So stürzten Rot und Blau die Regierung Kurz
Historische Ereignisse können recht formal, ja fast banal vonstattengehen. So war es am Montag um 16.14 Uhr, als der Nationalrat der Bundesregierung das Vertrauen versagte. 185 Misstrauensanträge hatte es in der Zweiten Republik bisher gegeben. Der 186. Antrag hatte Erfolg. Ein noch nie da gewesener Vorgang.
Nach drei Stunden Debatte im Hohen Haus verlief der denkwürdige Akt in üblicher Parlamentsroutine. Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) stellte eine Mehrheit aus SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt fest. Damit war der rote Misstrauensantrag gegen das gesamte Kabinett Kurz durch. Die 30. Bundesregierung seit 1945 war Geschichte. Sebastian Kurz und die übrigen Regierungsmitglieder verließen den Saal so geschlossen, wie sie gekommen waren.
Vereinzelt waren während der Abstimmung Rufe aus den Reihen der ÖVP zu hören – "Kickl-Rendi-Koalition". Dann setzten sich die Abgeordneten wieder. Und Bures schloss die Sondersitzung. Von außen gab es Genugtuung: Ex-Kanzler Christian Kern twitterte: "Man trifft sich immer zwei Mal im Leben." Kern macht Kurz für sein eigenes verkürztes Kanzler-Dasein verantwortlich.
Früher Entschluss
Der Misstrauensabstimmung waren am Montag in der Früh Klubsitzungen vorangegangen. Die Entscheidung zum Sturz der Regierung fiel kurz vor elf Uhr. Gerade einmal 20 Minuten brauchte der FPÖ-Klub, um einstimmig zu beschließen, den Misstrauensantrag der SPÖ mitzutragen.
Der SPÖ-Klub hatte sich schon vor der Eröffnung der Plenarsitzung um zehn Uhr einstimmig festgelegt, dem Beschluss des Parteipräsidiums von Sonntagnacht zu folgen.
Es oblag dann dem Abgeordneten Jörg Leichtfried, den roten Misstrauensantrag zu begründen: Er kritisierte die fehlende Dialogbereitschaft von Kurz in den vergangenen Tagen. Die Opposition sei in keinerlei Entscheidung eingebunden gewesen, sondern lediglich über neu geschaffene Fakten informiert worden.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner – sie brachte den Antrag ein – befand, Kurz’ Vorgehen sei ein "schamloser, zügelloser und verantwortungsvoller Griff nach Macht" (gemeint war wohl "verantwortungsloser Griff"). Aber die Macht gehe vom Volk aus – was die Abgeordneten der ÖVP angesichts des Europawahlergebnisses zu spontanem Applaus ermunterte.
Kurz replizierte umgehend. Er zeigte zuerst sogar Verständnis, dass manche Rachegelüste hätten. Dass aber das gesamte Kabinett aus ÖVP-Ministern und unabhängigen Experten gestürzt werden solle, könne "niemand im Land nachvollziehen". Ausdrücklich bedankt hat sich Kurz bei den Neos. Diese seien die einzigen gewesen, die klare Wünsche deponiert hätten, wie sie sich die Arbeit der Übergangsregierung vorstellen.
Der Argumentation der Türkisen blieben alle ÖVP-Abgeordneten am Rednerpult treu: Es gebe nun eine neue Koalition aus Roten und Blauen, eben die "Kickl-Rendi-Koalition". Die Abwahl erfolge gegen den Wunsch des Bundespräsidenten, der die neuen Regierungsmitglieder ja erst vor fünf Tagen angelobt hatte. Und nicht zuletzt sei das Ergebnis der EU-Wahl eine Bestätigung des Kurses von Kanzler Kurz.
Neos-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger rief die Abgeordneten auf, kühlen Kopf zu bewahren. Ansonsten fokussierten sich die Pinken in der Sondersitzung auf die Frage der Parteienfinanzierung. Die Neos waren die einzige Oppositionspartei, die sich gegen den Misstrauensantrag stellte.
Bewusst kantig trat Ex-Innenminister Herbert Kickl auf. Er warf Kurz vor, dieser "wollte die schwierige Phase des Regierungspartners ausnützen und die eigene Macht ausbauen". Die Machtinteressen – vor allem am Innenministerium – gingen von der niederösterreichischen Volkspartei aus. "Dieser Griff nach der Macht ist widerlich", sagte Kickl.
Versöhnlicher trat der designierte FPÖ-Chef Norbert Hofer auf. Er bedauerte das Ende der Koalition und kritisierte Kurz: "Dieses Projekt wurde zu leichtfertig aufs Spiel gesetzt."
In der Klubsitzung wurden Hofer und Kickl zu FPÖ-Klubobleuten gewählt. Dabei stehen Kickl als geschäftsführendem Klubobmann die entsprechenden Bezüge (15.182,50 Euro) zu.
Hofer bekommt nur ein Abgeordnetengehalt von 8.930,90 Euro. Dafür unterliegt er keinem Berufsverbot. Er könnte also etwa von der Partei ein Gehalt als Parteichef dazuverdienen.
Van der Bellen am Zug
Im Anschluss an die Abstimmung verlas die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures das Protokoll. Damit konnte eine 24-stündige Auflagefrist, die für solche Beschlüsse vorgesehen ist, entfallen. In der Folge überbrachte ein Bote das Ergebnis dem Bundespräsidenten. Damit war Alexander Van der Bellen am Zug.
Der Nationalrat stellte auch die Weichen für die Neuwahl im September. Ein gemeinsamer Antrag wurde dem Verfassungsausschuss zugewiesen.