kleine Anzahl an Expeditionsschiffen. Das wird sich auch in Zukunft nicht grundlegend ändern. Daher sind die wenigen Angebote relativ teuer.
Auf den Galapagos Inseln zum Beispiel gibt es zum Schutz der Natur nur für wenige Expeditionsschiffe Lizenzen zum Aufenthalt. Die von uns entworfene „Celebrity Flora“ ist speziell für die Galapagos Inseln konzipiert: Sie soll nicht an Land anlegen und ist auch dementsprechend konstruiert. Man kann nur mit kleinen Schlauchbooten ausgewählte Küstenabschnitte erkunden. Hier gilt es die Balance zu finden, den Gästen die Natur nahe zu bringen, ohne die Natur dabei zu beeinträchtigen.
Was sind die größten Schwierigkeiten und Herausforderungen im Schiffdesign für Sie?
Schiffe sind von der Grundstruktur erst mal Stahlbau, wir sind alleine dadurch limitiert. Und es gibt viele Parameter wie Brandschutz und Gewicht, die einen einschränken. Das Wichtigste ist bei dem komplexen Thema aber die Raumeffizienz. Den Passagieren den Ozean näher zu bringen, ist außerdem großes Ziel und gleichzeitige Herausforderung.
Inwieweit will und muss man sich als Designer mit den negativen Seiten der Kreuzfahrt beschäftigen – Stichwort: Nachhaltigkeit?
Es ist extrem wichtig, dass Nachhaltigkeit permanent ernsthaft eingefordert wird, auch wenn die Kreuzfahrten lediglich für 0,02 Prozent des globalen CO²-Ausstoß verantwortlich sind. Sie sind dennoch zum Sinnbild für übermäßigen CO²-Ausstoß geworden und stehen dadurch unter Druck. Wenn die Flotten die Herausforderung annehmen, können sie zu Vorreitern werden. Alle neuen Schiffe, an denen wir arbeiten, fahren positiverweise nicht mehr mit Diesel, sondern mit deutlich umweltfreundlicherem Flüssiggas. Die Antriebe der Zukunft könnten völlig emissionsfreie Brennstoffzellen sein. Aber wir sind keine Ingenieure, uns Designer betrifft das Antriebsthema peripher. Für unseren Bereich versuchen wir, möglichst nachhaltige Materialien einzusetzen und weite Wege bei Zulieferern zu vermeiden.
Wenn ein Schiff jetzt mit Flüssiggas betrieben wird, hat das Auswirkungen auf das Design, weil zum Beispiel die Tanks einfach mehr Platz brauchen und etwas anderes dafür weichen muss oder die Schornsteine – der frühere Stolz aller Schiffe – nun immer kleiner werden. Jetzt braucht es neue Symbole anstelle des Schornsteines. Wir haben schon mit Windrädern als signifikantes neues Element experimentiert. Das Problem dabei ist, dass der Widerstand des Windrades dem fahrenden Schiff am Ende ähnlich viel Energie nimmt wie es produziert. Auch transparente Photovoltaik in den Kabinenfenstern oder Algenfarmen als Energielieferant regen wir an. Aber wenn sich Ideen nicht als wirklich effizient herausstellen, wandern sie in den Papierkorb.
Wie kamen Sie zur Schiffsarchitektur?
TUI Cruises suchte vor ein paar Jahren ein Designbüro für einen Nachtclub auf einem ihrer Schiffe. Da wir den legendären Cocoon Club in Frankfurt designt hatten, kamen wir ins Gespräch. Seitdem sind wir sozusagen fest im Boot und unser Aufgabenspektrum hat sich permanent erweitert. Bei Royal Caribbean Cruises in Miami sind wir etwas später eingestiegen. Heute machen wir die Außenarchitektur fast aller Kreuzfahrtschiffe und Expeditionsschiffe von TUI Cruises und Royal Caribbean Cruises. Mit einer Disco hat also alles angefangen (lacht).
Auf einem Schiff für 4000 Personen wird eine ganze Kleinstadt am Wasser geplant. Wie kann man sich die Arbeitsweise bei so einem großen Projekt vorstellen?
Es sind enorm viele Firmen und Fachleute der unterschiedlichsten Disziplinen involviert, die permanent von überall auf der Welt miteinander kommunizieren müssen. Die Reederei, die Werft und der Betreiber sind die Hauptbeteiligten, die ihr jeweiliges Know-how einbringen. Und dann sitzen ganz viele Spezialisten bei täglichen Online-Konferenzen zusammen. Mit Fachleuten wird jedes Thema im Detail durchdiskutiert. Das ist ein jahrelanger Prozess und in der Tat sehr aufwendig.
Welche Materialien und Formensprache sind im Schiffdesign derzeit Tonangebend?
Früher wurden Schiffe von innen nach außen vornehmlich aus Blick des Kunden gestaltet, die äußere Form erschien zweitrangig. Das ändert sich mehr und mehr. Kreuzfahrtschiffe sind Markenbotschafter und individuelles Design wird zur Differenzierung der Marke genutzt. Auf eine starke Gesamtwirkung und gute Details wird in Zeiten der medialen Bilderflut im Web, auf Social-Media-Kanälen und dank der Drohnenfotografie immer mehr Wert gelegt. Die Trends im Innenausbau gleichen im Prinzip denen an Land. Unsere Agentur steht auch für 3D-Verformungen. Die aktuellen Entwürfe waren undenkbar, als noch ausschließlich manuell gebaut wurde. Durch Computer-Programme sind heute beinahe alle 3D-Formen bis ins kleinste Detail realisierbar.
Was würden Sie noch gerne entwerfen?
Eine Privatjacht, die nachhaltig ist und trotzdem schick aussieht. Man kennt ja nur diese Protzmonster. Hier etwas Neues zu entwerfen, das eine andere Signalwirkung hat, würde mich interessieren.
Sind Sie selbst Kreuzfahrer?
Nein, bislang nicht. Ich bin jeden Tag sehr eingespannt und habe gemeinsam mit meinen 45 Mitarbeitern viel um die Ohren. Wenn ich Urlaub habe, will ich die Zeit vor allem mit meiner Frau und meinen vier Kindern verbringen. Ich brauche dann keinen Trubel um mich herum. Aber wenn ich für Recherchezwecke mit an Bord bin, macht es mir natürlich großen Spaß, Dinge auszuprobieren, an denen unser Team mitwirken durfte.