Wer die großen Dünen-Gebiete der Sahara erkunden will, muss erst den Hohen Atlas überqueren. Dafür wird man mit unendlicher Weite, dem eindrucksvollsten Sternenhimmel der Welt und Digital-Detox deluxe belohnt.
Es ist stockfinster, als wir durch das Zentrum von M’Hamid fahren. Doch auf den Straßen herrscht noch geschäftiges Treiben: Gemüseverkäufer und Gewürzhändler, Fleischer und Bäcker bieten im grellen Neonlicht ihre Waren feil. Wir lassen das Ortsschild hinter uns – und der Trubel verstummt. Die Lichter werden schwächer, Palmenhaine lichten sich und die Asphaltstraße weicht einer Sandpiste.
Hinter uns liegt eine neunstündige Fahrt über den Hohen Atlas, der an seinem höchsten Punkt über 4000 Meter in den afrikanischen Himmel ragt. Auf engen, teils unbefestigten, teils perfekten Straßen geht es in Serpentinen hoch und wieder runter. Doch mehrere Kaffeepausen, die reizvolle Landschaft, das grüne Draatal, im Jänner blühende Mandelbäume und ein Picknick inmitten einer Oase entschädigen für die Strapazen. Nach der Bustour können wir es trotzdem kaum erwarten, uns die Füße zu vertreten. Doch bevor es losgeht, müssen erst noch die Kamele mit all den Dingen beladen werden, die wir in den nächsten Tagen brauchen.
Kein Strom, kein Wasser
Die Sahara ist eines der letzten Funklöcher der Welt. Kontakt zur Zivilisation kann nur per Satellitentelefon hergestellt werden. Proviant, Gaskocher, Schlafmatten und Zelte müssen daher mitgeschleppt werden. Nur einmal, nach drei Tagen, wird ein Jeep Wasser-Nachschub bringen.
Mit angewinkelten Beinen liegen die Lasttiere im lauwarmen Sand und blubbern entspannt vor sich hin, während die Kamelführer die vollen Körbe auf die Rücken der Tiere binden. Eine handwerkliche Meisterleistung, die das Team Tag für Tag vollbringt. Der Tourist staunt vielfach: Noch oft werden die Berber mit der Schnelligkeit, mit der sie Kamele beladen, Zelte auf- und abbauen, frische Pfannkuchen oder Brot auf glühenden Kohlen backen, die Mitreisenden überraschen.
Die Mannschaft ist gut organisiert – das Ergebnis langer Erfahrung: Seit 20 Jahren veranstaltet der Steirer Christian Hlade, begleitet von Halbnomaden, Wandertouren in die marokkanische Sahara. Seine Liebe zu dieser abgeschiedenen Gegend hat er schon vor 35 Jahren entdeckt, als er zum ersten Mal mit dem Zug nach Marokko kam.
"Yallah Yallah" tönt es plötzlich. Ein Singsang, den wir täglich hören werden und der so viel wie "Los geht’s" bedeutet. Lahoucine, unser Reiseleiter, winkt zum Aufbruch. Endlich. Wir ziehen los und tauchen ein in ein warmes Meer aus Sand. Düne für Düne lassen wir die Lichter der Stadt hinter uns. Mit jedem Schritt wird es dunkler und umso stärker leuchtet es von oben: Millionen Sterne glitzern am Firmament und ziehen sich als milchiges Band über den Nachthimmel. Dazwischen verglimmt regelmäßig eine Sternschnuppe. Ein Anblick, der nicht lange währt. Denn sobald der fast volle Mond hoch oben steht, leuchtet er grell und überstrahlt alle anderen Himmelskörper.
Mit dem Sonnenuntergang kommt die Kühle, ein frischer Wind zieht über die Hügel. Bis zu 30 Grad Celsius kann der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht betragen. Wer sich in der Dämmerung nicht schnell einpackt, riskiert eine Erkältung – und das ist im staubtrockenen Klima alles andere als lustig. Grippemittel und Lutschtabletten sind deshalb Gold wert. Andernfalls rückt die Crew mit selbst gebrauten, gewöhnungsbedürftigen Hausmitteln (Zwiebelsaft! Knoblauchmilch!) an.
Im krassen Gegensatz dazu steht, was die Berber sonst unter einfachsten Bedingungen in ihrem Küchenzelt kredenzen. Das Essen schmeckt nämlich vorzüglich. Abends gibt es häufig Harira, eine Bohnensuppe, die wärmt und sättigt. Aber auch gekochtes Rindfleisch, gedünstetes Gemüse, Couscous oder ein Grillspieß mit Pommes Frites stehen auf dem Speiseplan. Mit der scharfen Gewürzpaste Harissa (u. a. Chili, Kreuzkümmel, Koriander) darf jeder nach eigenem Gusto nachwürzen. Dazu gibt es Tee, Minze oder Verbene, das Nationalgetränk Marokkos.
Die Tage in der Wüste sind kurz. Weil die Sonne im Winter schon am späten Nachmittag untergeht, starten wir früh am Morgen die nächste Tagesetappe, um den Lagerplatz noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Wirklich Zeit zum Aufbauen der Schlafzelte bleibt da nicht. Ist auch nicht nötig: Die Temperatur fällt selten unter Null, und so schlafen wir meist unter freiem Himmel. Die dicken Schlafsäcke halten wohlig warm. Und Schlangen und Skorpione befinden sich im Winterschlaf – es besteht also kein Grund zur Panik. Nur einige Erkältete, die die starken Temperaturschwankungen weniger gut verkraftet haben, schlagen ihr Bett im Gemeinschaftszelt auf.
