Leben/Reise

Wo die letzten Pferdefischer wohnen

Gemütlich setzt sich Axel in Bewegung. Das Belgische Kaltblut wiegt etwa eine Tonne und musste ein ganzes Jahr dafür trainiert werden: Der Brabanter geht ins Meer. Hoch zu Ross sitzt "Paardenvisser" Chris Vermote und gibt den Weg vor. Mit einer speziellen Konstruktion zieht Axel ein Netz über die Sandbank, in dem sich Krabben verfangen. Chris ist einer von 16 Pferdefischern, die am Strand von Oostduinkerke in Koksijde eine 500 Jahre alte Tradition zelebrieren. Seit 2013 steht sie auf der Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO und wird nur mehr an der Küste von Flandern praktiziert.

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Es ist ein Spektakel, das von Hunderten Schaulustigen beobachtet wird. Stop-and-go-Verkehr herrscht in der ganzen Stadt, wenn die Tiere, vor Kutschen gespannt, von den Höfen Richtung Strand traben. Vom Treffpunkt Astridplein marschieren Pferde, Fischer in gelben Öljacken und Zuschauer gemeinsam zum Strand. Dort werden die Netze festgemacht, bevor die Reiter aufsteigen. Etwa eine halbe Stunde dauert es, bis Chris und Axel wieder zurück kommen. Heute wird nur zur Show gefischt. An guten Tagen sind sie mehrere Stunden draußen. Der Fang wird vom Fischer und den Schaulustigen begutachtet. Viel ist es nicht. Geduldig beantwortet Chris alle Fragen. Er erzählt, dass sein Vater mit einem Korb gefischt habe und er der erste der Familie sei, der dies mit einem Pferd mache. Stolz klopft er seinem Sohn auf die Schulter. Vielleicht wird er später einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten.

Außergewöhnliches Hobby

Seinen Lebensunterhalt kann weder Chris noch einer seiner Kollegen mit der Fischerei verdienen, "ein Hobby, das gerade einmal so viel einbringt, dass die Kosten gedeckt werden", und das nur, weil die Gemeinde die Fischerei finanziell fördert.

Bis vor Kurzem war das Fischen zu Ross noch den Männern vorbehalten, mittlerweile sitzt mit Nele Bekaert die erste Frau im Sattel. Doch die einzige Fischerin ist sie nicht: Während die Reiter die Pferde ins Meer geleiten, gehen einige Frauen und Männer zu Fuß ins Wasser und suchen den Boden mit großen Netzen nach den Krabben ab. Sie imitieren dabei die Technik der Pferde, ziehen aber schmalere Netze über das Watt.

Fleischsommelier

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Von den Pferden ist es nur ein Katzensprung zu den Rindern der Familie Dierendonck. Während Vater Raymond in seiner Pension seltenes rotes westflämisches Rind züchtet, das nur hier überlebensfähig zu sein scheint, hat sein Sohn Hendrick die Familien-Fleischerei übernommen und von Grund auf revolutioniert. Sein Ziel: den Beruf des Fleischhauers wieder sexy machen. Erlebt man Hendrick, wie er über Fleisch spricht, wie er es handelt und mit welcher Leidenschaft er seinen Betrieb managt, besteht kein Zweifel daran, dass er es schaffen kann. Der Erfolg gibt ihm recht: Die Kunden stehen in seinem Geschäft Schlange.

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Statt, wie früher, hinter verschlossenen Türen zu zerlegen und hacken, kann man ihn heute im Schlacht-Atelier besuchen und dabei zusehen. Auch die Hinterzimmer im Shop sind mit Glasfenstern ausgestattet, damit man seinen Mitarbeitern bei der Arbeit zusehen kann, die Fleischtheke ist liebevoll angerichtet und ein cooles Neonschild mit "Dierendonck"-Schriftzug strahlt den Kunden entgegen.

Von der Weide zum Teller

Transparenz ist dem 43-Jährigen ebenso wichtig wie die Wertschätzung der Tiere. "Jedem Teil des Tieres soll Respekt gezollt werden", erklärt Hendrick seine Nose-to-Tail-Philosophie. Leidenschaft von der Weide bis zum Teller. Und weil er ein Perfektionist par excellence ist, hat er sogar sein eigenes Dry-Aging-System mit drei Reifestufen entwickelt. Obwohl das alles seinen Preis hat, schätzen seine Kunden die Qualität und sind bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen.

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Davon, dass das Fleisch sein Geld wert ist, kann sich der geneigte Foodie in Dierendoncks Restaurant "Carcasse" überzeugen, das direkt an den Shop grenzt. Chef Anthony Snoeck bereitet die besonderen Stücke ideal zu, serviert dazu ausgefallene, aber stimmige Beilagen und wurde kürzlich für seine Kreationen mit einem Michelin-Stern belohnt.

Kein faules Gemüse

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Leidenschaft pur ist auch am Hof von Dries Delanote zu spüren. Wild wuchernde Raritäten sind auf der Farm "Le Monde des Mille Couleurs" zu finden. Die Samen dafür zieht er selbst und er weigert sich, seinem Gemüse künstlich Wasser zuzuführen. Alles biodynamisch, selbstverständlich. "Dieser Fenchel würde im Supermarkt im Müll landen. Weil es nicht viel geregnet hat, ist er nicht bauchig genug, aber probier einmal", sagt Dries und teilt Kostproben aus. Was folgt, ist eine Explosion am Gaumen. Dann gibt es aromatische Tomaten, geschmackvolle Gurken (ja, wirklich) und exotische Kräuter.

