Österreicherin sucht Leben im All
Von Birgit Braunrath
Tausende Geowissenschaftler aus ganz Europa verlassen das Austria Center. Lisa Kaltenegger überragt alle – sie ist 1,83 m groß. Die Astrophysikerin ist aus Deutschland angereist, um auf dem Geologenkongress einen Vortrag zu halten.
Kaltenegger, 35, stammt aus Kuchl, studierte in Graz Technische Physik und Astronomie, arbeitete danach in Holland bei der ESA auf der Suche nach anderen Erden und wurde mit 27 nach Harvard abgeworben. Dort forschte und unterrichtete sie, bis sie vor eineinhalb Jahren die Chance bekam, eine siebenköpfige internationale Forschergruppe am Max-Planck-Institut in Heidelberg zu leiten.
Derzeit ist sie neun Monate pro Jahr in Heidelberg und drei Monate in Harvard. Am kommenden Mittwoch aber ist sie in Berlin, auch ihre Eltern und ihre Schwester werden da sein. Denn da bekommt sie die höchste Auszeichnung für junge Forscherinnen und Forscher in Deutschland: den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), benannt nach einem Experimentalphysiker und ehemaligen Vorsitzenden der DFG.
Doch zurück zum KURIER-Interview in Wien, das anlässlich ihre Vortrags auf dem Geologen-Kongress stattfand. Wir wandern vom Austria Center zum STRABAG-Haus mit der "Kunst-Location Gironcoli-Kristall" – vorbei an Skulpturen von Bruno Gironcoli, vorbei am Vienna International Center, in Wien bekannt als UNO-City. Lisa Kaltenegger blickt auf die Türme der UNO-City und eröffnet das Gespräch:
Lisa Kaltenegger: (Zeigt auf das höchste UNO-Gebäude) Dort oben ist das Office for Outer Space. Dort gibt es eine Person, die von der UNO designiert ist, Kontakt aufzunehmen – für den Fall, dass es wirklich anderes Leben gäbe.
KURIER: Aber wenn Sie nach biologischen Aktivitäten im All suchen, werden Sie doch kaum davon ausgehen, dass die "sprechen" können?
(Lacht) Genau, absolut!
Haben wir es da eher mit Mikroben zu tun?
Ja, das ist viel wahrscheinlicher. Denn wenn man die Erde anschaut, gab es bereits lange Leben, bis wir so weit waren, Teleskope zu bauen. Wenn man sich das auf einer 24-Stunden-Uhr vorstellt, sind wir, also die Technologie, nur die letzten Sekunden.
Wie kamen Sie auf die Idee, Astrophysikerin zu werden?
Das war eigentlich spät, im Vergleich zu Kollegen: Als ich 16 war, gab es bei uns in Salzburg am Gymnasium Wahlfächer, und da war Astronomie dabei, außerdem konnten wir Pluskurse für Begabte an der Uni belegen, da bin ich das erste Mal in die Chaos-Theorie eingetaucht und hab mir gedacht: Das ist spannend!
Und daraufhin stand Ihre Studienrichtung fest?
(Lacht) Nein, mit 18 habe ich fünf Studien gleichzeitig begonnen: Film- und Medienkunde, Technische Physik, Astronomie, Übersetzer und Betriebswirtschaft mit Japanisch. Übrig geblieben sind Technische Physik und Astronomie, die hab’ ich abgeschlossen.
Sie waren noch nicht 30, als Sie in Harvard selbst zu unterrichten begannen. Und Sie durften dort "Core-Kurse" halten. Was genau ist das?
Ja, ich hatte Glück, Core-Kurse bekommt man nur, wenn man besonders gutes Feedback hat. Das sind Kurse für sogenannte "Non-Science-Majors", also Leute, die nicht Wissenschaft studieren, aber vielleicht der nächste Präsident von Amerika werden (schmunzelt). Dort muss man wirklich spannend unterrichten, um die Nicht-Wissenschaftler für die Wissenschaft zu begeistern.
