Leben/Reise

Die Palme war ein Urlaubsmangel

Der Reiseveranstalter ließ bei der Anpreisung der Nilkreuzfahrt niemand Geringeren als Rainer Maria Rilke für sich sprechen: "Den Nil entlang zu fahren..., das ist keine Reise mehr, das ist ein Leben, ein Verwandeln, eine wirklich tiefe Besinnung."

In Wirklichkeit dröhnten die Motoren der nebeneinander vor Anker liegenden Schiffe rund um die Uhr, und der Dieselgestank war nicht auszuhalten. Muss der durchschnittliche Reisende nicht von sich aus wissen, dass es im Hafen laut sein kann?

Nein, entschied das Handelsgericht Wien, bei einer so poetischen Anpreisung muss er nicht mit einer schweren Beeinträchtigung durch Lärm und Gestank rechnen und bekommt 35 Prozent des Pauschalreisepreises zurück.

Aufklärungsmangel

In Deutschland könnte der Urlauber noch zusätzlich den Beratungsfehler einklagen und mit weiteren 10 bis 20 Prozent Preisminderung rechnen. Der Wiener Rechtsanwalt und Reiserechtsspezialist Eike Lindinger sammelt seit Jahren solche Urteile zum Thema Urlaubsmängel.

5 Prozent Höhepunkt der heurigen Ausbeute ist eine Palme, die den Blick eines Urlaubers trübte. Sie pflanzte sich direkt vor dem Balkon auf und verdeckte den Meerblick. Dabei hatte der Wiener sein Hotelzimmer in Tunesien ausdrücklich mit Meerblick gebucht. Fünf Prozent vom Pauschalpreis bekam er zurückerstattet.

3 Prozent Dass der im Katalog zugesagte Kinderspielplatz fehlte, wurde mit drei Prozent Abzug vom anteiligen Reisepreis für das Kind abgegolten.

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10 Prozent Die Ameisen im Hotelbett wurden nach Urgenz des Gastes lediglich vom Zimmermädchen mit der Hand weggewischt. Wanzen im Bett werden mit bis zu 60 Prozent Preisminderung gewertet. Eine von Juckreiz geplagte Urlauberin hatte die toten Viecher zu Beweiszwecken im Einsiedeglas mitgebracht und dem Richter vorgelegt. Laut dem Dornbirner Naturwissenschaftler Klaus Zimmermann werden die Blutsauger zunehmend resistent gegen Insektizide und finden sich auch schon in Flugzeugsitzen, wie er auf der internationalen Konferenz über urbane Schädlinge in Zürich berichtete.

10 Prozent Preisminderung wurden auch den Urlaubern zugesprochen, die in ihrem ebenerdigen Hotelzimmer den Gestank aus der Kanalisation ertragen mussten.

6 Prozent Unter einer im Katalog angeführten qualifizierten Reiseleitung ist ein Fremdenführer zu verstehen, der deutsch spricht und nicht nur schriftliche Unterlagen herumreicht.

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20 ProzentDass im Jänner nicht einmal in Ägypten ein klassischer Badeurlaub möglich ist, könnte man als allgemein bekannt voraussetzen. Das Badeverbot für den gesamten Urlaub im Jänner wurde einem Ägypten-Reisenden jedoch mit 20 Prozent Preisminderung abgegolten.

Eike Lindinger beobachtet einen Wechsel der Rechtsprechung, wonach der Reisende neuerdings auch über die Witterung aufzuklären ist. "Der Reiseveranstalter muss offenbar den Geografieunterricht nachholen", ätzt der Anwalt: "Auch die Jahreszeiten für den Monsunregen sollten nicht mehr als allgemein bekannt vorausgesetzt werden."

0 Prozent Dass sich das Personal "insbesondere im arabischen Raum nach Trinkgeldabgabe wesentlich freundlicher zeigt" (aus einem Urteil), gilt laut Gericht hingegen sehr wohl als allgemeiner Erfahrungsschatz. Urlauber hatten geklagt, dass man sie erst beachtet habe, nachdem sie Bakschisch gezahlt hatten.

Zigarettenstummel am (öffentlich zugänglichen) Hotelstrand müssen ebenso hingenommen werden wie das nicht nach dem Geschmack des Urlaubers gewürzte Essen oder Schlieren auf den Badezimmerfliesen.

Urteile der letzten Jahre

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Früher wurde der Urlauberfrust auch in Österreich gern mit der Frankfurter Tabelle (Sammlung deutscher Urteile) gemessen. Seit einigen Jahren dient die jährlich aktualisierte Wiener Liste von Eike Lindinger als Orientierungshilfe bei der Einschätzung der Prozesschancen. Das Buch (erschienen bei Manz) enthält Urteile zur Reisepreisminderung des Handelsgerichts Wien, bei dem die meisten Rechtsstreitigkeiten zwischen Reiseveranstaltern und Urlaubern ausgetragen werden. Bindend ist die Wiener ebenso wenig wie die Frankfurter Liste.

Laut Lindinger werden die Urlauber beim Aufspüren von Mängeln immer erfinderischer. Das geht von Staubflankerln im Zimmer bis zum beanstandeten Anblick von weidenden Kühen am Strand. Zusätzlich zum Preisnachlass steht dem Urlauber bei gravierenden Reisemängeln für den entgangenen Erholungswert auch noch Schadenersatz zu. Der Nachteil muss über „bloße Unlustgefühle“ hinausgehen. 20 bis 30 Euro pro Kopf und Tag sind ein Richtwert.

"Wenn einer eine Reise tut/dann kann er was erzählen", schrieb Matthias Claudius vor mehr als 200 Jahren. Und dabei war der nicht einmal in Tunesien.

Wenn heute einer eine Reise tut, dann kann er sich nicht selten beschweren. Skurrilste aktuelle Beschwerde-Geschichte: Ein Urlauber beanstandete eine Palme – in Tunesien. Diese verdeckte den versprochenen Meerblick. Als Entschädigung für den Leidensdruck gab es tatsächlich fünf Prozent vom Preis zurück. Weniger Erfolg hatte vor Jahren eine deutsche Urlauberin, die sich beschwerte, beim Urlaub auf Mauritius sei die Sonne zu schnell untergegangen, um romantische Stimmung aufkommen zu lassen. Der Clou dabei: Die Dame war Geografielehrerin. Legendär auch die Klage eines Urlaubers, die besichtigte altrömische Therme sei eine Ruine gewesen – "an Baden war nicht zu denken".

Matthias Claudius dichtete übrigens so weiter: "... drum nähme ich den Stock und Hut/und tät das Reisen wählen". Aber Stöcke sind heute im Flugzeug garantiert nicht mehr erlaubt.