Politik/Inland

Sobotka: "Bei mir hätte ich die Ablehnung verstanden"

Wolfgang Sobotka zeigte im ORF kein Verständnis für die Taktiererei rund um das Amt des Vizekanzlers. "Ich hätte es natürlich pikant gefunden, wenn man mich vorgeschlagen hätte. Dann hätte ich das verstanden, dass man hier so eine Ablehnung hat", sagte der Innenminister, der in den vergangenen Monaten immer wieder gegen Kanzler Kern geschossen hatte, süffisant.

Wie berichtet, akzeptierte die SPÖ den von Sebastian Kurz favorisierten Justizminister Wolfgang Brandstetter letztlich zwar – Bundeskanzler Kern will dafür jedoch ein "freies Spiel der Kräfte" im Parlament. Oder wie er es ausdrückte: "Einen Wettbewerb der besten Ideen."

Chronologie der Ereignisse: Regierungsarbeit de facto beendet

Milliarden Wahlzuckerl

Ein Vorstoß, den man bei der ÖVP erwartungsgemäß skeptisch sieht. Klubchef Reinhold Lopatka erinnerte noch im Parlament daran, wohin dieses „freie Spiel“ beim letzten Versuch geführt hatte. Damals – am 24. September 2008 – beschloss man im Parlament noch kurz vor knapp, gewählt wurde vier Tage später, Steuererleichterungen in der Höhe von drei Milliarden Euro. „Wir, und damit meine ich auch uns, müssen verhindern, dass wir wieder in so eine Situation kommen“, sagte Lopatka, der darauf hinwies, dass die Regierung bereits kurz nach der Wahl Beschlüsse um 500 Millionen Euro wieder zurücknehmen musste.

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Der ÖVP-Klub werde alles, was an Beschlüssen möglich ist, durch intensive Arbeit unterstützen, alles tun, damit der Untersuchungsausschuss seine Aufgaben erfüllen kann (also die Neuwahl erst am 30. Juni beschlossen wird) und erst im Herbst einen kurzen, fairen Wahlkampf führen, versicherte Lopatka - unterbrochen von vielen Zwischenrufen und Gelächter.

"Bis heute rund 30 Milliarden Euro"


Auch Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) warnte angesichts des bevorstehenden "freien Spiels der Kräfte" im Parlament vor einem "hemmungslosen Geldausgeben" und "Milliardengeschenken".

In einer mehr als 19-stündigen Marathonsitzung wurden 2008 bis zum Morgengrauen unter anderem eine Pensionserhöhung mit Einmalzahlung, eine Mehrwertsteuer-Halbierung auf Medikamente, die Verlängerung der Hacklerregelung, die 13. Familienbeihilfe, die Abschaffung der Studiengebühren, eine Pflegegeld-Erhöhung, eine Steuerbefreiung für Monteure und Nächtigungsgelder sowie ein Heizkostenzuschuss für Senioren beschlossen. "Hochgerechnet wurden für diese Wahlzuckerln bis heute rund 30 Milliarden Euro ausgegeben", kritisierte Schelling.

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Andreas SchiederLopatkas Pendant in der SPÖ – beteuerte, einmal mehr die Bereitschaft seiner Fraktion zu arbeiten. Wenn er die Wahl habe "wählen oder arbeiten" entscheide er sich immer dafür zu arbeiten - auch wenn man dabei Kompromisse schließen müsse, betonte der SPÖ-Klubobmann. Denn es gelte, Verantwortung zu übernehmen - dafür dass es Jobs und einen Aufschwung gibt.

Strache: "Alter Hut"

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache kritisierte die ÖVP und Sebastian Kurz einmal mehr scharf „für den Versuch, "Dinge neu zu verkaufen, die ein alter Hut sind" - "nur ohne Mascherl" wie es Wolfgang Schüssel 1995 trug. Aber auch die SPÖ und Kanzler Kern kamen dran: "Kern und Kurz sind nur zwei Seiten der gleichen falschen Medaille" - bei beiden sei keine Zukunft für das Land sichtbar.