Sie legen Wert darauf, Kompliziertes einfach zu erklären. Das tun nicht alle auf Ihrer Flughöhe ...
Ja, da gibt es einen Riesenunterschied zwischen Europa und Amerika. Wenn man gut war, musste man Dinge in Europa früher so erklären, dass sie keiner mitbekommt. Aber ich denke, das ändert sich auch hier allmählich.
Was bedeutet der Heinz-Maier-Leibnitz-Preis für Sie?
In Europa wird man, im Gegensatz zu Amerika, als Frau, noch dazu als junge Frau, in der Forschung oft schief angeschaut. Aber seit ich sage, dass ich diesen Preis bekomme, hören mir plötzlich alle zu. Das ist wichtig für den Werdegang.
Können Sie, obwohl Sie ständig beruflich ins All schauen, romantisch in den "Sternenhimmel" blicken?
Absolut! Ich kann raufschauen und mir dabei denken: "Wunderschön, das ist eine Supernova." Da läuft dann der wissenschaftliche Rechner mit, das ist wie eine zweite Ebene. Aber ich kann ihn auch ausschalten, wenn ich mit meinem Freund nachts in den Himmel schau’. Da bringt das Wissenschaftliche nichts (lacht).
Und was ist, kinderleicht erklärt, ein Exoplanet?
Ein Exoplanet ist ein Planet, der um einen anderen Stern kreist, also um eine andere Sonne als die unsere. Denn alle Sterne, die wir sehen, sind Sonnen. Ein Exoplanet kann ein Planet sein wie Jupiter oder wie die Erde – oder auch ganz anders.
Und wie viele sind – möglicherweise – so wie die Erde?
Diese Forschung ist an einer spannenden Schwelle: Wir finden derzeit die ersten Planeten, die massearm und klein genug sind, dass sie wie die Erde sein könnten. Wir können aber noch nicht sagen, wie die Atmosphäre dort ist. Dazu brauchen wir ein besseres Teleskop.
James Webb von der NASA?
Ja, James Webb soll 2018 als Nachfolger des Weltraumteleskops Hubble in Betrieb gehen. Aber auch große Teleskope auf der Erde sind in Bau, so wie das E-ELT (European Extremely Large Telescope).
Damit untersuchen Sie den "spektralen Fingerabdruck" der Planeten. Was ist das?
Das Licht, das der Planet reflektiert und emittiert (aussendet, Anm.). Es ist ähnlich wie in einer Krimiserie: Mit dem spektralen Fingerabdruck können wir Planeten identifizieren und feststellen, ob wir es mit einer Venus oder einer Erde zu tun haben.
Und wann haben wir es mit Leben zu tun?
Der Licht-Fingerabdruck, der Leben zeigt, ist: Wasser, Sauerstoff – oder Ozon – gemeinsam mit einem reduzierenden Gas wie Methan. Danach suchen wir bei den kleinen Planeten, die warm genug sind für flüssiges Wasser an der Oberfläche.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es biologische Aktivität außerhalb unseres Sonnensystems gibt?
Die Wahrscheinlichkeit kann man noch nicht abschätzen. Wir wissen, dass es überall im Universum Wasser gibt. Eine der Grundlagen für Leben, laut Biologen. Die andere Frage ist: Worauf baut Leben bei uns auf? Das ist Kohlenstoff. Den gibt es auch überall. Bleibt die Frage: Wie schnell kann Leben unter welchen Bedingungen entstehen?
Dabei helfen die Biologen?
Dazu gibt es den parallelen Ansatz der Biologie: Im Labor werden, einfach gesagt, chemische Ingredienzien für Leben gemixt, heißer , kälter gemacht, geschüttelt ... Vielleicht findet man da Bedingungen, die die Entstehung von Leben begünstigen. Dann sagen die Biologen uns, wo wir konkret suchen sollen. Umgekehrt: Wenn wir raufschauen und entdecken, dass es auf den heißen Planeten Leben gibt, aber auf den kühlen finden wir’s nicht, oder umgekehrt, können die Biologen die Temperatur im Labor raufschrauben, und plötzlich klappt es.
