Van der Bellen steht bei EU-Beitritt der Ukraine auf der Bremse
Im Krieg Wladimir Putins gegen die Ukraine werde mehr zerstört als "nur" Infrastruktur und Wohnhäuser, sagt Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstag in der "ZiB Spezial". Es werde auch das Vertrauen zwischen dem Westen und Russland zerstört. Und es werde lange dauern, dieses Vertrauen wiederherzustellen. "Das wichtigste wäre, mit dem Töten aufzuhören und mit Verhandlungen zu beginnen."
Putin hatte kürzlich zwar nicht explizit mit Atomwaffen gedroht, aber sich so ausgedrückt, dass man es so interpretieren könnte. Man müsse der Bevölkerung sagen, dass diese Gefahr unmittelbar nicht bestehe. Es seien sich aber alle Staatschefs des Risikos bewusst und beide Seiten tun gut daran, eine weitere Eskalation zu verhindern.
Über die EU findet Van der Bellen anerkennende Worte: "Putin hat geschafft, was man über Jahrzehnte nicht erlebt hat - eine rasche, entschlossene und gemeinsame Aktion aller EU-Mitgliedsstaaten."
Zum EU-Beitritt der Ukraine ist er allerdings skeptisch: "Wir wissen, wie lange solche Verhandlungen dauern. Auch im Fall von Österreich hat man das nicht von Freitag auf Montag entschieden." Der EU-Beitritt sei eine Perspektive. Jetzt sei aber nicht der Zeitpunkt, besonders viel Energie in diese Frage hineinzustecken.
Der Bundespräsident hält zu dem Thema einen Gedanken fest: "Stellen wir uns vor, wir wären in so einer Situation wie jetzt, und es gäbe die EU nicht. Alle 27 Staaten würden für sich versuchen, sich zu koordinieren - ohne die eingespielten Plattformen und Entscheidungsmechanismen. Das wäre ein Chaos sondergleichen."
An der Neutralität Österreichs will Van der Bellen nicht rütteln - und erzählt: "Ich bin eine Generation an, die das Zustandekommen der Neutralitätserklärung miterlebt hat. Mein Vater, der damals sein Büro in Linz hatte, hat mich ermahnt, ja nicht zu nahe an die Donaubrücke zu gehen, weil in Urfahr die sowjetische Zone war." Die Neutralität sei der Preis gewesen, den wir für das unabhängige Österreich und den Abzug der Besatzungstruppen bezahlt haben.
Er begrüßt es dennoch, dass die Bundesregierung das Budget des Bundesheeres erhöht. Das sei etwas, das er sich schon länger gewünscht habe.
"Da geht einem das Herz auf"
Dass die EU jetzt Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen will - auch hier sind sich die Staaten einig - freut Van der Bellen. "Das ist etwas, da geht einem das Herz auf." Die Ukrainer seien die Nachbarn Österreichs - auch, wenn die Slowakei dazwischenliege.
Auf die Frage, wie der Konflikt in der Ukraine ausgehen soll, weiß Van der Bellen keine Antwort. "Es sind mehrere Varianten denkbar. Und alle laufen nicht darauf hinaus, dass bald Ruhe in der Ukraine einkehrt." Er sei in Kontakt mit der Bundesregierung und mehreren Staatspräsidenten, die alle besorgt sind und dasselbe Problem teilten - sie wüssten nicht: "Warum macht Putin das? Mit wem können wir noch reden? Nicht einmal Außenminister Lawrow scheint mehr zum innersten Kreis Putins zu zählen."
Es brauche Zeit, diesen Konflikt unter Kontrolle zu bringen, sagt Van der Bellen. Und er hofft: "Dass wir eines Tages nach Kiew fahren können, um zu feiern."
Edtstadler: "Schließe ein Eilverfahren aus"
Später, in der "ZiB2", äußerte sich auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sehr zurückhaltend zum Thema EU-Beitritt. Aus ukrainischer Sicht sei es nachvollziehbar, dass Präsident Selenskij den Antrag auf den EU-Beitritt stellt. Wesentlich sei aber, dass die Kriterien erfüllt werden. "Und die sehe ich in nächster Zeit nicht", sagt Edtstadler. Sehr wohl müsse man den Menschen aber eine Perspektive geben, damit sie sich vermehrt den Werten der EU annähern.
Dass es angesichts der aktuellen Bedrohung ein Eilverfahren gibt, schließt Edtstadler aus. "Es ist ein hoher Wert, hier Mitglied zu sein", sagt sie - und betont noch einmal, dass für den Beitritt bestimmte Kriterien erfüllt sein müssten. Nachsatz: "Mit einem EU-Beitritt würde der aktuelle Konflikt auch nicht gelöst."
Die EU setze sich mit aller Kraft dafür ein, dass wieder Frieden herrschen kann, dass die Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zurückkehren und Konflikte so lösen, wie man das im 21. Jahrhundert gewohnt sei, sagt Edtstadler: "Durch Gespräche und nicht durch Waffen".
Wenn es darauf ankommt, dann zeigt die EU Einigkeit und "klare Kante". Binnen kürzester Zeit sind drei Sanktionspakete verabschiedet worden, morgen werde ein viertes Paket verhandelt. Edtstadler erklärt die Vorgehensweise so: "Wenn die Eskalation im Krieg steigt, wird die Sanktionenschraube weiter angezogen."
"Arbeitsmarkt braucht und will diese Menschen"
Gleichzeitig verhandeln die EU-Innenminister gerade über die Aufnahme von Flüchtlingen und die Maßnahme eines "temporären Schutzes". Auf die Frage, ob es aus ihrer Sicht fair sei, dass die direkten Anrainerstaaten die Hauptlast tragen, sagt Edtstadler: "Es ist ein Faktum, dass jene Staaten, die angrenzen, die meiste Last tragen." Zu bedenken sei, dass manche auch Verwandte und Freunde in Europa haben und gezielt in deren Länder wollen. Nach Österreich sind aktuell rund 11.000 Personen gekommen, nach Polen rund eine Million.
Auf die Frage, ob Österreich aktiv Flüchtlinge einladen möchte, geht die Ministerin hingegen nicht ein. Sie betont, es sei nun eine "ganz andere Situation als 2015 und 2016, wo Menschen über die Kontinente quer durch Europa gereist sind". Beim temporären Schutz könnten die Menschen auch in Österreich arbeiten, Kinder können in den Kindergarten und in die Schule gehen.
Darauf bereite sich Österreich gerade vor. Der Arbeitsmarkt "braucht und will" diese Menschen auch, betont sie.
Schüssels Engagement? "Privatperson"
Dass Wolfgang Schüssel als einer der wenigen Polit-Promis, die in russischen Unternehmen tätig sind, noch immer nicht seinen Aufsichtsratsposten aufgegeben hat, sei aus ihrer Sicht übrigens kein Problem für die ÖVP. Schüssel sei "eine Privatperson" und das Unternehmen, Lukoil, ein privates. Edtstadler: "Ich kenne und schätze ihn sehr und hoffe, dass er auch die richtigen Entscheidungen treffen wird, wenn es darauf ankommt."