Konsequenzen bei den Grünen: Lunacek tritt ab, Kogler übernimmt
Bei den Grünen ging es mit personellen Konsequenzen nun schneller als erwartet: Am Nachmittag tagte die Bundesspitze in Wien, die erste Entscheidung: Parteichefin Ingrid Felipe tritt wie erwartet zurück.
Die grüne Bundessprecherin und Tiroler Landeshauptmannstellvertreterin hat im Bundesparteivorstand ihren Rückzug von der Parteispitze verkündet. "Wenn man als grüne Partei nicht mehr dem Nationalrat angehört, kann man nur sagen, die schwierige Mission ist gescheitert", erklärte Felipe gegenüber der Tiroler Tageszeitung.
Am Abend gab dann auch Ulrike Lunacek den Rückzug aus dem Bundesparteivorstand bekannt. Auch aus dem EU-Parlament scheidet Lunacek aus. Sie wird sich nun nach eigenen Worten "eine Pause gönnen". "Es braucht einen Neustart. Ich bin überzeugt, es wird gelingen, wieder in den Nationalrat einzuziehen."
Schlimmste Krise der Grünen
Man habe die Funktionen im Mai in einer schwierigen Situation übernommen und sie sei überzeugt gewesen, dass man eine "Aufholjagd" schaffen werde, meinte Lunacek. Dies sei "nicht gelungen". Es handle sich um "die schlimmste Krise der Grünen" seit dem Einzug in den Nationalrat vor 31 Jahren. "Es war nicht so, dass sich viele andere gefunden hätten", meinte Felipe zur Situation nach dem überraschenden Abgang von Eva Glawischnig im Frühjahr. Man übernehme aber auch jetzt die Verantwortung dafür, "dass die Mission nicht gelungen ist".
Sie hätte gerne im Nationalrat als Klubobfrau oder in einer Regierung gewirkt, aber "all das ist jetzt nicht möglich", sagte Lunacek. Sie stehe zu ihrem Wort und werde nicht ins EU-Parlament zurückkehren. Nachfolgen wird ihr dort im November der steirische Bio-Bauer Thomas Waitz. Lunacek legt auch ihre Funktionen im Bundesvorstand zurück. Zukunftspläne nannte sie nicht, Lunacek schloss aber auf Nachfrage nicht aus, wieder einmal für die Grünen zu kandidieren.
Kogler übernimmt
Die Parteileitung übernimmt nun interimistisch das grüne Urgestein Werner Kogler. Ein Plan für die nächsten Monate - auch, wer die Grünen künftig führen wird - soll am Freitag mit den Landesorganisationen besprochen werden, sagte Felipe Dienstagnachmittag bei einer Pressekonferenz.
Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou erklärte in der orf-Sendung Wien heute, eine aktive Rolle in der Bundepolitik übernehmen zu wollen. "Und ich glaube, dass das jetzt meine Aufgabe ist. Nichts anderes kann man von mir erwarten. Das haben wir auch so besprochen mit allen Länderspitzen. Ich denke, die Spitzenleute aus allen Bundesländern haben jetzt eine Verantwortung wahrzunehmen", so Vassilakou im orf-Interview.
In einer Sitzung des Erweiterten Bundesvorstands soll auch beraten werden, welche Strukturen der Bundes-Grünen nach dem Rausflug aus dem Nationalrat noch aufrechterhalten werden. Was die Finanzen betrifft, haben sich laut Felipe die Landesorganisationen schon bereit erklärt, für die rund fünf Millionen Euro Schulden der Bundespartei "solidarisch zusammenzulegen".
Helga Krismer, Landessprecherin der Grünen NÖ, sieht die Bundespartei mit Werner Kogler "in guten Händen". In einer Aussendung zollte sie gleichzeitig der bisherigen Führungsspitze - Ingrid Felipe und Ulrike Lunacek - Respekt.
