Verkehrswende: Wird man uns die Autos wegnehmen?
Von Bernhard Gaul
Erratum: Sehr geehrte Leserinnen und Leser, leider haben wir irrtümlich zuerst die nicht-autorisierte Version dieses Interviews gedruckt und online veröffentlicht, die falsche Zitate enthielt. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. BG
KURIER: Alle sprechen von der Verkehrswende – aber am Land kann man oft nicht auf seinen Pkw verzichten. Werden wir bis 2040 allen die Autos wegnehmen müssen?
Katja Schechtner: Nein. Es stimmt schon, Österreich ist ein zersiedeltes Land. Aber wir haben mehr als 60 Prozent Urbanisierungsgrad. Wenn wir wo wachsen, dann in den Städten. Und Städte sollen selbstverständlich mit öffentlichem Verkehr organisiert sein, das ist wie ein Chauffeur, der mich von A nach B bringt.
Was wird sich bis 2040 ändern?
Beim Zubringerverkehr zu den Städten sehen wir, dass die Leute öffentlich unterwegs sein wollen, um zum Arbeitsplatz zu kommen. In Städten werden wir wesentlich mehr Öffi-Verkehr haben, am Land dafür bessere, nachhaltigere Lösungen und Antriebe. In Kleinstädten werden wir mit kleinen Bussen auskommen. Am Land wird es viel mehr in Richtung einer Vergemeinschaftung des Verkehrs gehen. Zum Beispiel wenn sich Nachbarn ein Auto teilen, oder auch zwei. Statt jeder zwei. Das geht wunderbar und schränkt nur wenig ein – und ist viel billiger.
Also die Autos bleiben?
Ja, aber bitte vernünftige Autos, nicht zwei Tonnen Metall und Plastik für neunzig Kilo Mensch – das macht doch keinen Sinn, diese ständige Vergrößerung und Perfektionierung, nur damit man dann auf perfekt ausgebauten Straßen fährt, mit SUVs, die eigentlich für holprige Buckelpisten gebaut sind.
Werden wir alle mit Elektroantrieben fahren?
Das glaube ich nicht. Es werden sicher auch andere Antriebe sein, wir werden aber kaum die Verbrenner 1:1 ersetzen mit E-Autos. Wir brauchen weniger Autos und Autofahrten!
Alternativ gibt es batterieelektrische Fahrzeuge, Wasserstoff-Autos und die Hoffnung auf E-Fuel-Treibstoffe.
Den grünen Wasserstoff wird wohl die Industrie dringender brauchen. Bei den E-Fuels bin ich skeptisch, dafür bräuchten wir mindestens zehn Mal so viele Solar-Fläche, wie für batterieelektrische Autos, um die gleiche Energieausbeute zu bekommen. Und dann waere der Wirkungsgrad im Verbrennungskraftmotor auch noch maximal ein Drittel. Das macht doch keinen Sinn.
Schon, aber die Politik meint, wir sollen „technologie-offen“ bleiben.
Das sollten wir uns ganz genau überlegen. Wollen wir wirklich eine eigene Infrastruktur für E-Fuels haben, eine für Wasserstoff, für Benzin und Diesel und E-Ladesäulen dazu? Meine Sorge sind da weniger die Antriebe, sondern die Versorgungsnetze. Wir müssten ja alles dreifach, vierfach ausbauen.
Vielen Österreichern ist ihr Auto aber heilig, es verspricht ja Freiheit...
Aber diese Freiheit ist ja nur ein Werbeversprechen der Autoindustrie. Für die Freiheit, ein Auto zu nützen, braucht man viel Geld, einen Führerschein, eine jährliche Inspektion, man muss regelmäßig tanken, und es gibt ganz genaue Verkehrsregeln – und Parken kostet auch was. Außerdem braucht es ein sehr teures Autostraßennetz samt Beleuchtung, Wartung, Schneeräumung und so weiter. Das kostet viel Geld, das man sicher besser einsetzen könnte.
Oft heißt es, die Zukunft wird durch „disruptive Technologien“ gestaltet werden, also eine plötzliche, radikale Änderung. Sehen Sie das so?
Die Mobilität wird sich nicht disruptiv über Nacht ändern. Die Änderung passiert doch seit jeher, und wird sich weiter ändern, die Zukunft hat schon lange begonnen. Denken Sie, wie es im Vergleich in den 80er und 90er Jahren war. Heute gibt es viel mehr Öffis, viel mehr Fahrräder, mehr zu Fuß oder mit dem E-Scooter. All diese Dinge verändern sich, nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt.
Was sind denn gute Mobilitäts-Lösungen, wer macht das gut?
