Uni-Vergleich: Wie machen das die Schweizer besser?
KURIER: Die Schweiz gilt als Vorbild im Uni-Bereich. Als Argument gegen Zugangsregeln hört man oft: Die Schweiz hat doch auch einen offenen Hochschul-Zugang.
Thomas Bieger: Jeder, der Matura hat, hat freien Zugang zu allen Studienfächern. Der Unterschied ist unsere viel tiefere Maturantenquote (in der Ostschweiz 15 Prozent, Anm.) durch strenge Aufnahmetests für das Gymnasium. Unser Regelweg ist die Berufslehre, die über das Fach-Abitur zu Fachhochschulen führt. Der zweite große Unterschied: Wir dürfen für ausländische Studierende Quoten festsetzen. In St. Gallen haben wir seit den 1960ern eine 25-Prozent-Grenze. So haben wir sehr gute ausländische Studierende, die das ganze Niveau nach oben ziehen.
Christoph Badelt: Bei uns wird diese Frage oft völlig auf den Kopf gestellt: Man sagt, die Schweiz hat einen offenen Uni-Zugang. Nur hat sie auch das, was man bei uns gesellschaftspolitisch ablehnt: eine noch offensichtlichere Selektion in der Schule. Wenn man so eine Selektion hat, kann man leicht den offenen Hochschulzugang praktizieren. Bildungspolitisch halte ich die Situation in Österreich für besser, weil wir höhere Maturanten-Quoten haben. Nur muss man dann eben die Unis finanziell besser ausstatten oder einen geregelten Zugang haben.
St. Gallen wird zu 30 Prozent aus Drittmitteln von der Wirtschaft finanziert – wieso geht das bei uns nicht?
Badelt: Was durchaus geht, sind Forschungsprojekte, die finanziert werden. Wir haben aber in Österreich keine Tradition, dass ohne unmittelbare Gegenleistung etwas an Unis gegeben wird.
Bieger: Je höher die Steuern- und Abgabenquote in einem Land, desto geringer die Bereitschaft, an die Unis zu geben. Langfristig gesponserte Lehrstühle wie in den USA, wo die Abgabenquote noch geringer ist als bei uns – da stoßen wir auch an Grenzen.
Badelt: Ich höre immer wieder von Vertretern der Wirtschaft: "Wir zahlen doch nicht zwei Mal." In letzter Zeit sind vor allem die Banken verärgert, dass sie auf der einen Seite neue Abgaben zahlen und auf der anderen Seite dann etwas für öffentliche Unis zahlen sollen.
In Österreich wird um Studiengebühren von 360 Euro pro Semester gestritten, Sie verlangen von Schweizern ca. 2000 Euro pro Jahr, von Ausländern knapp 4000. Wie verhindern Sie, dass nur Reiche studieren können?
Bieger: Wir haben Stipendien, wir können in Härtefällen Gebühren erlassen. Die soziale Durchmischung ist durch die Gebühren nicht schlechter geworden. Sie sind auch kein großes Thema im Verhältnis zu den gesamten Studienkosten und zu dem, was viele Studierende im Nebenerwerb verdienen können. Studiengebühren haben aber positive Effekte: Die Studierenden sehen, dass das Studium einen Wert hat. Sie nehmen es ernster, dadurch gibt es eine ganz andere Kultur an der Universität.
Badelt: In einer Welt, in der Sie tun können, was Sie wollen, und gelegentlich an der Uni vorbeischauen, in dieser Welt entsteht Beliebigkeit. Wenn ich weiß, ein Studienplatz muss erarbeitet werden und ich muss im Studium weiterkommen, entsteht eine andere Stimmung.
Bummelstudenten
Ein Drittel der Studierenden in Österreich macht so wenige Prüfungen, dass sie als "inaktiv" gelten. Jetzt will Minister Töchterle die Unis belohnen, wenn sie ihre Bummler "aktivieren".
Badelt: Wir sollten das Thema angehen –, aber bitte von Seiten des Gesetzgebers. Wir haben an der WU ein paar Tausend Studierende, die in der Studieneingangsphase gar nicht mehr machen dürfen als ein paar Prüfungen –, aber dafür dürfen sie unendlich lang brauchen. Da kann man nicht kommen und sagen, die Unis müssen die Studierenden aktivieren. Wir haben weder Zugangsregeln noch Studiengebühren – und dann noch ein Studienrecht, in dem man unendlich lang studieren darf. Das ist eine enorme Vergeudung von Steuermitteln und Lebenszeit der Studierenden.
Bieger: Wir haben das Problem nicht. Wenn sie den Einzahlungsschein bekommen für 1250 Franken pro Semester, dann überlegen sie sich das. Wir haben als Gegeneffekt viele, die sich beurlauben lassen, wenn sie ein Praktikum machen. Dann sind sie zwar für eine Zeit draußen aus der Uni –, aber sie sind auch nicht halb drin.
Badelt: Das Nächstliegende wäre, die Gebühren an die Zahl der Lehrveranstaltungen zu binden, die man im nächsten Semester plant – und dafür hat man dort auch ein Recht auf einen Platz. Dann können Sie ein Studium mit Teilzeit-Quote betreiben. Das ist ja völlig in Ordnung: Wenn jemand weniger als ein Vollzeit-Studierender macht, verbraucht er auch weniger Ressourcen. Es ist wie bei vielen bildungspolitischen Themen: Es fehlt nicht am Wissen, sondern an der politischen Entscheidungskraft, die Dinge umzusetzen.
Thomas Bieger: Universität St. Gallen
Zur Person Jahrgang 1961, studierte Wirtschaftswissenschaften. 1987 promovierte er zum Dr. rer. pol. im Fachbereich Volkswirtschaftslehre und Regionalwirtschaft. Seit Februar 2011 ist Bieger Rektor der Schweizer Universität St. Gallen.
Zur Uni St. Gallen hat die größte wirtschaftswissenschaftliche Fakultät im deutschsprachigen Raum und ist vor allem für Beiträge zur systemorientierten Managementlehre bekannt. In internationalen Rankings belegt St. Gallen regelmäßig Top-Plätze.
Christoph Badelt: Wirtschaftsuni Wien
Zur Person Jahrgang 1951, Wirtschaftswissenschaftler und seit 2002 Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien. Von April 2005 bis Dezember 2009 war Badelt außerdem Präsident der Österreichischen Rektorenkonferenz.
Zur Uni Die WU hat auch international einen guten Ruf. In den vergangenen Jahren gab es stets ein Vielfaches an Studienanfängern, als Kapazitäten vorgesehen sind. Badelt klagte auf neue Leistungsvereinbarungen, bekam recht und eine Nachzahlung.