Kogler, gewählter Stellvertreter von Felipe, wird laut Krismer "keine One-Man Show". Der Bundesvorstand und die Ländervertreter würden "ein deutliches Signal der Neuausrichtung setzen. Wir werden alles gemeinsam unternehmen, damit wir das Vertrauen zurückgewinnen", betonte die niederösterreichische Landessprecherin.
Felipe wisse, dass es jetzt starke Grüne in den Ländern brauche, um der Bundespartei zu neuer Kraft zu verhelfen. "In Tirol und Niederösterreich sind demnächst Landtagswahlen zu schlagen. Felipes Rückzug als Bundessprecherin und ihre Fokussierung auf Tirol ist daher die logische Konsequenz."
Für Lunacek empfinde sie "enorme Hochachtung", führte Krismer weiter aus. Die Vizepräsidentin des Europaparlaments sei "eine bedeutende und gewichtige Persönlichkeit in der europäischen Außenpolitik".
Konzentration auf Tirol
Felipe will sich nun ganz auf ihre Arbeit als Tiroler Grünen-Chefin konzentrieren. Dort finden nächstes Jahr Landtagswahlen statt. "Tirol ist die nächste wichtige Wahl und Tirol braucht meine volle Energie", begründete sie ihren Rückzug. Sie helfe den Grünen sicher am allermeisten, "wenn wir in Tirol gut abschneiden". Gemeinden und Länder müssten die Bundespartei wieder aufrichten und finanziell unterstützen, so Felipe.
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Abwicklung der Partei hat begonnen
Die Grünen haben noch vor Vorliegen des Wahlergebnisses inklusive Wahlkarten, das für die Partei den Abschied aus dem Parlament bedeutet, mit der Abwicklung der Partei begonnen. Am Montag wurden die Mitarbeiter laut APA-Informationen darüber informiert, dass ihnen mit Ende der am 8. November endenden Gesetzgebungsperiode die Kündigung droht. Insgesamt sind rund 110 Mitarbeiter betroffen.
"Wir betrinken uns mal auf dem Balkon vom noch-grünen Parlamentsklub. Ich war echt sehr gerne Abgeordnete"
Rund 90 dürfte es im Parlamentsklub der Grünen treffen, knapp 20 in der Bundespartei, wie zu hören war. Die Grünen müssen in den nächsten Wochen bis zur konstituierenden Sitzung des Parlaments auch ihre Klubbüros rund um das Parlament räumen. Montagabend wurde nach der Information der Mitarbeiter schon einmal damit begonnen, alkoholische Restbestände zu leeren. "Wir betrinken uns mal auf dem Balkon vom noch-grünen Parlamentsklub. Ich war echt sehr gerne Abgeordnete", twitterte etwa die Abgeordnete Sigrid Maurer.
"Ein Köpferollen ist meiner Meinung nach genau der falsche Weg"
Im Ö1-Morgenjournal sowie in Zeitungen gab die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou, die bei der Nationalratswahl ebenfalls ein desaströses Wahlergebnis hinnehmen musste, dazu schon einmal die Linie vor: "Personelle Konsequenzen müssen zum Schluss kommen und nicht zu Beginn. Ein Köpferollen, ein öffentliches Hinrichten vor irgendwelchen Bauernopfern und hinterher so zu tun als sei es getan, ist meiner Meinung nach genau der falsche Weg", meinte Vassilakou.
Die Wahlbeteiligung ist bei dieser Nationalratswahl gestiegen wie nie zuvor in der Zweiten Republik: Schon nach Auswertung des ersten Teils der Briefwahl am Montag gab es einen Zuwachs von 4,50 Prozentpunkten auf nun 79,41 Prozent - und mit der Auszählung der noch ausständigen rund 36.000 Wahlkarten am Donnerstag wird das Plus auf fünf Punkte und die Beteiligung auf fast 80 Prozent steigen.
Diese Nationalratswahl - die den vierten Machtwechsel der Zweiten Republik brachte - hat bewiesen, dass die Österreicher durchaus zu mobilisieren sind, wenn sie das Gefühl haben, dass es "wirklich um etwas geht". Das zeigte sich schon beim Bundespräsidenten-Wahlmarathon im Vorjahr. Da stieg am dritten Wahlsonntag, bei der Wiederholung der aufgehobenen Stichwahl, die Beteiligung überraschend noch einmal (auf 74,21 Prozent) an.
