Politik/Inland

Die Angst der Politiker vor dem Rücktritt

Aussitzen – das beherrscht die alpenländische Politikerkaste gut. Eine Rücktrittskultur, wie sie in Skandinavien oder auch in Deutschland besteht, ist in Österreich noch unterentwickelt. Zu diesem Schluss kommt Regina Maria Jankowitsch in ihrem neuen Buch mit dem provokanten Titel: „Tretet zurück!“. „Wir sind ein höchst charmantes Volk. Wir haben aber ein gestörtes Verhältnis zum Thema Konflikt und Krisenbewältigung“, sagt sie zum KURIER.

Jankowitsch ist Historikerin, studierte „Political Leadership“ an der George Washington University in Washington D.C. und arbeitet als Coach für Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik. Ständig ist sie mit der Frage konfrontiert: „Soll ich zurücktreten?“ Dann kommt der Anruf: „Ich weiß nicht, ob ich mich das traue. Die lassen mich nicht.“ Mutlosigkeit, Klubzwang und die falsche Loyalität seien im politischen System Österreichs noch fest verankert, analysiert Jankowitsch.

Unternehmen seien schon viel weiter. „In der Wirtschaft stellen wir fest, wie gut es tut, offen zu sagen, das ist nicht gelungen, ich habe einen Fehler gemacht. Politiker haben dieses Einschätzungsvermögen noch nicht.“ Für die Sesselkleber-Mentalität zählt Jankowitsch mehrere Gründe auf: „Ein Rücktritt ist eine Niederlage, das Eingeständnis eines Fehlers.“ Es gebe zu wenig persönliche Verantwortung für das eigene Handeln.

Wirtschaftliche Abhängigkeit

Alle Inhalte anzeigen
Ein weiterer Grund sei die Ausbildung der Politiker. „25 Prozent der Nationalratsabgeordneten haben nur die Pflichtschule. Sie sind wirtschaftlich abhängig vom Politiker-Beruf. Mit Pflichtschulabschluss 8.300 Euro brutto monatlich am freien Markt zu verdienen, ist schon schwierig.“

Für ihr Buch hat die Autorin mehrere österreichische und deutsche Politiker interviewt, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Amt aufgegeben haben: Etwa Ferdinand Lacina. Er trat 1995 als Finanzminister zurück, weil es anhaltenden Widerstand der Gewerkschaft gegen seinen Kurs der Budgetsanierung gab. Probleme mit dem Rücktritt hatte er offensichtlich keine. „Ich habe Politik niemals als Beruf gesehen, sondern immer als begrenzte Phase im Arbeitsleben.“

Jankowitsch findet, dass die Politikertätigkeit auf zwei Legislaturperioden begrenzt sein soll: „Politiker sollten sich daran gewöhnen, dass ein On-Off im Berufsleben ganz normal ist.“ Für spektakulär hält sie den Abgang der früheren FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer nach dem „Putsch von Knittelfeld“ gemeinsam mit Karl-Heinz Grasser und Peter Westenthaler. „Susanne Riess hat das handwerklich gut gemacht und rechtzeitig die Reißleine gezogen.“

Hätte ein österreichischer Politiker in den vergangenen Monaten zurücktreten sollen? Die Beraterin tut sich wegen ethischer Prinzipien schwer, Namen zu nennen: „Hypothetisch gesprochen: Wäre ich Coach von Gabi Burgstaller gewesen, hätte ich ihr den Rücktritt gemeinsam mit David Brenner geraten. Damit hätte sie ein Signal für persönliche Verantwortung gesetzt, ein Wert mit dem sie ganz stark gegenüber der ÖVP gepunktet hatte.“

Nach den schweren Missbrauchsfällen von Jugendlichen in Gefängnissen und ihrem missglückten Interview in der ZiB2 hätte Jankowitsch auch Justizministerin Beatrix Karl nahegelegt, zu gehen. Keine Frage ist für die Beraterin, dass auch der Linzer Bürgermeister Franz Dobusch als Folge der SWAP-Affäre Handlungsbedarf hat.

Und was rät sie Spitzenkandidaten nach einer verlorenen Wahl? „Das hängt von der Deutlichkeit der Niederlage ab, vor allem wenn es sich um einen Persönlichkeitswahlkampf gehandelt hat.“

BUCHTIPP Jankowitsch: Tretet zurück! Das Ende der Aussitzer und Sesselkleber. Ueberreuter-Verlag 2013, 112 S., 9,95 €. Das Buch wird am Montag, 2. 9, 18.00, im Presseclub Concordia, 1010, Bankgasse 8, vorgestellt.