Lahoucine führt uns am nächsten Morgen weiter. In vier Tagen legen wir rund 70 Kilometer zurück. Auf unterschiedlichem Terrain: Wir wandern über festgetretene, gut begehbare Plateaus ebenso wie über Sand so fein wie Asche, in dem die Schuhe tief versinken. Wir staunen – denn die Wüste bringt eine abwechslungsreiche Flora zutage: Jochblatt, Salzkraut, Wüstenkürbis, Tamarisken-Bäume, Sahara-Bilsenkraut. Der Großteil ist extrem giftig, aber sehr nett anzuschauen.
Einer der Höhepunkte der Wanderung ist die "Glücksdüne", die mit 90 Metern Höhe alle anderen Sandhügel überragt. Wer sie erklimmt, hat laut alter Berber-Weisheit einen Wunsch frei und kann ihn bei einem unvergesslichen Ausblick über das Meer aus Sand ans Universum abschicken. Ein Moment von vielen, der das Wüsten-Erlebnis einzigartig macht. Zivilisatorische Zwänge – tägliches Duschen zum Beispiel – sind nach einer kurzen Eingewöhnungsphase abgelegt. Dann erst beginnt die Wüste und ihre Kraft der Weite und Stille zu wirken: Während man unter der heißen Sonne über den Sand geht, abends dem Knistern des Lagerfeuers lauscht und sich nachts in den warmen Schlafsack kuschelt, kommen die Gedanken zur Ruhe. Und sie bleiben ruhig, ist das Handy, der Laptop, die Arbeit und der Alltag doch so weit weg wie nie zuvor. Das Verlassen der eigenen Komfortzone kostet zwar Überwindung, aber es macht die wesentlichen Dinge wieder sichtbar – und in der unglaublichen Landschaft und einem freien Kopf können sie endlich sortiert und eingeordnet werden. Ein Abenteuer, das nachhaltig berührt und verändert.
Anreise Nach der Sommerpause startet NIKI/ Air Berlin ab 18. 9. zwei Mal wöchentlich jeden Donnerstag und Sonntag von Wien direkt nach Marrakesch. Flugzeit: 3 bis 4 Stunden (Zeitverschiebung –1 Stunde).www.flyniki.com
Beste Wanderzeit Reisen in die Wüste sind von Mitte Oktober bis Anfang April möglich. In dieser Zeit liegen die Temperaturen tagsüber zwischen 15 und 35 Grad, nachts bei 15 bis 20 Grad. Von Dezember bis Februar ist es etwas kühler: unter Tags erreichen die Temperaturen 25 bis 30 Grad, nachts können sie auch unter null fallen. Zudem halten Schlangen und Skorpione in dieser Zeit Winterschlaf.
Anforderungen Ein spezielles Training ist nicht nötig. Den Schwierigkeitsgrad des Treks sollte man allerdings so wählen, dass der gleiche auch in den Alpen bewältigt werden kann.
Einpacken Ob Tasche, Seesack oder Rucksack – beim Trekking zählt Robustheit. Versuchen Sie, zu viel Gepäck zu vermeiden, um die Traglast gering zu halten. Wegen der großen Temperaturunterschiede benötigt man leichte und warme Kleidung. Zum Gehen sind Trekkingsandalen ideal, da der eingelaufene Sand schnell wieder entweichen kann. Außerdem ist ein Schlafsack mit einer Komforttemperatur von 0 bis –7 °C empfehlenswert (dieser kann aber auch vom Reiseveranstalter ausgeliehen werden).
Angebote Weltweitwandern bietet verschiedene Reisen nach Marokko an. Die beschriebene Tour „Sternschnuppen der Wüste“ im Oued Draa-Gebiet ist eine 4-tägige Wanderung (Gehzeit ca. 6 Stunden/ Tag) in Begleitung von Halbnomaden und ihren Dromedaren (Reisedauer 9 Tage). Buchbar ab 1. Oktober um1490 € (inkl. Flügen, Unterbringung, Transport und Verpflegung).
Obwohl immer wieder Reisewarnungen für Marokko ausgesprochen werden, muss man keine Bedenken haben. Die Militärpräsenz wurde im Süden des Landes in den vergangenen Jahren stark erhöht. Einerseits, um den Schmuggel von Drogen, Waffen und Kamelen einzudämmen. Andererseits zum Schutz vor der AQIM (al-Qaida des Islamischen Maghreb). Die Behörden sichern die Grenze zu Algerien, die keinen klassischen Übergang, sondern einen kilometerbreiten Abschnitt mit einem Niemandsland zwischen den beiden Ländern darstellt.
„Diese Reisewarnung ist uns ein Rätsel“, sagt Christian Hlade. „Es gab in Marokko noch nie eine Touristenentführung, die Grenze und auch die Situation im Land wird von einem der weltbesten Sicherheitsdienste überwacht, die Lage vor Ort ist seit jeher ruhig und friedlich.“ Die besondere Art, mit einheimischen Halbnomaden zu wandern, ist ein weiterer Sicherheitsfaktor: „Wir bereisen die Lebensräume unserer Begleiter. Gefahren oder seltsame Veränderungen würden diesen sofort auffallen.“