Stenzel macht gemeinsame Sache mit Strache
Die derzeitige ÖVP-Bezirksvorsteherin in der Inneren Stadt, Ursula Stenzel, tritt als unabhängige Kandidatin auf der FPÖ-Liste bei der Wiener Gemeinderatswahl am 11. Oktober an. Das teilte die FPÖ am Dienstag in der Früh in einer Aussendung mit - entsprechende Spekulationen gab es ja schon im Vorfeld. Am Vormittag wurde eine gemeinsame Pressekonferenz mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache abgehalten.
Auf Listenplatz 3
Zu der kam Stenzel stilecht im blauen Kostüm. Laut Strache finden er und Stenzel einander in einer "politischen Begegnungszone" wieder. Stenzel wird Spitzenkandidatin im 1. Bezirk und wird auf der FP-Landesliste auf Platz 3. kandidieren. "Wir haben seit Jahren einen respektvollen Umgang und uns immer wieder getroffen", sagt Strache. Stenzel sei immer gegen Ausgrenzung der FPÖ gewesen. Im Hotel Sacher habe man sich zum "inhaltlichen Austausch" getroffen. Da habe habe man viel "inhaltliche Übereinstimmung" entdeckt.
"Ich bin nicht machtgeil"
Stenzel erklärte bei der Pressekonferenz, dass sie die Unterstützung aus der ÖVP verloren hat, weil sie keine "Duckmäuserin" sei. Und mit Straches FP müsse sie ja nicht 120 Prozent übereinstimmen. "Ich habe mich lange auf dieses Outing vorbereite. Ich bin dieselbe geblieben, andere haben sich verändert", sagt Stenzel. Und: "Ich bin nicht machtgeil."
Kommentar von Helmut Brandstätter: Bürgerschreck und Bürgerliche
Mit ihrer Kandidatur will Stenzel "die rot-grüne Dominanz brechen". Die Ausgrenzung der FPÖ sei ein "schwerer demokratiepolitischer Fehler". "Im Schlepptau der SPÖ" habe die ÖVP verloren. "Die FPÖ hat die ÖVP als Volkspartei abgelöst."
"Der Spagat geht sich tadellos aus."
Bei der Pressekonferenz nahm Stenzel auch zum Thema Asyl Stellung. Alle Anstrengungen der Regierung seien bisher "nicht zielführend" gewesen. "Es muss einen Unterschied zwischen Asylsuchenden und Arbeitsflüchtlingen geben", sagt Stenzel. "Ich bin das Signal, dass der Machtwechsel möglich ist." Die FPÖ habe in der Flüchtlings- und Asylpolitik "Realitätssinn bewiesen". Und: "Es geht nicht, dass Deutschland, Österreich und Schweden den Großteil dieser Menschen absorbieren muss." Auch mit der EU-Position der FPÖ habe Stenzel "kein Problem". Die Zusammenarbeit mit der FPÖ in der Inneren Stadt habe immer gut funktioniert. "Der Spagat geht sich tadellos aus", sagt Stenzel.
Strache will mit Stenzel enttäuschte ÖVP-Wähler ansprechen. "Der Umgang mit Ursula Stenzel war schäbig. Daher habe ich mich bei ihr gemeldet und sie gefragt", sagt Strache. Stenzel war von der Volkspartei für den kommenden Urnengang nicht mehr nominiert worden. Für die ÖVP wird Markus Figl - seines Zeichens Großneffe des einstigen Bundeskanzlers Leopold Figl - antreten.
ÖVP-Chef Juraczka "schockiert"
"In der Politik rechnet man mit vielem, aber dass Ursula Stenzel ins Lager von HC Strache wechselt, schockiert mich", reagierte der Wiener ÖVP-Chef Manfred Juraczka. "Ich kann wahrlich nicht nachvollziehen, wie man als Christdemokratin, Bürgerliche und glühende Europäerin für die FPÖ kandidiert, nur um den eigenen Machterhalt zu sichern. Ursula Stenzel hat mich menschlich enttäuscht.“
Und er verriet: "Ich hatte Ursula Stenzel ein Angebot gemacht als Doppelspitze zu kandidieren, nachdem sich die ÖVP-Bezirkspartei in der Inneren Stadt klar für Markus Figl als Spitzenkandidaten ausgesprochen hat. So hätte der Wähler entscheiden können. Dieses Angebot hat Ursula Stenzel nicht angenommen und ist stattdessen zur FPÖ übergelaufen." Er sei überzeugt, dass auch die Wähler schockiert seien - und diesen Schritt weder nachvollziehen können noch goutieren werden.