"Sie beide tragen die Verantwortung für das Chaos", wollte auch FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl zwischen Kern und Kurz nicht wirklich unterscheiden - und beantragte, der gesamten Regierung das Misstrauen auszusprechen. Dies sei etwas wie seine "patriotische Pflicht", meinte Kickl.

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Sobotka "Sprengmeister der Nation"

Die Grünen konzentrierten sich mit ihrem Misstrauensantrag auf Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP). Denn er sei der "Sprengmeister der Nation" gewesen, stelle Parteichefin Eva Glawischnig fest. Die "politische Abrissbirne" seines Bundesobmannes habe in der Regierung nichts verloren, meinte Abg. Peter Pilz.

Glawischnig zog eine vernichtende Bilanz der Regierungsperformance der letzten Monate: "Sehr viel Parteitaktik, politisches Spiel, Verwechseln von Arbeit mit der Spielwiese von Macht und Positionen, gegenseitiges Ärgern, Hackelnschmeißen und Wadlbeißen" - darüber seien die wirklichen Sorgen und Ängste der Menschen unter die Räder gekommen.

Strolz verweist auf Bemühungen der Opposition

In ihrem Streit habe die Regierung nicht einmal mehr die Kraft, das Chaos zu einem geordneten Abschluss zu bringen, verwies NEOS-Chef Matthias Strolz auf die Bemühungen der Opposition, für Klarheit zu sorgen - mit ihrem Neuwahlantrag und dem heutigen Gespräch aller sechs Parteichefs über die künftige Zusammenarbeit. Sollte es keine Einigung geben, hofft Strolz auf den Bundespräsidenten: Alexander Van der Bellen sollte dann alle sechs einladen und "in Konstruktivität zwingen".

Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar freut sich auf das "freie Spiel der Kräfte": "Jetzt nehmen wir das Heft in die Hand, sagen was zu tun ist und die Regierung führt aus." So sehe das die Verfassung mit der Gewaltentrennung auch vor - nicht so wie bisher, wo das Parlament nur durchgewinkt habe, was die Regierung wollte.

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Kompatscher: Rasch Klarheit und Regierbarkeit garantieren

Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher hat am Dienstag angesichts des Koalitionsendes in Österreich erklärt, es sei wichtig, "in diesem heiklen Moment so schnell wie möglich Klarheit und Regierbarkeit zu garantieren", wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete.

Zugleich drückte Kompatscher die Hoffnung aus, dass "es in Wien - wie bisher - auch in Zukunft den größtmöglichen Konsens Südtirol betreffend geben" werde, um in den Beziehungen zu Rom und zu Bozen Kontinuität sicherzustellen.

Sepp Schellhorn (NEOS) beklagt, dass derzeit keine Schulden abgebaut werden. Darüber will er diskutieren. "Brauchen wir die Sozialpartnerschaft noch?", fragt er. Die nächsten 90 Tagen seien eine Chance. Man solle die Steuerquote senken. Den Kammerzwang abschaffen. Er bringt einen Entschließungsantrag ein: Die Regierung solle ein Gesetz zur Reform der Gewerbeordnung vorlegen.

Andrea Kuntzl (SPÖ) erinnert Kurz daran, dass nicht die Regierung sondern das Parlament gewählt werde und die Gesetze beschließe. Er als Minister habe sie auszuführen. "Der Ball ist jetzt bei uns im Parlament, wir nehmen ihn gerne auf."

Wolfgang Brandstetter fordert ein vernünftiges Ende der Koalition. Was noch möglich sei, gehöre noch gemacht - ohne große Erwartungshaltung. Mit dem gesicherten Ablaufdatum, das man nun habe, falle das möglicherweise etwas leichter. Er erklärt mit einer Anekdote, dass er eine gute Vertrauensbasis und ein gutes Verhältnis mit Christian Kern habe - und eben auch das von Kurz: "Wir haben die Chance, noch einiges zu verwirklichen."