Kein Wunder, dass ihm Spitzenköche aus Belgien und Frankreich nachlaufen. Sie sind die einzigen, die seine Ware bekommen. Mit Supermärkten, die nur "lazy" (faules) Obst und Gemüse anbieten, will der Bauern-Rebell nichts zu tun haben.

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Auch in Vilhjalmur Sigurdarsons Gault&Millau-prämiertem Restaurant "Souvenir" in Ieper richtet sich die Speisekarte nach dem Angebot des Gemüsebauers. Gegessen wird, was gerade reif ist. "Ein Bauer, der so arbeitet, muss ums Überleben kämpfen, und das will ich unterstützen", erklärt der Isländer seine Zusammenarbeit mit Dries. Und dann ist da noch der fantastische Geschmack.

Duft nach Klischee

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Der fast klischeehafte Duft nach belgischen Waffeln lenkt von der eindrucksvollen Mittelalter-Architektur in Gent ab. Viele Stile sind hier vereint: Die gotische Sint-Niklaaskerk und der Belfried sowie die romanische St.-Bavo-Kathedrale mit dem Genter Altar sind von der Sint-Michiels-Brücke auf einer Linie zu sehen. Auch Elemente von Barock, Rokoko und Neoklassizismus sind an den Fassaden zu finden. Besonders stechen die Fachwerkhäuser am Ufer der Leie bei einer Bootsfahrt ins Auge. Im Zentrum Flanderns ist Gent perfekt gelegen, "darum ist die Stadt so beliebt", erklärt Bootsführer Patrick Büchner, bevor er uns in das Geheimnis der hiesigen Kulinarik einweiht: "Belgische Küche ist wie französische Küche, nur in deutschen Portionen". Nickend greifen wir uns an die Bäuche.

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Anreise WienBrüssel wird mehrmals täglich von Brussels Airlines und Austrian Airlines geflogen.brusselsairlines.com, austrian.com

– Vor Ort mit Mietwagen oder mit der Bahn. Das belgische Eisenbahnnetz ist sehr dicht. www.belgianrail.be/de

Essen und Trinken Max in Gent: Die Belgischen Waffeln nach einem alten Familienrezept werden in 120 Jahre alten Eisen gebacken. www.etablissementmax.be/?lang=en

– Pakhuis in Gent: Restaurant in einer ehemaligen Lagerhalle, die immer noch industriellen Charme versprüht. 3-gängiges Menü ab 29 €. www.pakhuis.be/en/

–Chambre Séparée in Gent: Kobe Desramaults tischt um 210 € ein exklusives 20-gängiges Überraschungsmenü auf. Getränkebegleitung 80 €. Der extravagante Koch akzeptiert keine großen Gruppen, nimmt auf Unverträglichkeiten keine Rücksicht und fordert die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Gäste. Reservieren muss man trotzdem lange im Voraus. www.chambreseparee.be/eng

– Carcasse in Koksijde: Michelin-Stern prämiertes Restaurant von Hendrik Dierendonck. Das Fleisch, ein Gedicht. Vorspeisen ab 14 €, Hauptspeisen ab 35 €. www.carcasse.be/en/

Souvenir in Ieper: Der Isländer Vilhjalmur Sigurdarson kredenzt in seinem stylischen Hauben-Lokal raffinierte Gerichte aus nachhaltigen Produkten. 3-gängiges Wochenmenü um 38 €. Achtung: Das Lokal schließt im Februar in Ieper und eröffnet im März wieder in Gent. www.souvenir-restaurant.be/en/food/

Übernachten Sandton Grand Hotel Reylof in Gent: feudales Boutiquehotel. Ein Teil des Hauses stammt noch aus dem 18. Jh. im Stil von Louis XIV., eindrucksvolle Lobby, geschmackvolle Zimmer. www.sandton.eu/gent

Pferdefischer Die meisten Termine sind im Juli und August, einzelne Tage reiten die Pferdefischer auch im Juni und September aus. Da die Uhrzeit immer von den Gezeiten abhängt, gibt es keine einheitlichen Termine. Details unter oostduinkerke.com/de und www.facebook.com/Paardenvissers-Oostduinkerke-277751098944989

Le Monde des Mille Couleurs Der biodynamische Farmer Dries Delanote beliefert ausschließlich Spitzengastronomen. Infos zu seiner Farm unter millecouleurs.be

Bootsfahrt in Gent De Bootjes van Gent – Rederij Dewaele, z.B. 40 Min. Rundfahrt durch das mittelalterliche Gent auf Englisch mit illustrierten Übersetzungen ins Deutsche um 7€/Person, Privatboot bis zu zehn Personen mit deutschsprachigem Guide um 100 Euro. www.debootjesvangent.be/de/Uberblick

Angebot Columbus hat mit "Unbekanntes Flandern" eine Rundreise mit allen Highlights, aber auch Geheimtipps von Flandern im Programm. (Brüssel, Mechelen, Antwerpen, Brügge, Gent) Inklusive Besuch der Krabbenfischer bei der Arbeit und auf dem Hof mit Verkostung des Tagesfanges. 6 N/F in 3*- und 4*-Hotels um 1250 €/P. im DZ. Termine: 8.–13.6.2018 und 24.– 29.8.2018 ☎ 01/534 11 34, veranstalter@columbus-reisen.at, www.columbus-reisen.at

Auskunft Tourismuswerbung Flandern in Wien, ☎ 01/5960606, www.visitflanders.com

–Tourismusamt Koksijde www.visitkoksijde.be/de