Leben/Reise

Fußball-EM: Chance für Kiew

Der schwarze Audi A 8 schleicht sich vorsichtig aus dem Straßen-Labyrinth am Flughafen. Betonklötze, Absperrungen, Schlaglöcher. Am Beginn der Stadt-Autobahn Richtung Zentrum aber steigt der Chauffeur aufs Gas. Mit knapp 160 statt der erlaubten 130 jagt er nächtens die polierte Karosse auf der linken Spur über das Asphaltband zwischen den dumpf beleuchteten Bettenburgen an der Peripherie von Kiew. Auf dem Pannenstreifen gehen bei manch altem Lada die Lichter aus.

Erstes Staunen an der Stadtgrenze: Da blinkt’s doch tatsächlich wie zu Weihnachten. "Yes, it’s from X-mas", murmelt der Fahrer. Mehr erfahre ich auch später nicht. Nur soviel, dass die Ukrainer auf erhellenden Weihnachtskitsch stehen.

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Derweil ist’s aber April, und es sind nur noch sechs Wochen bis zum Ankick der EURO 2012. Da möchte Kiew die erwarteten Massen wenigstens auf halbwegs sicherem Terrain durchschleusen – allein, es sieht nicht danach aus. Obwohl Bagger, Planierraupen und ganze Brigaden von Arbeitern bis spät in die Nacht hinein bei schummrigem Flutlicht kaputte Straßen reparieren und Erdlöcher stopfen, dürfte sich manches bis zur EM nicht mehr ausgehen.

Nach einer guten halben Stunde bremst sich das Taxi vor dem Hotel-Giganten Grand Fairmont ein. Wachleute kontrollieren das Areal, Livrierte übernehmen das Gepäck. An der Bar gibt’s vor einem nächtlichen Stadtspaziergang feine Snacks. Edler Komfort ist angesagt, passend zu einem 5*-Hotel.

Freitag 23 Uhr. Es ist laut in Kiews Altstadt. Viel Verkehr. Im benachbarten McDonald’s ist einiges los. Die Straßen sind bevölkert, die meisten Restaurants und Cafés gut besucht. Supermarkt und Geldwechsel kennen keine Sperrstunde, beides 24 Stunden am Tag offen. Eine kuriose Konsum-Szene in einem Land mit geringen Einkommen. Erst recht, wenn man sieht, wie in den angesagten Spaß-Tempeln wie dem D’Luxe-Club oder der Skybar abgetanzt wird bis zum Morgengrauen.

Sieben Hügel

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Samstagvormittag, Kiew bei Tag. Bleierne Wolken, Nieseln, volle Straßen. Fischer beziehen Position auf den Sandbänken am Dnepr, die im Sommer zu begehrten Erholungsräumen werden. Boote warten vergeblich auf Kundschaft.

Guide Dmitrij führt in das Zentrum der Stadt, die wie das alte Rom auf sieben Hügeln gebaut ist. Dort glänzt Kiew. Die üppig mit Gold beladenen Kuppeln der famosen Kathedralen strahlen und ziehen die Besucher ebenso an wie die reich geschmückten pastellfarbenen Fassaden zwischen den orthodoxen Wahrzeichen St. Michael-Kloster und Sophien-Kathedrale. Zwei Gotteshäuser wie sakrale Museen mit Fresken und Gemälden, gut bewacht von solchen Frauen, die schon in der untergegangenen UdSSR auf die Kostbarkeiten aufgepasst haben.

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Auf dem großen Platz pulsiert die Stadt, wandeln die Mengen auf den Spuren ehemaliger Prinzen, die die Architektur von Kiew mit einem unvergleichlichen Erbe aus ukrainischem Barock und russischer Klassik geprägt haben. Heute dienen die Erdgeschoße einst feudaler Häuser noblen Marken als Lifestyle-Boutiquen. Alles was international Rang und Namen hat in der modischen Glamourwelt, ist in Kiew daheim. Nach westeuropäischen Zeitungen sucht man indes vergeblich. Blätter aus Moskau gibt’s dafür in jeder Aufmachung. Russland ist gleichsam Seelenverwandter der Ukraine, jedenfalls der wichtigste Wirtschaftspartner.

