Politik/Inland

Warum Strolz plötzlich die Flügel senkt

Das erste Mal erwischt es ihn nach drei Minuten. Er schluckt, seine Stimme ist belegt, die Augen werden glasig und man rätselt, ob Matthias die nächste Viertelstunde einfach nur heult. Es wäre ihm zuzutrauen – der Vorarlberger war immer ein ausnehmend emotionaler Politiker. Und man würde es ihm vermutlich nicht fürchterlich übel nehmen – Schlussmachen und Loslassen gehört zu den schwierigsten Dingen im Leben, in der Spitzenpolitik ganz besonders.

Aber der 44-jährige Chef der Neos fängt sich und verkündet – staatsmännisch im blauen Anzug mit Krawatte und vor einer Österreich- und einer EU-Flagge – vor einem Dutzend TV-Kameras den Rücktritt. Matthias Strolz geht also. Nicht sofort, sondern schrittweise. Den Parteichef gibt er bis Juni ab, den Klubobmann und sein Mandat als Nationalratsabgeordneter legt er „bis Herbst“ zurück.

Doch unterm Strich bedeutet das: In einigen Monaten ist er Privatier, er ist dann ganz raus aus der Politik.

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Ruf des Herzens

„Ich folge dem Ruf meines Herzens“, sagt er. Und: „Ich will nicht Passagier, sondern Pilot meines Lebens sein.“ So kennt man ihn, so hat er immer geredet, der Unternehmensberater, der von der ÖVP abfiel, 2012 die Neos gründete und mit Sätzen wie „Wir müssen den Kindern die Flügel heben“ bekannt wurde.

Und dennoch tut man sich schwer, es einfach zu akzeptieren, zu glauben.

Da schafft einer, was in der Zweiten Republik zuvor noch nie gelungen ist, nämlich mit einer außerhalb des Parlaments gegründeten Partei auf Anhieb in den Nationalrat gewählt zu werden. Und jetzt, da die Neos auch in fünf von neun Landtagen sowie im EU-Parlament sitzen, und er, Strolz, nicht nur für flammende Reden, sondern auch für seine Positionen bei Bildung, Pensionen und Europa bekannt ist, jetzt geht er? Einfach so? Ohne, dass ihn jemand aus dem Amt drängt?

Mit wem auch immer man am Tag der überraschenden Erklärung bei den Neos spricht: Alle beteuern, sie hätten erstens nichts vom Rücktritt gewusst, und es gäbe zweitens keine Intrigen oder Skandale, die den 44-jährigen Bergbauernsohn zur Demission gezwungen hätten. „Da war kein Schlüsselerlebnis, sondern viele Mosaiksteine, die die Überzeugung haben reifen lassen, dass der Zeitpunkt jetzt gekommen ist“, sagt Neos-Generalsekretär Nikola Donig.

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Die Last wiegt schwer

Wahr ist: Strolz war nicht nur Gründer der Neos, er war gewissermaßen Neos - und einer der prononciertesten Oppositionsvertreter. Auf Podien, im Fernsehen, in jeder Wahlkampagne. Und wer, wie Strolz, stets mit voller Drehzahl fährt, der muss aufpassen, dass er nicht irgendwann ausbrennt.

„Seit Jahresbeginn habe ich zunehmend Klarheit bekommen, dass 2018 das Jahr meiner Amtsübergabe sein wird“, sagt Strolz. Dass seine Familie – er ist Vater von drei schulpflichtigen Töchtern – bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hat, liegt auf der Hand: Immer wieder ließ Strolz durchblicken, dass der Druck des Alltags auf ihm lastet. „Ich weiß, dass ich auf mich achten muss“, sagte er vor einem Jahr.

Nachfolger gesucht

Jetzt tut er es, er achtet auf sich, will künftig Bücher schreiben. Und parteistrategisch ist der Zeitpunkt so übel nicht: Bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol und Salzburg ist der Einzug gerade gelungen. In Salzburg werden die Neos voraussichtlich zum ersten Mal einer Landesregierung angehören, und die nächste reguläre Wahl mit bundesweiter Relevanz ist erst in einem Jahr: die EU-Wahl im Mai 2019.

Eine gute Phase, um einen Nachfolger aufzubauen. Strolz selbst will bei seiner Rücktrittsrede im Presseclub Concordia keine Details dazu verraten. Aber die mit Abstand besten Karten ihm nachzufolgen hat Stellvertreterin Beate Meinl-Reisinger. Am Ende, mittlerweile ist eine halbe Stunde vergangen, packt es Strolz zum zweiten Mal. „Zum Abschluss möchte ich sagen...“ Er stockt jetzt und macht eine Pause, die so lange ist, dass man zweifelt, ob er den Satz je fertig sprechen wird. Seine Augen sind rot und glasig, die Stimme so gut wie weg.

„Ich danke, dass mir das Leben diese Aufgabe mit auf den Weg gegeben hat. Viel Glück und auf ein Wiedersehen.“ Abgang Matthias Strolz.

Er hat nicht geheult, und das ist beinahe schade. Es wäre ungewöhnlich gewesen. Wie sein Abgang.

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