Route 66: Warum die Legende nie stirbt
Von Axel Halbhuber
Jeder Mythos besteht aus mehreren Zutaten, eine davon ist der blanke Dreck. "Ich wachte eines Morgens im Motel von Flagstaff auf, nackt auf einem Bett ohne Laken, meine Kleidung im Zimmer verstreut und eine Flasche Old Grandad Whiskey neben mir", erzählt Edward Keating vom New York Times Magazine über seinen ersten Trip auf der Route 66. Das war 1977, aber Menschen bereisen die "Mother of Roads" noch heute wegen solcher Geschichten. Denn neben den roten Felsformationen Arizonas und texanischen Wüsten, neben Motel-Chic und Cowboy-Charme, neben unfassbaren Geraden durch die Wüste und den Windungen durch Taleinschnitte, neben all dem wird der Mythos Route Sixtysix vor allem vom Dreck zusammengehalten.
Freiheit des tiefen Falls
Touristen besuchen die Sixtysix heute nur in zweiter Linie, um typisch Amerikanisches zu finden, was man halt aus Filmen kennt, Kaffee aus Kannen, Essen aus Karton, alte Chevis, Unterkünfte mit Neonschild. Tatsächlich soll an der Sixtysix das erste Motel eröffnet haben, der erste McDonald’s-Laden und die erste Tankstelle. In erster Linie suchen Sixtysix-Besucher aber die legendäre Freiheit, die der Amerikaner im Mittel- und Südwesten in seine Gene gebrannt haben soll wie ein Steak das Muster des Barbecue-Rosts. Die Freiheit und jene philosophische Countrysong-Weisheit, die daraus angeblich entsteht.
Aber die Motels an der Sixtysix wurden ranzig, der Kaffee ist verdunstet. Denn Freiheit erkennt man vor allem, wenn beim Fallen das Netz fehlt.
Retter der Legende
Und für jene, die dem Niedergang trotzten und noch immer an der Sixtysix leben. Mit ihr leben. Und für sie. Sie wirken so verrückt wie die Idee, eine heruntergekommene Straße zu besuchen, sie sammeln alte Schilder und betreiben Souvenirshops. Ihr ungewählter Häuptling ist Friseur Angel Delgadillo aus dem Nest Seligman in Arizona. "Sogar die Greyhound-Busse verließen uns, als die Interstate 40 eröffnet hatte." Damals zogen fast alle aus der Gegend, in Seligman blieben 500 Einwohner. Die betreiben heute aber 13 Souvenirshops. "Wir brachten das Leben zurück zur Sixtysix", erklärt der 89-jährige Delgadillo stolz. Er begrüßt Touristen konsequent mit "Hello. Welcome Home!" Denn die Route sei ein Zuhause für die Fahrenden. Der Friseur kämpfte seit der Schließung für den Erhalt der Legende und erwirkte einen Denkmalschutz unter dem Namen "Historic Route 66" – zumindest für Teilstücke. So blieb der Charme der Sixtysix vor allem in New Mexiko und Arizona erhalten, zwischen Seligman und der Grenze zu Kalifornien liegt das mit 160 Miles längste erhaltene Originalstück. Es führt durch Wüsten-Hochebenen voll Wacholder und das "Hualapai Indian Reservation". Dieses Gesicht der USA fasziniert.
Hoffnungsroute
Aber bald kippte das Image der Straße endgültig. Zur Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre gesellte sich eine Dürreperiode im Mittelwesten. Aus Farmern wurden Flüchtlinge, ihre Hoffnung lag auf der Straße. Der spätere Literatur-Nobelpreisträger John Steinbeck verarbeitet die Geschichte im Roman "Früchte des Zorns", von ihm stammt auch der Sixtysix-Beiname "Mother of Roads". Im Interview sagte er: "Die Straße wurde die Heimat der Farmer, Bewegung ihr Ausdrucksmittel. Der Mann, der früher in Äckern gedacht hatte, dachte jetzt in Straßenmeilen."Das Image der Straße für verzweifelte Nomaden war für immer einzementiert.
Zeichentrick-Charme
Da hatte es dann wirklich jeder verstanden.
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