Wie die SPÖ den Mangel an Hausärzten lösen will
Fünf bis sieben Minuten. So lange hat ein Hausarzt im Durchschnitt Zeit für einen Patienten, der krank oder anderweitig lädiert in seine Praxis kommt.
Dass das relativ wenig ist - dafür braucht man eigentlich keinen Experten. Die Lösung dieses Problems ist da schon etwas komplizierter. Und deswegen will SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner nun gleich mehrere Experten ins Boot holen und ein "fachlich fundiertes Paket an Maßnahmen" entwickeln.
Die Sozialdemokraten legen 2019 einen Schwerpunkt auf das Thema Ärztemangel. Damit beschäftigt sich morgen, Donnerstag, und am Freitag auch der SPÖ-Klub bei seiner Klausur in Wien.
Mit Rendi-Wagner sitzt selbst eine Expertin mit am Tisch. Die Tropenmedizinerin ist "ein Kind der Ärzteschwemme" der späten 90er-Jahre, erzählt sie. Auf einen Kassenvertrag musste man Jahre warten. "Eine Warteliste gibt es jetzt nicht mehr, dafür gibt es viele offene Stellen."
"Es ist ein Verteilungsproblem"
Die Zahlen geben Rätsel auf: Die Anzahl der berufsausübenden Ärzte ist seit 1970 um 262 Prozent gestiegen - von 12.438 auf rund 45.000. Die Bevölkerung ist in dieser Zeit um 17 Prozent gewachsen. Wieso sprechen wir dann von einem Ärztemangel? Wo sind die alle hin?
Es ist nicht unbedingt ein Problem der Quantität, sagt Allgemeinmediziner Florian Stigler von der Med-Uni Graz. "Es ist ein Verteilungsproblem".
Die Zahl der GKK-Vertragsärzte ist in den vergangenen 20 Jahren annähernd gleich geblieben, jene der Wahlärzte aber massiv angestiegen. Immer mehr Absolventen des Medizinstudiums machen eine Facharztausbildung und ziehen das Spital einer eigenen Praxis vor.
Hausarzt als Job wenig reizvoll
Für den Patienten am stärksten spürbar ist der Mangel an Hausärzten. Von den derzeit rund 45.000 Ärzten sind weniger als 4000 Hausärzte.
Er ist laut Stigler "die Drehscheibe für die Behandlung eines Patienten", aber offensichtlich ein wenig reizvoller Job. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017 haben nur sieben Prozent der Jungärzte Ambitionen in diese Richtung. Nur 14 Prozent wollen überhaupt den Schritt in die Selbstständigkeit wagen.
87 Hausarzt-Stellen sind laut einer Erhebung der Med-Uni Graz aktuell unbesetzt. Gerechnet auf die österreichische Bevölkerung und die Stellendichte betrifft das 200.000 Patienten. Und das Problem wird sich verschärfen, sagt Stigler - in allen Bereichen.
Von rund 18.300 niedergelassenen Ärzten werden in den nächsten zehn Jahren rund 48 Prozent das Pensionsalter erreicht haben. Bei den rund 7000 mit Kassenvertrag sind es sogar mehr als die Hälfte. Laut Ärztekammer braucht es pro Jahr 938 neue Ärzte als Nachbesetzung.
Die Demografie arbeitet gegen uns, erklärt Leo W. Chini, Leiter des Forschungsinstituts für Freie Berufe an der Wirtschaftsuni Wien. Der Bedarf an Ärzten steigt durch die älter werdende Bevölkerung, das Angebot sinkt aber.
Mit 30.000 Vollzeitäquivalenten (laut Berechnungen der Ärztekammer) sei Österreich derzeit recht gut ausgestattet. Bis 2030 werde man aber um die 30 Prozent durch die Pensionierungswelle verlieren.
Keine neue Ärzteschwemme kreieren
Laut Chini müsse man überdenken, wie man mit dem Medizinernachwuchs umgeht: Den Aufnahmetest an den medizinischen Universitäten konzentriere sich derzeit fast ausschließlich darauf, wie lernbereit ein Bewerber ist und zu wenig darauf, wie geeignet er für den tatsächlichen Beruf ist.
