Nigeria: Der angeschlagene Moloch
Von Walter Friedl
Über den "Bill Clinton Drive" gelangt man vom Flughafen Abujas über einen völlig überdimensionierten Highway ins Zentrum der nigerianischen Hauptstadt. Ein Prestigeprojekt, das die Größe und Bedeutung des Landes hervorstreichen soll. Doch man muss nicht zwei Mal hinsehen, um zu erkennen, dass dieses Streben weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt – die Strommasten gleich neben den Fahrbahnen sind zwar imposant, leider aber nutzlos, weil die Leitungskabel fehlen.
Energie – das ist für den sechstgrößten Erdöl-Produzenten weltweit paradoxerweise eines der zentralen Probleme. Gerade einmal 3200 Megawattstunden werden generiert – und das für ein Land elf Mal so groß wie Österreich mit knapp 170 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: Allein die Kapazität Kapruns liegt bei 840 MW. Strom gibt es daher nur in homöopathischen Dosen, zumeist müssen Diesel-Aggregate angeworfen werden. Das Hilton-Hotel in Abuja verheizt im Bedarfsfall 30.000 Liter. Pro Tag.
Desolate Infrastruktur
Weil die staatliche Infrastruktur flächendeckend desolat ist, macht sich jedes Unternehmen so weit wie möglich autark. Das deutsche Bau-Unternehmen Julius Berger etwa, dessen Chef ein Österreicher ist (siehe unten), hat sich sogar einen eigenen Hafen zugelegt. Denn in Lagos warten Schiffe wochen-, ja sogar monatelang auf die Löschung der Ladung.
Der brodelnde Mega-Moloch – im Großraum leben bis zu 20 Millionen Nigerianer – ist aber auch für seine immense Kriminalität bekannt. Gangs kontrollieren ganze Viertel, die Polizei schaut weg oder schneidet mit bei den Schutzgeld-Erpressungen. Ein Menschenleben ist nicht viel wert – rund 100 Euro zahlt man für einen Killer. Weiße verbarrikadieren sich daher in ihren Häusern hinter Mauern, Stacheldraht und elektrischen Zäunen. Private Security ist unerlässlich.
Ein Hauptgrund, der die Wirtschaftsmetropole Lagos zu einem so heißen Pflaster macht, ist die bittere Armut im Land. Es gibt zwar einen gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet 90 Euro, doch Hausangestellte werden meist mit 30 Euro abgespeist. Die Folge: 100 Millionen Menschen müssen mit 75 Eurocent pro Tag auskommen, im muslimischen Norden ist die Not noch schlimmer. Hier haben drei von vier Einwohnern nicht einmal einen halben Euro pro Tag zur Verfügung.
Dieses Gefälle zum christlich dominierten Süden nützen radikale Kräfte, um einen Religionskrieg zu entfachen. Fast schon jeden Sonntag sind Kirchen Ziele von Selbstmordattentätern der Terrorgruppe Boko Haram, die sich als die "Taliban Nigerias" verstehen. In dem Konflikt geht es zwar auch um ethnische Spannungen (im Land leben 250 größere Völker) und um Weiderechte, doch Prediger auf beiden Seiten setzen auf konfessionelle Konfrontation. Ein Spiel mit dem Feuer, sind die Nigerianer laut einer Studie doch die religiösesten Menschen weltweit – 90 Prozent würden für ihren Glauben sterben.
Tatsächlich durchdringt die Religion sämtliche Bereiche. "Gott ist unsere Sicherheit" steht etwa sogar auf den öffentlichen Kleinbussen in Abuja. Hier, an der Independence Avenue, sind die "Große Moschee" mit der prächtigen goldenen Kuppel und die ökumenische Kathedrale nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Schon bei der Planung der Hauptstadt war dies als bewusstes Signal gedacht, um das friedliche Miteinander zu veranschaulichen, das jetzt so bedroht ist.
Sowohl Christen als auch Muslime mobilisieren – und schauen, dass ihre "Kriegskasse" voll ist. So verlangen die vielen evangelikalen Freikirchen von ihren Schäfchen zehn Prozent des Einkommens – und erhalten es meist auch bereitwillig. Als ein Prediger einmal kundtat, dass die Gemeinde ein neues Fahrzeug benötige, fand er angeblich 23 Autoschlüssel im Klingelbeutel.
Die besonnenen Geistlichen versuchen mit Dialog gegenzusteuern. Etwa der Erzbischof von Abuja, John Onaiyekan, oder Muhammad Saad Abubakar III., die oberste moralische Autorität der nigerianischen Muslime. Letzterer meinte bei einem kürzlichen Treffen mit Außenminister Michael Spindelegger im Thronsaal seines Sultanats: "Muslime und Christen befinden sich nicht in einem Krieg. Lasst uns gemeinsam die teuflischen Mächte bekämpfen."
"Man muss stets mit Rückschlägen rechnen"
Er ist schon seit 21 Jahren in Nigeria und hat es bis an die Spitze des deutschen Baukonzerns Julius Berger gebracht: Der Tiroler Wolfgang Goetsch ist Chef des größten Arbeitgebers des Landes (20.000 Mitarbeiter). Mit österreichischen Journalisten sprach er im Unternehmenssitz in Abuja über...
... die generelle Situation
Nigeria hatte seit der Unabhängigkeit 1960 bis 1999 fast nur Militärdiktaturen. Jetzt ist das Land in einer Übergangsphase, aber es geht in die richtige Richtung. Als Unternehmer muss man stets mit Rückschlägen rechnen und sie einkalkulieren. Nigeria tickt eben anders.
... Potenziale
Ich sehe viel mehr Möglichkeiten als das Öl-Geschäft (das 85 Prozent zu den gesamten Staatseinnahmen beisteuert) . Vor allem im Energiesektor. Ich denke an die Errichtung von Erdgas-Kraftwerken zur Produktion von Strom. Denn 30 Prozent des geförderten Gases werden einfach abgefackelt – das entspricht dem jährlichen Verbrauch von Belgien. Auch in der Landwirtschaft sehe ich künftig gute Möglichkeiten. Und natürlich in der Bevölkerung, die eine sehr fleißige ist. Unsere Leute etwa arbeiten alle zwischen 56 und 60 Stunden pro Woche.
... das Negativ-Bild in Europa
Sicher, es gibt Schwierigkeiten, aber das hat sich das Land nicht verdient. Wenn sich die Europäer (hinsichtlich eines stärkeren wirtschaftlichen Engagements) nicht bewegen, treiben wir das Land noch mehr in die Arme von China oder Indien. Das wollen die Nigerianer aber gar nicht, die wollen Europa. Allein aus Selbstschutz müsste Europa agieren. Denn gibt es hier keine positive Entwicklung, kommen Millionen Menschen in Bewegung – Richtung Europa.
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