Das werde ich oft gefragt. Die besten drei schnellen Maßnahmen gibt es nicht, sondern viele hundert einzelne Maßnahmen. Paris etwa hat während der Pandemie ganz viel Straßenraum den Radfahrern gegeben, und diesen nach den Lockdowns nicht mehr zurückgegeben. Und es gab es einem massiven Rückbau der Autoinfrastruktur, Parkplätze wurden radikal abgebaut, 30km/h-Zonen eingeführt, das sorgt für eine wesentlich höhere Nutzung der Straßen für das Leben der Bürger. Stockholm, Singapur, London haben alle eine hohe Citymaut, was dazu führt, dass die Lebensqualität nach oben geht. In Singapur gibt es sehr hohe Registrierungskosten – das kostet fast so viel wie das Auto selbst. Barcelona macht es ähnlich wie Paris, spannend ist aber vor allem China.
Was passiert in China?
Die machen es wahnsinnig geschickt, wie hier die Wende hin zu Elektromobilität passiert, jetzt sind sie Technologieführer und haben gleich eine neue Industrie für E-Autos geschaffen, mit denen sie den Europäern den Rang ablaufen. Das hätten wir auch machen können.
Hat es nicht immer geheißen, die Digitalisierung wird uns beim Verkehr helfen?
Die Digitalisierung kommt nicht irgendwann einmal, sondern die ist längst da. Verkehrs-Apps zeigen die besten und schnellsten Routen an. Ampeln werden durch Algorithmen gesteuert, um den Verkehrsfluss zu optimieren. Oder die Mobility-Apps, mit denen man Fahrräder, E-Scooter oder Taxis und Uber rufen kann. Die Zukunft ist also längst da.
Eine Studie zu Lissabon ohne privaten Autoverkehr hat viel Aufsehen erregt – worum ging es da?
Meine KollegInnen bei der OECD modellierten eine Mobilität ganz ohne private Pkw. Da wurde der öffentliche Verkehr belassen wie er ist und zudem ein Taxisystem mit vier bis sechs Leuten pro Fahrzeug angenommen. Ergebnis war, dass es sich für den Großteil der Menschen ausgeht, in 30 Minuten überall hinzukommen. Die Vorteile waren offensichtlich: Keine Staus mehr, und weil niemand mehr Autos hat, die nur herumstehen, kann man alle Parkplätze abschaffen, nur ein paar Parkhäuser bleiben. Wenn wir also Infrastruktur gemeinsam nutzen, ist es bequem, rasch genug, wir sparen sehr viel ein, die Stadt wird viel leiser und die Luft besser. Für so eine Mobilitätslösung würden die Menschen auch zahlen, weil sie Zeit und Geld nicht mehr ins Auto stecken müssen. Das kann man auf andere Städte umlegen und so den Autobestand mehr als halbieren. Im Lissabon-Modell konnten wir auf 9 von 10 Autos verzichten. Stellen sie einmal ihre Stadt vor, wenn es praktisch keine geparkten Autos mehr gäbe.
Wie soll sich der Lkw-Verkehr bis 2040 entwickeln?
Global wird der Lieferverkehr zunehmen, das ist aber ein auch ein gutes Zeichen, weil der Wohlstand überall steigt. Er muss aber umweltfreundlicher werden. Der Lkw- und Güterverkehr wird nicht komplett auf die Schiene verlegt werden können. Aber wir müssen das Frächtersystem ändern, derzeit stehen sie in Konkurrenz zueinander, und produzieren unnötig viele Leerfahrten, anstatt gegenseitig Waren zu übernehmen. Bis zu einem Drittel der Lkw fahren leer. Wir müssen bei uns aber auch über den Online-Handel reden. Es darf nicht sein, dass man zehn paar Schuhe nachhause liefern lässt, und drei Tage später neun davon wieder zurückschickt, weil es kostenlos ist. Das ist kein sinnvoller Lkw-Verkehr.
Bleibt nur mehr der Bahnverkehr. Der entwickelt sich ja international zum Luxus, das Flugzeug ist die billigere Alternative.
Klar ist, dass wir da viel mehr investieren müssen, wir müssen ausbauen, wir brauchen bessere Steuerung, um mehr Züge auf die Strecken zu bekommen. Der Verkehr besteht aus kommunizierenden Gefäßen – die hohe Auslastung zeigt, dass die Menschen begriffen haben, dass ihr Handeln Auswirkungen auf die Welt hat. Die Sauerei ist ja eher, dass Flugverkehr und Schiffsverkehr von CO2 Abgaben praktisch ausgenommen sind, das muss sich rasch ändern, dann steigen auch die Preise. Das wäre wohl wichtig, weil es fair wäre.