Häupl: "Extrem schwer nachvollziehbar"
Für SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl ist Stenzels Zug "extrem schwer nachvollziehbar". "Es ist ihre Entscheidung. Ich glaube, sie hat sich selbst nichts Gutes getan. Sie ist erfahren genug - um nicht alt zu sagen, das wäre unhöflich - um zu wissen, was sie tut", so Häupl.
Stenzel, geboren am 22. September 1945 in Wien, lebt seit ihrer Kindheit in der Inneren Stadt. Als Nachrichtensprecherin und Moderatorin des ORF, Korrespondentin und außenpolitische Kommentatorin wurde sie weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. Das half Stenzel dann auch bei ihrem Schritt in die Politik: Für die ÖVP trat sie 1996 bei den Europawahlen an und gewann. Bis 2005 war die streitbare Politikerin EU-Abgeordnete und Delegationsleiterin der ÖVP im Europaparlament.
"Ursula, stress ned"
Mit anderen Politikern krachte Stenzel dabei immer wieder zusammen. So erklärte etwa Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) nach einem Disput um den Bau einer Garage, mit Stenzel nur noch vor Zeugen reden zu wollen. Auch beim Wiener Partyvolk stieß Stenzel im Streit um Feier- und Clubkultur rund um den Schwedenplatz auf wenig Begeisterung: 2011 wurde ihr sogar der Song "Ursula, stress ned" - ein Cover von "Barbra Streisand" von Ducksauce - gewidmet.
In der Gestaltung der Wiener City war mit der bald 70-Jährigen immer zu rechnen: Unter anderem machte sie sich für die Untertunnelung des Schwedenplatzes stark. Auch parteiintern sorgten ihre Ideen mitunter für Debatten: Die Volkspartei sei "zu liberal" und verschrecke dadurch Wähler, ließ sie Parteifreunde etwa wissen. Als Beispiel nannte sie die Zustimmung der Volkspartei zur eingetragenen Partnerschaft für Homosexuelle. Auch zur Kandidatur des (damaligen, Anm.) Salzburger Jung-VP-Chefs und Muslim Asdin El Habbassi für den Nationalrat äußerte sie sich skeptisch.
Stenzel war verheiratet mit dem Kammerschauspieler Heinrich Schweiger, der 2009 verstarb.
Da haben sich zwei gefunden, der Oktoberrevolutionär und die Bürgerliche im Herbst ihres politischen Lebens. Heinz-Christian Strache will ja eine Arbeiterpartei neuen Typs aufbauen, da bringt ein bürgerliches Gesicht noch ein bisschen Farbe dazu. Und Ursula Stenzel fürchtete einen Pensionsschock mehr als den Verlust ihres guten Rufes. Also geht sie jetzt zur FPÖ, obwohl sie politisch für etwas ganz anderes gestanden ist: Weltoffenheit, Toleranz und europäische Einigung. Was tut man nicht alles für ein Mandat im Wiener Gemeinderat und die Hoffnung, im ersten Wiener Gemeindebezirk weiter gehört zu werden. Dass die FPÖ in Wien einen „sozialdemokratischen“ Wahlkampf macht, mit der Betonung von Gemeindebauten und staatlichen Betrieben nimmt die deklarierte Liberale Stenzel in Kauf. Sie wird im FPÖ-Klub keine Rolle spielen wollen, Hauptsache im ersten Bezirk wird ihr Respekt entgegen gebracht. Und vermutlich wird Strache seine neue Mitstreiterin nicht auf den Viktor-Adler –Markt mitnehmen. Die Töne, die er dort von sich lässt, könnten der ehemaligen Journalistin in den Ohren – und im Herz – wehtun.
Aber diese Farce hat noch eine Facette: Die Wiener ÖVP ist mit Talenten ungefähr so gesegnet wie die Fidji-Inseln mit Slalomfahrern. Aber der Chef der Wiener ÖVP, Herr Juraczka, glaubte auf Ursula Stenzel verzichten zu können. Sie hat ja für die ÖVP ohnehin nur die Europawahlen und den bereits verloren geglaubten ersten Bezirk gewonnen. Nach dem heutigen Frontwechsel muss die Wiener ÖVP auf ein hohes ein(!)stelliges Ergebnis hoffen.