Zudem sei die Ausbildungsdauer zu lang: Vom Studienbeginn bis zur fertigen Facharztausbildung vergehen zwölf bis 14 Jahre, für die Allgemeinmedizin etwas weniger.
Was also tun?
"Man muss an mehreren Schrauben drehen", schickt Rendi-Wagner voraus. Den Aufnahmetest einfacher zu gestalten oder die Ausbildungszeit zu verkürzen, könnte zu einer neuen Ärzteschwemme führen. Zur Qualität der Patientenversorgung trage das nicht unbedingt bei.
Ein Ansatz - bezogen auf den Hausärzte-Mangel - ist, den Beruf für den medizinischen Nachwuchs zu attraktivieren. Ihnen fehle es oft nicht nur am nötigen Kapital, wenn sie eine Praxis eröffnen wollen - "es will auch niemand zu Beginn seiner Karriere alleine in einer Praxis sitzen", sagt Rendi-Wagner, die für das Modell der Gruppenpraxen bzw. medizinischen Zentren plädiert.
Zehn Monate lang war sie Gesundheitsministerin und erinnert an die Maßnahmen, die während der rot-schwarzen Regierung gesetzt wurden.
Ausbau medizinischer Zentren
So wurde vor der Wahl im Oktober 2017 auf den letzten Drücker noch das Gesetz für Primärversorgungszentren beschlossen. Das sind Einrichtungen, in denen sich mehrere Ärzte zusammenschließen. Als Musterbeispiel gilt etwa das Zentrum in Enns, Oberösterreich, oder in Wien-Mariahilf.
Rendi-Wagner plädiert für einen Ausbau. In vielen Ländern Europas gehe der Trend in Richtung dieser interdisziplinären Zentren.
Eine weitere Maßnahme, auf die Rendi-Wagner stolz verweist, ist die telefonische Gesundheitsberatung (Nummer: 1450). Pilotprojekte wurden in Wien, Niederösterreich und Vorarlberg gestartet, die "Gesundheitsnummer" soll heuer bundesweit verfügbar sein.
Umgesetzt wurde unter Rot-Schwarz auch das System der Lehrpraxen - dabei werden Jungmediziner von niedergelassenen Ärzten in den Praxen ausgebildet.
Vorschläge zur Lösung des Ärzte-Problems gäbe es viele, und Rendi-Wagner meint etwas wehmütig: "Ich wünschte, ich könnte hier als Gesundheitsministerin sitzen und sagen können: Wir machen das morgen." Als Ex-Ministerin und Chefin der größten Oppositionspartei sieht sie jetzt ihre Nachfolgerin Beate Hartinger-Klein gefordert.
Sondersitzung im Nationalrat
Nächste Woche will die SPÖ zum Thema Ärztemangel eine Sondersitzung im Nationalrat einberufen und die FPÖ-Ministerin fragen, was sie zu tun gedenkt. "Momentan sehe ich keine Bemühungen, dem Ärztemangel entgegenzutreten", so die Kritik der Vorgängerin.
Bei der Klubklausur am Freitag sind 200 Bürgermeister aus ganz Österreich eingeladen, um ihre Erfahrungen mit dem Ärztemangel zu schildern. Eine davon ist Kerstin Suchan-Mayr aus St. Valentin. Im Einzugsgebiet der Stadtgemeinde leben rund 16.000 Menschen, denen fünf Hausärzte zur Verfügung stehen - das wären 3200 Patienten pro Hausarzt.
"Ein Hausarzt hat bei uns pro Tag bis zu 120 Patienten", schildert sie. Pro Person bleiben etwa fünf Minuten für Gespräch, Untersuchung, Diagnose und die Festlegung einer Therapie. Dazu kommen Pflichten wie die Schularzt-Untersuchung und die Totenbeschau, gibt Suchan-Mayr zu bedenken.
"Unsere Hausärzte leisten tagtäglich ihr Möglichstes, aber auf Dauer wird sich das Problem verschärfen und vieles nicht mehr gehen."
Der KURIER hat sich kürzlich im Rahmen einer Serie mit dem Thema Ärztemangel beschäftigt: