It’s Hahnenkamm, Schätzchen
Von Andreas Bovelino
50.000 Besucher im Ort, 500 Millionen TV-Geräte in aller Welt, die zeitgleich die gleichen bunten Bilder zeigen – diese „SoKo Kitzbühel“ sprengt alle Dimensionen: It’s Hahnenkamm, Schätzchen. Und nicht nur in den USA zählt das mehr als jedes Olympia-Rennen. 700 Medienvertreter aus mehr als 30 Ländern werden von der legendären „Streif“ in die Tiroler-Alpen gelockt. Von 86 Prozent Gefälle, gut 140 km/h Spitzengeschwindigkeit, 6.500 Meter Fangnetzen, vielleicht sogar ein wenig von den 150 beheizten WC-Häuschen an der Piste, denn auch das findet man nicht bei jedem Rennen. Und natürlich von den Lichtgestalten der großen Sause, also quasi allen, die im internationalen Jetset einen Namen haben oder zumindest haben wollen und verdammt schön sind, und wenn nicht, dann wenigstens unglaublich reich.
So viel Ruhm, so viel Aufmerksamkeit – das kann einem schwächeren Charakter schon ordentlich zu Kopf steigen. Wie groß der von Kitzbühel inzwischen geworden ist, darüber streiten Fans und Kritiker unerbittlich – das allerdings schon seit Jahrzehnten, was im Zweifelsfall doch für Kitzbühel spricht. Und wer den Ort zu einem anderen Zeitpunkt besucht als am Wochenende des Hahnenkamm-Spektakels, der bekommt eine Ahnung davon, wie wenig der ganze Trubel und die Promi-Hysterie ihm in Wirklichkeit anhaben können.
Auf der Sonnenseite des Lebens
Ein Spaziergang durch die schmalen Gassen des Stadtkerns zeigt ein anderes Gesicht Kitzbühels. Es ist keines dieser hübsch herausgeputzten, idyllischen Bergdörfchen, die am Ende der Saison verlegen die Fensterläden zuklappen und nichts mehr mit sich anzufangen wissen. Es ist auch keines der gesichtslosen High-End-Resorts im Nirgendwo – Kitzbühel braucht den ganzen Almauftrieb der Jetsetter nicht, um zu beeindrucken. Das besorgt die Stadt selbst, die da so malerisch mitten in die Berge gepflanzt wurde, mit ihren Bögen, Erkern und Arkaden, den steilen Anstiegen und Treppen, hinauf, durch den Torbogen am Sterzinger Platz, wo die Pfarrkirche mit ihrem fast 900 Jahre alten Turm wie eine mittelalterliche Burg thront. Und die uralten Stadthäuser bleiben vom Trubel unbeeindruckt, sie waren schon lange vorher da – und werden es noch lange sein, wenn nach anderen, kurzlebigen Dingen kein Hahn mehr kräht. In Kitzbühel wird gelebt, auch wenn keiner zuschaut – und das ist vielleicht seine größte Stärke. Seit 800 Jahren ist man schon „Stadt“, und das spiegelt sich im Selbstbewusstsein wider. Ein Selbstbewusstsein, das weder durch einen „zuagroasten“ Kaiser namens Franz, noch durch champagnerflaschenschwingenden Geldadel erschüttert werden kann.
Das führt freilich dazu, dass man den Kitzbühelern im Osten Österreichs gern eine bajuwarische „Mir san mir und mir san wer“-Arroganz unterstellt. Dazu sei Folgendes angemerkt: Zum einen besteht eben eine lange gemeinsame Geschichte mit den bayerischen Nachbarn, und zum anderen war genau diese gesunde Arroganz in den vergangenen Jahrzehnten überlebenswichtig. Nachdem vor mehr als 70 Jahren der britische Erbe und Royal-Air-Force-Pilot Gordon Cleaver das erste Hahnenkammrennen gewinnen konnte, erteilte Edward, der Prince of Wales, praktisch der gesamten britischen Upper Class den Auftrag, sich in alpine Abenteuer zu stürzen.
Skifahren wurde bald so sexy wie Autorennen. Und mit Ali Khan, dem Frauen-, Sportwagen- & Pferdesammler, dazu Jungs mit ähnlich gelagerten Hobbys wie Super-Playboy Porfirio Rubirosa entstand hier eine „Neigungsgruppe Geld, Genuss und gute Laune“, die Kitzbühel zu einem Cannes der Alpen machte. Da ist die Versuchung natürlich groß, sich und seine Stadt mit Haut und Haar zu verkaufen. Und nach dem Motto „Rindviecher raus, Kohle rein“ räumten die Einheimischen zwar ihre Ställe, um sie als Wohnungen an große Tiere – Privilegien, die ihre Promi-Gäste wie selbstverständlich für sich in Anspruch nahmen, entzogen sie ihnen aber schnell wieder. „Weil bei uns gibt's koane Extrawirscht für neamt“, mögen sie dabei gegrummelt haben. Und nahmen es achselzuckend in Kauf, dass sie damit etwa Gunter Sachs vergraulten, weil der es nicht gewohnt war, am Skilift zu warten.
„Mir san mir“, also doch? Vielleicht, aber mit Charme.