Kim Jong-Il ist tot: Tränen und Raketentest
Kim Jong-Un ist Vier-Sterne-General und Vize-Vorsitzender in Nordkoreas mächtiger Militärkommission. Vor allem aber ist er eines – Sohn: Der drittgeborene Sprössling des plötzlich verstorbenen Diktators Kim Jong-Il erfüllte aus der Sicht seines Vaters alle Kriterien, die es braucht, die „dynastische Nachfolge“ im kommunistischen Nordkorea anzutreten: Widerspruchslos ließ er sich im Vorjahr in die wichtigsten Positionen des Landes hieven; artig absolvierte er an der Seite seines allmächtigen Vaters Staatsbesuche im benachbarten China; er ließ aber sonst keinerlei Neigung erkennen, irgendwelche Reformen im isoliertesten Land der Welt einzufordern.
Über Nacht ist der füllige Endzwanziger nun plötzlich Diktator – und das wohl schneller, als ihm lieb sein dürfte. Denn anders als sein Vater Kim Jong-Il hat der Neo-Diktator, von dem bis vor einem Jahr nicht einmal ein Foto existierte, im eigenen Land noch längst keine Hausmacht.
Im mächtigen Militär haben die alten Generäle, allesamt die Generation seines Vaters, das Sagen. Und auch in Nordkoreas Parteiführung ist nicht klar, ob die alten Granden dem „Jungspund“ nur deswegen folgen werden, weil er der Sohn des „lieben Führers“ ist.
Treu ergeben
Eindringlich rief deshalb gestern die offiziellePropaganda die Bevölkerung dazu auf, dem „großen Nachfolger“ Kim Jong-Un treu ergeben zu sein. Unter dessen „weiser Führung“, lautet die Parole, „kann keine Macht der Erde den revolutionären Fortschritt der Partei, der Armee und der Bevölkerung aufhalten.“
Zur Sicherheit steht dem neuen Diktator die Familie zur Seite: Schwager Jang Song-Taek, einer der mächtigsten Männer des Landes, hat den Jung-Führer ebenso unter seine Fittiche genommen wie einige andere schwergewichtige Mitglieder des Kim-Clans.
Von Kim Jong-Un selbst ist wenig bekannt: Als Teenager soll er unter einem falschen Namen eine Privatschule nahe Bern besucht haben. Dort fiel der dickliche Schüler mit Ausnahme seiner Vorliebe für Basketball und den US-Action-Star Chuck Norris nicht weiter auf. Zurück in Nordkorea, absolvierte er pflichtgemäß die Militärakademie und sparte sich damit den zehnjährigen Militärdienst.
Missratene Brüder
Dass Kim Jong-Un nun überhaupt nach Großvater Kim Il-Sung und Vater Kim-Jong-Il auf den kommunistischen „Thron“ nachrücken darf, hat vor allem mit der Unfähigkeit seiner beiden älteren Brüder zu tun: Der Älteste diskreditierte sich als Glücksspieler und Disneyland-Besucher. Den Zweitgeborenen soll Vater Kim Jong-Il gar als „mädchenhaft“ geschmäht haben.
Blieb also nur Kim Jong-Un – und auch das erst, als den unberechenbaren, nur 1,60 Meter kleinen Diktator 2008 ein schwerer Schlaganfall ereilte. Feuer war am Dach: Sollte die Macht fest in Händen des Clans bleiben, musste die Nachfolge geregelt und Kim Junior zum Nachfolger aufgebaut werden.
Dabei konnte sich die Führung in Pjöngjang auf die wohlwollende Unterstützung Pekings verlassen. Stabilität beim Nachbarn Nordkorea und Ruhe an den Grenzen – das ist es, was Peking vom kleinen kommunistischen Bruderland verlangt. Wer dabei das Land führt, solange er es nur führt – darin will man sich in Peking nicht einmischen.
Mehr als alles andere fürchtet man in China, aber ebenso in Südkorea und in Japan, einen Kollaps des Regimes in Nordkorea. Ein Aufstand würde Millionen bitterarme Flüchtlinge über die Grenzen treiben, die gesamte politische Stabilität Ost-Asiens könnte gefährlich ins Wanken geraten.
Besonders groß ist die Unsicherheit nach dem Tod Kim Jong-Ils in Südkorea: Präsident Lee Myung Bak rief seine Landsleute zur Ruhe auf. Südkoreas Truppen wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Mit dem Nachbarn hat man hier die böse Erfahrung gemacht: Je unsicherer die Lage im Norden, umso eher ist mit einem Raketenangriff aus heiterem Himmel zu rechnen. Zuletzt im November 2010. Und auch am Montag, an Kim Jong-Ils Todestag, testeten die Nordkoreaner eine Kurzstreckenrakete.