Schwarzer: "Übermutter, ob ich will oder nicht"
Von Birgit Braunrath
Keine Leuchtschrift, keine Werbetafel. Nur klein steht EMMA neben dem Klingelknopf. Die schwere Stahltür lässt sich nur mit Kraft öffnen. Dann betritt man den alten Wehrturm am Rhein, der bis 1880 das Wahrzeichen von Köln war. Im Turm befindet sich die Redaktion der Frauenzeitschrift EMMA , deren Verlegerin und Herausgeberin Alice Schwarzer ist. Die streitbare Feministin gibt ihre Interviews am liebsten per eMail. Im KURIER spricht sie persönlich - über ihr neues Buch, in dem die Journalistin und Biografin erstmals ihr eigenes Leben erzählt: von der ledigen, überforderten Mutter, dem fürsorglichen Großvater, der sie bemuttert und großgezogen hat. Und von der streitbaren Großmutter, die ihr Kampfgeist mitgegeben hat.
KURIER: Wenn man den Turm betritt, ist zu lesen: "Wer den Turm hat, hat, hat die Macht." Ist das eine Metapher auf die Frauen in Köln?
Alice Schwarzer: Was heißt hier Köln (lacht)? Das sagt die Geschichte über diesen Turm, der 600 Jahre das Wahrzeichen der Stadt war, und der im 13. Jahrhundert vom Volk gestürmt worden ist. Die haben hier den Erzbischof verjagt.
Und jetzt sitzen Sie hier ...
Ja, das ist doch schön. Wenn ich Besuch aus dem Ausland habe, stolze, erfolgreiche Frauen, dann sind die ganz geblendet und sagen: "Alice, wie hast du DAS geschafft?"
Wer in Ihrem Buch eine Abrechnung mit den Männern erwartet, wartet vergeblich. Wie Sie über den Großvater erzählen, das rührt zu Tränen. Die Männer kommen sympathisch weg. Setzen Sie ein Friedenszeichen? Ist das Kalkül?
Es ist meine Wahrheit. Von Kalkül kann gar keine Rede sein. Ich bin Feministin, weil ich in meinem persönlichen Leben nur positive Erfahrungen mit Männern gemacht habe, auch wenn ich weiß, dass da draußen anderes los war und ist. Meine soziale Mutter ist ein Mann, ich verdanke meinem Großvater mein Leben. Darum bin ich ein stolzes kleines Mädchen geworden. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es Männer gibt, die mich für minderwertig halten. Und genau von da her, vom Stolz, kommt meine Empörung.
In Ihrem Buch zeigen Sie eine emotionale, frauliche Seite ...
In der Berichterstattung herrscht darüber Fassungslosigkeit: Es gibt anscheinend zwei Alice Schwarzer. Da gibt es diese junge, rasante, von der man sagt: "Mensch, die war doch sexy, frech, lebenslustig." Und da gibt es dieses feministische Über-Ich, die Domina, die dogmatische, strenge Nervensäge. Dabei hat natürlich die Alice von heute über die Alice von gestern geschrieben.
Die Strenge wird Ihnen derzeit von vielen vorgeworfen, gepaart mit dem Vorwurf, Sie würden niemand anderen gelten lassen.
Vor allem von jüngeren Kolleginnen, die ein angespanntes Verhältnis zu mir haben, weil ich die Übermutter bin - ob ich will oder nicht. Ich hasse diese Rolle, aber bitteschön, ich bin dazu verurteilt. Doch dieses angespannte Verhältnis hat, glaube ich, auch mit Neid und Rivalität zu tun. Man muss es einfach mal aussprechen.
Als Sie für die Recherchen zum Buch in das Dorf reisten, in dem Sie als Kind gelebt haben, erzählte Ihnen eine Frau, man habe damals gedacht, Sie führten eine Art Pippi-Langstrumpf-Existenz. War Ihnen das bewusst ?