Peter Pilz (Grüne) ist es ein Bedürfnis, Reinhold Mitterlehner zu danken. An dessen Integrität habe kein Zweifel bestanden. Es sei bezeichnend, dass für ihn kein Platz mehr in der ÖVP sei. Er bezichtigt Kurz, das Telekommunikationsgesetz mit E-Mail-Zusendungen zu brechen. Die ÖVP wolle den Eurofighter-U-Ausschuss abdrehen, aber das Parlament lasse das nicht zu: "Dieses Parlament wird sich von Ihnen nicht stören lassen." Man werde die Zahlungsflüsse untersuchen, das habe man als Parlament sichergestellt. Pilz spottet über die ÖVP-Forderung, dass die ÖVP im Parlament nicht überstimmt werden solle: "Haben Sie sich das ernsthaft überlegt?" Er bekräftigt den grünen Misstrauensantrag gegen Sobotka.

Lugar hat Verständnis für Kern

"Der Herr Doch-nicht-Vizekanzler" Kurz sei ein Frank Underwood der österreichischen Politik, spielt er auf die intrigante Hauptfigur der US-Politikthriller-Serie House of Cards an: "Der ÖVP geht es immer schon um Machterhalt und Machtausbau, nicht um Sachverhalt."

Kern sei aber auch nicht ganz unschuldig, der Plan A sei auch nur eine inhaltliche Erpressung gewesen. Zwar gebe es da gute Punkte, aber der Stil sei nicht okay gewesen. Dass Kern dem Parlament die Macht geben wolle, begrüßt er: "Na endlich!" Das stünde bei der Gewaltenteilung ja eigentlich auch in der Verfassung, sei in der Vergangenheit aber nicht gelebt worden.

Der nächste Sprecher ist Kurz. "Ich will von Ihnen wissen: Was planen Sie?", fragt Lugar nach inhaltlichen Konzepten.

Strolz (NEOS) betont die staatstragende Rolle der Opposition

Er sieht die Notwendigkeit, heute einem Neuwahltermin und einem Arbeits-Fahrplan bis dahin näher zu kommen. Er begrüßt, dass die Parteichefs einander um 16:00 treffen. Ginge da nichts weiter, solle der Bundespräsident alle Parteichefs einbestellen. Außerdem fordert er ein Mindestmaß an ethischen Standards im Umgang miteinander ein und spricht die Abwerbeversuche von NEOS-Mandataren durch Loptaka und Kurz an.

Wie schon vorher Lopatka findet auch Strolz, dass sich das freie Spiel der Kräfte im Parlament nicht wie 2008 abspielen dürfe. Damals seien "Milliarden verschossen" worden, die NEOS hätten dabei "natürlich" nicht mitgemacht, sie waren damals aber noch nicht im Parlament. Es brauche eine "moralische Selbstbindung" für diese Phase.

Die Bildungsreform sei ihm als Projekt gemeinsam mit der SPÖ noch wichtig. Die NEOS würden mitgehen, wenn die Landeshauptleute weniger Mitspracherecht bekämen um "den Interessen der Eltern und Kindern" Vorrang zu geben. Er stellt Kurz auf die Probe, ob es ihm mit seinem Durchgriffsrecht möglich sei, die Gewerbeordnung zu reformieren oder ob er doch am Gängelband der Wirtschaftskammer hänge. Die NEOS werden auch Anträge zur Kalten Progression einbringen.

Wallner an Kern: "Vernunft walten lassen"

Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat am Dienstag an Bundeskanzler Christian Kern appelliert, hinsichtlich seiner Drohung, sich im Parlament freie Mehrheiten zu suchen, sollte der designierte ÖVP-Obmann Sebastian Kurz nicht das Amt des Vizekanzlers übernehmen, "Vernunft walten zu lassen". Aus Ländersicht warne er vor einer "Casino-Stimmung" im Parlament.

Wallner erinnerte im Pressefoyer im Anschluss an die Sitzung der Landesregierung an die letzte Nationalratssitzung vor der Nationalratswahl im September 2008. "Dort wurden Milliarden aus dem Fenster geworfen", ärgerte sich der Vorarlberger Landeschef. Bereits den Beschluss, damals "ein freies Spiel der Kräfte" im Parlament zuzulassen, bezeichnete er als "äußerst verantwortungslos". Das Parlament könne nicht die Regierungsarbeit übernehmen. "Das kann zu Beschlüssen führen, die uns am Ende schaden", fasste Wallner zusammen.