Schönborn: Rückkehr zu früheren Zeiten weder möglich noch wünschenswert
Von Rudolf Mitlöhner
Gesetzt den Fall, dies wäre nicht seine Abschieds- sondern seine Antrittspressekonferenz – was würde er dann in den Fokus stellen, wurde Kardinal Christoph Schönborn gefragt. Seine Antwort mag einige überrascht haben: Er würde „mehr das geistliche Leben empfehlen, neben allen ganz wichtigen sozialen und gesellschaftlichen Fragen“, sagte der scheidende Wiener Erzbischof.
Dann verwies Schönborn auf David Steindl-Rast, den 98-jährigen österreichisch-amerikanischen Benediktiner, weltweit gefragter Vortragender und Buchautor, dem er kürzlich zum ersten Mal begegnet sei und der durch seine „ganz geerdete und überzeugende Spiritualität“ fasziniere. Früher habe man Priester „Geistliche“ genannt – und die Kirche bräuchte auch heute „geistliche Menschen“ (die nicht Priester sein müssten), „an denen man sich orientieren kann“. Denn: „Was soll das Christentum anderes machen, als Orientierung geben und aus dieser Orientierung zu leben helfen?“
Die Begegnung mit Journalisten am Montagnachmittag war gedacht als Antwort auf die zahllosen Interviewanfragen (auch des KURIER) an den Kardinal anlässlich seines 80. Geburtstages am 22. Jänner und seiner um dieses Datum herum erwarteten Emeritierung. Da man nicht jeder einzelnen entsprechen konnte, lud man zum Sammeltermin, der zu einer Bilanz von Schönborns fast 30-jähriger Amtszeit und einem Stück Zeitdiagnostik des führenden österreichischen katholischen Kirchenmannes wurde.
Es gibt kein Rezept
Eine deutliche Absage erteilte der Kardinal Wünschen und Sehnsüchten, „die frühere Zeit wiederherzustellen“ – auch wenn dies gerade aus kirchlicher Perspektive verlockend sein mag, mit Blick auf seinerzeit volle Kirchen, breite Teilnahme am kirchlichen Leben und eine starke Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit. Aber für eine solche Rückkehr gebe es kein Rezept, das sei „unmöglich“ – und: „Ich wünsche es mir auch nicht.“
"Tiefe Ressourcen"
Grund zur Resignation sei dies dennoch nicht. Es gebe eine spürbare intensive „Suche nach Antworten auf die großen existenziellen Fragen“, und hier habe das Christentum ein „großes Angebot“, „tiefe Ressourcen“. Als Positivbeispiel verwies Schönborn auf 13.000 Erwachsene, nicht traditionell katholisch sozialisiert, die heuer zu Ostern in Frankreich sich taufen ließen: „Was bewegt sie?“
Generell sieht der Kardinal die Herausforderung für die Kirche, sich in eine zu bejahende liberale Demokratie „auf der Basis der Menschenrechte und der Freiheit“ einzubringen. Solche Elemente könnten „die Würde jedes Menschen“ oder dessen „Transzendenz-Offenheit“ sein.
Liberal heißt nicht beliebig
Entschieden trat Schönborn indes dem Missverständnis entgegen, dass eine liberale Grundhaltung Beliebigkeit bedeute. Wahr sei vielmehr im Gegenteil: „Die Voraussetzung für eine weitgespannte Brücke sind tiefe Fundamente, feste Pfeiler, die die Brücke tragen.“ Auch der interreligiöse Dialog setze eine „eigene gefestigte Haltung im Glauben“ voraus. In diesem Zusammenhang verwies Schönborn auf seinen Lehrer Joseph Ratzinger, den späteren Erzbischof, Kardinal und Papst, dem er viel verdanke, „und der entgegen dem Bild, das oft von ihm gezeichnet wurde, ein sehr offener und weitsichtiger Mann war“.
Mit Ratzinger/Benedikt XVI. verband Schönborn auch eine persönliche Freundschaft. Er war einer von drei Päpsten, die Schönborn in seiner Zeit als Erzbischof erlebte. Mit Johannes Paul II. hatte er vor allem im Rahmen seiner Arbeit für den Weltkatechismus zu tun; Franziskus habe er schon kennen gelernt, als dieser noch Weihbischof in Buenos Aires war – bei den „Kleinen Schwestern vom Lamm“. In einer Wiener Niederlassung dieses Ordens wird Schönborn nach seiner Emeritierung wohnen.
Bei allen drei Päpsten habe er allerdings immer wieder auch „Bauchweh“ gehabt. Auf Nachfrage wollte der Kardinal das jedoch nicht konkretisieren, aber brachte dafür ein Beispiel für „Bauchweh“ beim schon weiter zurückliegenden Pontifikat Pauls VI. (1963–1978): Dessen Ostpolitik habe er – „wir haben ja in Österreich den Kommunismus wirklich hautnah erlebt“ – als „zu blauäugig“ empfunden.
Frauenfrage "nicht vom Tisch"
Kein Thema war bei dem Gespräch Schönborns Nachfolge – auch die Frage nach dem Anforderungsprofil des künftigen Wiener Erzbischofs wollte er nicht beantworten. Die ewige Frage nach den „heißen Eisen“ beantwortete der Kardinal relativ kurz: An den katholischen Ostkirchen sehe man, dass es die „Möglichkeit, verheiratete Priester zu haben“ auch in der katholischen Kirche gebe. Und die Frauenfrage „ist nicht vom Tisch. Sie wird auch nicht vom Tisch sein.“
Strukturfragen sind für Schönborn freilich ohnedies nur mit Blick auf das größere Ganze sinnvoll: „Mission first“, „Jüngerschaft“, „Strukturreform“ lautet für ihn die Reihenfolge. Der zentrale Auftrag Jeus laute, in die Welt hinauszugehen und alle Menschen zu Jüngern zu machen (vgl. Mt 28,19).
Ob er optimistisch oder pessimistisch auf die Zukunft blicke? Dies sei eine „Frage des Temperaments“, zitierte er nochmals Ratzinger. Das entscheidend Christliche sei die Hoffnung. Dabei gehe es nicht um Temperament, sondern um eine Frage „des Willens und der Geistesüberzeugung“. „Und ich bin hoffnungsvoll.“
Worauf freut sich der Wiener Erzbischof nun am meisten? „Auf Weihnachten.“