Im Dezember 2011 hat die Veröffentlichung der Entdeckung von "Kepler 22b" – angeblich ein "erdähnlicher Exoplanet" – weltweit für Aufregung gesorgt ...
Ja, aber das war ein Missverständnis bei der Pressekonferenz: Der 22b ist kein erdähnlicher Planet, sondern einer, der in der richtigen Entfernung von seiner Sonne kreist, sodass er habitabel wäre, wenn er so klein wäre wie ein Felsenplanet (wie etwa die Erde) oder wenn er einen Erd-großen felsartigen Mond hätte. Jeder hätte gerne schon einen Erdähnlichen – und das kommt dann leider manchmal raus bei Pressekonferenzen (schmunzelt) .
Warum sind die Menschen so fasziniert von dem Gedanken, dass irgendwo da draußen Lebewesen existieren?
Die Faszination, so wie ich sie sehe, kommt daher, dass wir uns gerne in Kontext setzen. Es ist nicht schön, zu glauben, dass man allein auf weiter Flur ist. Wir schauen rauf und sehen eine wahnsinnige Weite, sehen diese Punkte von Licht und denken: "Das sind andere Sonnen. Vielleicht gibt es dort Planeten, auf den auch gerade jemand raufschaut ..."
Kollegen von Ihnen sagen: Würde jemand kommen, dann nur in böser Absicht. Sonst gäbe es keinen Grund, so weit zu reisen. Was sagen Sie zu der Theorie?
In Science-Fiction-Filmen sieht man das häufig: Die kommen, weil sie irgendetwas brauchen. Sagen wir, denen geht das Wasser aus. Warum gehen sie dann nicht einfach ein bisschen weiter raus in ihrem eigenen Sonnensystem, zu den Asteroiden? Die sind zum Teil Schneebälle, es wäre um einiges intelligenter, die aufzutauen, statt durch den interstellaren Raum bis zur Erde zu fliegen. Ich habe ein Problem damit, dass durch Science-Fiction die Idee der Kriege überhand genommen hat. Aber es macht einfach das bessere Kino, wenn etwas explodiert und der Held die Welt retten kann.
Und das Argument, dass jemand unseren Planeten gerne hätte, weil er perfekt ist?
Das zählt für mich nicht wirklich. Für uns ist er perfekt. Aber dass es ein anderes Lebewesen gibt, das sich genau für diese Bedingungen entwickelt hat, den Planeten verliert und dann in böser Absicht bei uns auftaucht – also, da kommt mir ein bisschen viel zusammen ...
Beschäftigen Sie sich mit Science-Fiction?
Ich lese hin und wieder Science-Fiction-Romane, aber die meisten meiner Kollegen sind da um einiges versierter. Mit meiner Forschung hat das wirklich nichts zu tun.
Gibt es realistische Plots?
Manche Serien wirken gut informiert, auch, was die aktuelle Forschung betrifft. Da fällt mir etwas ein (lacht). Es gibt dieses "Stargate Universe". Eine Freundin hat mich angerufen und gesagt: "Lisa, das musst du dir anschauen! Die sind auf einem Weltraumschiff, suchen einen Planeten, auf dem sie überleben können, stehen an der Konsole und messen den spektralen Fingerabdruck des Planeten. Sie prüfen, ob es Wasser, Sauerstoff und Methan gibt ..." Und das ist genau das, was wir in unserer Forschung machen, da hat sich die Science-Fiction etwas abgeschaut. Und meine Freundin hat gesagt: "Wenn’s deine Forschung schon bis ins Serien-Abendprogramm geschafft hat, solltest du dringend etwas Neueres machen!"
Welche Frage, die ich nicht gestellt habe, möchten Sie noch beantworten?
(Überlegt) Was ist wichtig in der Wissenschaft? Und da würd’ ich antworten: "Neugier. Immer versuchen, Unerklärtes zu erklären."