Ein großer Teil der Wähler nützt mittlerweile die Briefwahl: Fast 15 Prozent der gültigen Stimmen der Nationalratswahl wurden am Postweg oder per Briefwahlkarte im "eigenen" Wahlkreis abgegeben. Am Donnerstag müssen die Landeswahlbehörden noch rund 36.000 Stimmen auszählen, die am Wahlsonntag entweder per Wahlkarte oder per Briefwahl in einem "fremden" Wahlkreis abgegeben wurden.
Lange Zeit Wahlpflicht
Die dann nicht ganz 80 Prozent sind allerdings bei weitem kein Rekordwert der nunmehr 22 Wahlen seit 1945. Denn bis 1986 lag die Beteiligung immer über 90 Prozent, bis 2002 nutzten noch immer mehr als vier Fünftel ihr Wahlrecht - und somit wird die jetzige Beteiligung nur die beste seit 2006. Bis 1992 bestand allerdings in einigen Bundesländern Wahlpflicht.
Es ging selten friedlich zu im Nationalratssitzungssaal, damals um und nach 2015, wenn der Hypo-Skandal und seine Aufarbeitung im U-Ausschuss zur Debatte standen. Die Reden der Ausschuss-Mitglieder quittierten die Abgeordneten der anderen Parteien routinemäßig mit Zwischenrufen, höhnischem Gelächter, demonstrativem Desinteresse. Nur wenn Werner Kogler ans Rednerpult trat, wurde es ruhig und selbst die größten Gegner der Grünen legten Zeitung und Smartphone weg. Keiner von ihnen kannte sich in der Materie besser aus als Kogler. Und wenige wären in der Lage gewesen, sie so bildhaft darzustellen.
Dem designierten neuen Parteichef der Grünen eilt der Ruf des versierten Sachpolitikers voraus, des geschickten Verhandlers, bodenständig, pragmatisch, einer der Realos in der Partei. Im Parlament fiel der langjährige Budget- und Finanzsprecher vor dem Hypo-U-Ausschuss mit Enthüllungen im Bankenausschuss, seiner scharfen Kritik an Karl-Heinz Grasser und als Vielredner auf. Er hält nach wie vor den Rekord für die längste Rede im Stile eines "Filibuster". 2010 verließ er 12 Stunden und 42 Minuten das Rednerpult nicht, um gegen den Budget-Voranschlag 2011 zu protestieren (hier als Protokoll nachzulesen). Vergeblich, doch den Rekord hält er noch heute.
Grüner Veteran
Der am 20. November 1961 in Hartberg geborene Kogler studierte Volkswirtschaft und Rechtswissenschaften und war in den 1980er Jahren Gründungsmitglied der Alternativen Liste Steiermark und Österreich. Von 1985 bis 1988 war der heute 55-Jährige Gemeinderat in Graz. Seit 1999 sitzt er im Parlament, war Leiter des Rechnungshofausschusses und auch Eva Glawischnigs Stellvertreter im Parlamentsklub. Zuletzt war Kogler weiterhin Mitglied des Rechnungshofausschusses sowie der Haupt-, Budget- und Finanzausschüsse für die Grünen. Sportlich ist er dem SK Sturm zugeneigt.
Erfahrung als Feuerwehrmann
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Partei in einer Notzeit an Kogler wendet. Er musste in seinem Heimatbundesland Steiermark nach der verlorenen Wahl 2005 schon einmal in die Bresche springen und die Funktion des Landessprechers übernehmen. Auch vor der Landtagswahl 2010 übernahm Kogler kurzfristig die Spitzenkandidatur, nachdem sein Vorgänger überraschend aufgegeben hatte. Damals meinte Kogler übrigens noch, er sehe sich als "eine klassische Nummer zwei und eher nicht geeignet für die ganz allererste Reihe".