Nein, mir war nicht klar, dass das so gewirkt hat. Aber in der Tat ist meine Familienkonstellation etwas Besonders: Zum einen sind da die jungen Großeltern. Man hat als Kind ja mehr Freiheiten bei Großeltern. Und dann gibt es diese Rollenverkehrung - der Großvater ist der Fürsorgliche, Mütterliche, die Großmutter ist die politische, anstrengende Person. Sie hat die Nazis gehasst und auch einiges riskiert, um Menschen zu helfen. Aber diese Zeit hat sie auch tief traumatisiert. Ich hatte daher als Kind schon sehr früh Verantwortung. Zum einen für die Großmutter und später auch für den Großvater, in dieser Ehe, in der die Frau Szenen machte, Nächte durchbrüllte, einfach, weil sie frustriert war.
In Ihrem Buch ist eine starke Solidarisierung mit dem Großvater spürbar. Sie würden das bei fremden Leuten vermutlich anders sehen?
Ganz genau. Wenn ich mich als Feministin über meine Großmutter beuge, ist sie ganz klar ein Opfer des Patriarchats; das Mädchen aus der bürgerlichen Familie, in der nur die Brüder studieren dürfen; die hochpolitisierte Person, die nicht rauskam. Aber als unmittelbar Betroffene habe ich das natürlich strenger gesehen. Ich habe versucht, meinen Großvater zu schützen, der zu liebenswürdig war, um sich gegen sie zu wehren.
Sie geben Sie zu, dass Sie etwas von der Großmutter geerbt haben, dass Sie früher ansatzlos Ihre Tasche auf den Boden geknallt haben ...
... natürlich, natürlich, man entkommt ja diesen Mustern nicht!
Sie haben auch Diskussionen verlassen oder Interviews angebrochen ...
Das ist wieder etwas anderes. Ich habe Diskussionen verlassen, weil ich den Mut habe, gegen Regeln zu verstoßen. Das ist eben diese extreme Konfliktfähigkeit, die ich habe. Das ist sicher auch der Auftrag der Großmutter: Niemals Unrecht geschehen lassen! Wir waren die Töchter jener Frauen, die im Krieg und nach dem Krieg mutig ihren Mann gestanden hatten und dann wieder zurückgedrängt wurden. Nicht zufällig hat meine Generation die Frauenbewegung angezettelt. Wir hatten einen Zorn ohne Worte.
Bei all Ihrer Konfliktfähigkeit: Gibt es Punkte, an denen Sie verletzlich sind?
Ich bin in Wahrheit aus der Nähe sehr verletzlich. Ich kann Krieg mit der ganzen Welt führen, aber in meiner Nähe ist es für mich existenziell, dass keine lauernden, feindlichen Blicke auf mir ruhen.
Die Frauenbewegung hat viel erreicht. Dennoch hat man den Eindruck, dass noch viel zu tun ist und andererseits das Gefühl, es ziehe viele Frauen in die Hausfrauenrolle zurück.
Wir haben den Fortschritt und den Backlash zugleich. Die Welt steht den Frauen offen. Scheinbar ist alles geregelt. Und genau das birgt die Gefahr von innen, dass Frauen
sagen: "Ach, ich habe zwei Kinder und bleib erst mal zehn Jahre zu Hause." Das mag ja ganz nett sein, nur: Die landen in der Sackgasse. Wenn die wieder rauswollen, ist alles zu. Da sitzt die Gefahr. Wir kannten sie von unseren Müttern. Unsere Töchter hingegen kennen die Gefahr der Emanzipation: Die haben gestresste Mütter erlebt, die Probleme mit dem Vater und im Beruf haben. Dadurch sind die ein bisschen zurückgekippt.
Die deutsche Frauenministerin Kristina Schröder hat kürzlich gesagt: "Ich glaube, die frühen Feministinnen haben übersehen, dass Partnerschaft und Kinder auch Glück spenden." Sie haben sie dafür kritisiert. Dann hieß es: Schwarzer geht wieder auf eine Junge los!