Breite Boulevards, Museen, Galerien und das berühmte Lavra-Kloster – Kiew gilt kulturell nach St. Petersburg und Moskau als Nummer 3 im altsowjetischen Osten. Mittlerweile gehört auch die monumentale Architektur der Stalin-Ära, wie mancher Ministeriums-Klotz, zum Kult von Kiew. Giganten aus Stahl und Glas sind in der Innenstadt kaum zu sehen. Dafür liefern großzügig angelegte Parks dem Moloch, der mit Umland fast vier Millionen Menschen zählt, das wichtige Grün.

Altlasten

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Außerhalb der klassischen Mitte kann Kiew die sowjetische Vergangenheit (noch) nicht abschütteln, scheint die Sanierungs-Chance anlässlich der EM zu wenig genützt, ja sogar vertan worden zu sein. Schlechte Straßen, holprige Gehwege, bröckelnde Fassaden, rostende Pfeiler, übergequollene Mülltonnen, durchhängende Stromkabel. Viel grau in grau, wenig Charme. Polizei und Militär, das sich kartenspielend hinter dicken Autofenstern die Zeit vertreibt, es aber gar nicht will, dabei beobachtet zu werden.

Und viele, viele Gesichter, denen schlichtweg die Fröhlichkeit fehlt. Zu lachen haben sie ja nicht wirklich viel, die "normalen" Ukrainer. Achtzig Prozent leben – so erklärt Dmitrij – auf bescheidenem Standard, zehn Prozent auf gutem bis sehr gutem, die restlichen zehn Prozent in Saus und Braus. Die demonstrieren ungeniert ihren Reichtum, fahren riesige, grellrote Hummer, aufgemotzte Mercedes und ähnliche Edelkarossen. Sind durchgestylt von oben bis unten.

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Sonntag in Kiew. Offene Geschäfte, Flohmärkte, Picknick im Park. Stau vor den Kinos und auf den Gehsteigen. Monotone, laute Rhythmen in den Autos. Stöckelschuh- und Minirock-Parade auf den Boulevards. Stechende Gerüche aus asiatischen Küchen. Hopp-on-hopp-off-Busse mit spärlich besetzten Plätzen. Die wenigen Touristen zieht’s hinauf auf den großen Platz, auf dem Kiew mit ausgedientem Militärgerät, riesigen Skulpturen und der 110 Meter hohen Statue "Mutter Heimat" an den 2. Weltkrieg erinnert.

Wenig los hingegen ist auf dem Gelände des Olympiastadions, dem Epizentrum von Kiew im Juni. Dort glänzt die alte Arena aus den 1940er-Jahren zwar in neuem Gewand, ist alles bereit für Europas Kicker-Elite. Sonst aber hat Kiew noch viel zu tun, wenn es auch ein klassisches Wochenend-Städteziel werden will.

Infos

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Anreise

– Mit Austrian Airlines zwei Mal täglich WienKiew. www.austria.com

– Mit Ukraine International Airlines zwei Mal täglich (Samstag nur ein Mal) WienKiew, www.flyuia.at

Währung/Preise

1 Hrywnja (UAH) = 100 Kopeken, 1 € = 10,64 UAH. Touristisch ist Kiew ein relativ teures Pflaster: in einer "billigen" Straße kostet der kleine Espresso 3 €, ein 0,1-Glas Pinot Grigio knapp 4 €. Teurer wird’s z. B. im angesagten Club D’Lux, Hrushevskogo Str. 3. Dort zahlen Herren 30 €, Damen 10 € Eintritt, gibt es Cocktails ab 10 €. In der Skybar, Velyka Vasylkivska Str. 5, kosten Longdrinks auch ab 10 €.

Angebote

Kiew vor und nach der Fußball-EM von 1. Mai bis 4. Juni und 2. Juli bis 3. September, Abflug jeweils Donnerstag und Freitag: 3 x N/F (DZ) im Fairmont Hotel, Flüge ab/bis Wien, Taxen und Transfers 799 €/P., bei Reisen 17. – 20. Mai, 25. – 28. Mai, 12. – 15. Juli, 10. – 13. August ist auch eine Stadtrundfahrt inkludiert. www.pdmtouristik.com

Kiew nach der EM von 19. Juli bis 16. August: 3 x N/F (DZ) im 3*+Art Hotel Bakkara am Dnepr 144 €/P., Flüge zu tagesaktuellen Preisen im Reisebüro. www.dertour.at