Es kann nicht verboten sein, sich sachlich unter Frauen zu kritisieren. Das hieße: Ich nehme Frauen nicht ernst. Wenn ich eine Frau kritisiere, bin ich gleich die böse Übermutter. Ist es gar eine junge Frau, bin ich die alte Feministin, die nicht will, dass junge Frauen was anderes denken. Wie absurd. Was meine inhaltliche Kontroverse mit Frau Schröder angeht: Sie ist Frauenministerin, und wir hören ständig nur, dass ihr die Männer leid tun.
Ist das nicht eine Welle? Der Büchermarkt wird überschwemmt mit Männerratgebern.
Natürlich ist es für die Männer schwierig. Sie müssen sich verändern, sie haben etwas zu verlieren. Wir Feministinnen reflektieren schon lange darüber: Was ist ein Mann in einer Welt, in der eine Frau auch ein Mensch ist?
Heiner Lauterbach hat auf die Frage "Mit wem wollen Sie einen Tag tauschen?" geantwortet: "Mit Alice Schwarzer, denn dann könnte ich die Frauen besser verstehen."
Da hat er ganz recht, der Gute (lacht)! Ganz sicher verstehen Frauen mehr von Frauen als Männer von Frauen. Ich glaube übrigens, dass die Lektüre von EMMA die Männer fitter macht, Frauen anzubaggern. Gunther Sachs hat einmal etwas Rührendes gesagt. Ein Journalist hat ihn, so ein bisschen glitschig, gefragt: "Herr Sachs, verraten Sie uns das Geheimnis eines Playboys! Wie haben Sie die Frauen erobert?" Da hat er ruhig geantwortet: "Ich habe ihnen einfach zugehört."
Man sagt, dass nach dem Tod von Gunther Sachs Udo Jürgens der letzte Playboy ist. In Ihrer Biografie sieht man, dass er Sie verehrt hat.
Verehrt ist stark übertrieben. Er hat mich mal angebaggert. Aber mein Lebensgefährte sah blendend aus und konnte locker mithalten. Ich hatte also wenig Grund, fremdzuflirten. Und - der liebe Udo möge mir verzeihen - die gelackten Typen, die so siegessicher Frauen anbaggern, die waren nie mein Cup of tea.
Welche Frage, die Sie gern beantworten würden, habe ich Ihnen nicht gestellt?
Also, was ich interessant finde: Was sagen Sie zu den ersten Reaktionen auf Ihr Buch?
Darüber müssen Sie doch hoch erfreut sein. Das allgemeine Staunen ist groß. Die "Welt am Sonntag " schreibt gar: "Eine Sensation!"
Vermutlich, weil es für Alice Schwarzer, die so offen wie möglich über ihr Leben schreibt, nicht schwer ist, eine Sensation zu sein. Denn das Schwarzer-Bild, das im Raum steht, ist so ein lächerliches Klischee, dass der Mensch, der dahintersteht, einfach überraschen muss.
Leben und Werk: Alice Schwarzer
Zur Person Geboren 1942 in Wuppertal, wuchs sie als Kind der Nachkriegsgeneration bei den Großeltern auf. Sie wurde Journalistin und lebte einige Jahre in Paris, wo sie Simone de Beauvoir kennenlernte. 1977 gründete sie die Frauenzeitschrift EMMA .
EMMA Das feministische Magazin hat heute 30.000 Abonnentinnen, jede dritte Leserin ist unter 30. Seit Kurzem sind alle alle EMMA- Ausgaben ab 1977 digitalisiert. Info unter: www.emma.de/service/emma-lesesaal.
Das Buch In ihrer eben erschienenen Biografie "Lebenslauf" erzählt Schwarzer über ihre Kindheit und Jugend - was sie geprägt hat und warum sie die wurde, die sie ist. Private Bilder ergänzen die sehr persönlichen Texte.
Termine, Lesungen Am Dienstag, 4. 10., liest Schwarzer um 19 Uhr in der Wiener Hauptbücherei am Gürtel (Urban-Loritz-Platz 2a), anschließend spricht sie mit Günter Kaindlsdorfer. Am Mittwoch, 5. 10., liest sie um 19 Uhr in Graz in der Aula der Alten Universität am Freiheitsplatz.