Politik/Inland

Rot-Schwarz und Mitterlehners Dilemma

Nach der dieswöchigen Regierungssitzung demonstrierten der SPÖ-Kanzler und der ÖVP-Vizekanzler Einigkeit: Eines Sinnes seien sie nicht nur flüchtlingspolitisch, sondern auch darin, mit Arbeit das Image zu verbessern. Dass es nach den schlechten Wahlergebnissen für ihre Parteien in Oberösterreich nicht weitergehen könne wie bisher, sei ihnen bewusst.

Und dann das: Tags darauf drohte Reinhold Mitterlehner Werner Faymann, die Koalition zu beenden: "Wenn wir nicht in nächster Zeit deutlich beweisen, dass wir regieren wollen und können, dann macht es keinen Sinn, auf Dauer weiterzuwurschteln. Dafür stehe ich nicht zur Verfügung."

Mehr dazu:

ÖVP kalmiert

Die Aufregung war groß, auch wenn Mitterlehner kurz darauf relativierte: Als Drohung sei das nicht zu verstehen. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka versucht ebenfalls, zu beruhigen: Es sei zwar nicht alles "heppipeppi"; es gebe aber eine Basis, auf der man aufbauen könne.

Was hat Mitterlehner, kein Neuling im Polit-Geschäft, zu dieser Ansage motiviert? Wie geht der Koalitionspartner damit um? Und wie wird das in seiner Partei gewertet? Einig sind sich alle darin, dass der ÖVP-Chef sicher nicht bald wählen lassen will. "Das wäre Polit-Selbstmord mit Anlauf", sagt ein ÖVP-Stratege. Die FPÖ könnte nämlich Erste werden, die ÖVP gar Dritte. Die Funktionäre wären nach vier Landtagswahlen wohl auch nicht animiert, wieder für die Partei zu laufen. Zudem fehlt das nötige Geld. Entsprechend unbeeindruckt ist die SPÖ.

SPÖ betont gelassen

Ein roter Stratege führt Mitterlehners Drohgebärde auf internen Druck zurück. "Wir bemerken seit Wochen Nervosität in der ÖVP. Sie versucht, Streit in der Regierung zu provozieren, weil der Kanzler europapolitisch in der Flüchtlingscausa offensiv ist."

Faymann konnte sich zuletzt mehrfach ins Szene setzen – etwa an der Seite der deutschen CDU-Regierungschefin Angela Merkel. Der Kanzler hat daher – auch im Hinblick auf die Wien-Wahl in zehn Tagen – kein Interesse an erneutem Zwist in der Koalition. Minister Josef Ostermayer, dessen Partei eine Wahl genauso fürchten muss wie die ÖVP, gibt sich gelassen: "Ich habe es nicht so empfunden, dass Reinhold Mitterlehner mit dem Ende der Koalition gedroht hat."

Dieser Ansicht sind auch viele in der ÖVP. "Ich bin dezidiert gegen Neuwahlen, aber die Regierung muss in den wesentlichen Fragen – Asyl, Arbeitsmarkt, Bildung – etwas weiterbringen", sagt ÖAAB-Generalsekretär August Wöginger.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter meint, Mitterlehner habe lediglich "deutlich gesagt, worauf es ankommt – und mehr Reformwillen von der SPÖ eingefordert. Ich bin überzeugt, dass man auch in der SPÖ diese Notwendigkeit erkennt, denn Neuwahlen bringen niemandem etwas. Die Regierung hat den Auftrag, zu arbeiten. Ich gehe davon aus, dass sie diesen Auftrag wahrnimmt."

Brennende Asyl-Frage

Für Wöginger ist "das brennendste Problem" die Asyl-Frage: "Wenn sich eine Partei verdoppelt (die FPÖ ist in Oberösterreich von 15,3 auf 30,4 Prozent gewachsen), kann man nicht so weitertun, als wäre nichts gewesen." Er will, dass jeder Flüchtling bei der Einreise registriert wird.

Mitterlehner war ja anfangs beim Asyl-Thema auf sanftem Kurs, vor der Oberösterreich-Wahl schwenkte er auf Hardliner um. Ländervertreter, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz drängten ihn dazu.

Obmann-Debatte

Manche Schwarze sehen bereits die traditionelle Obmann-Debatte heraufdräuen – nach der Wien-Wahl, bei der die ÖVP einstellig werden könnte. Mitterlehners logischer Nachfolger wäre Kurz. Der Außenminister wird aber nicht drei Jahre vor der regulären Wahl an die Parteispitze wollen. Zudem, wenden Funktionäre ein: "Wir können nicht jedes Jahr den Obmann wechseln." Und so wird Mitterlehner bleiben. Angesichts des bisherigen Reformeifers ist freilich fraglich, dass seine leere Drohung Schwung in die Koalition bringt.

"Das ,Asyl auf Zeit‘ sind bisher nur Aussagen der ÖVP – und nicht mehr. Deutschland hat dieses System aus guten Gründen abgeschafft", sagt Sozialminister Rudolf Hundstorfer zum KURIER.

Offen ist der Minister für Anpassungen, die durch aktuelle deutsche Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik notwendig sind. "Wir brauchen schnellere Verfahren. Das nimmt den Menschen auch die Ängste."

In seinem Ressort ist er auf mehr Deutschkurse, Kompetenz-Checks und eine raschere Integration in den Arbeitsmarkt vorbereitet. "Es gibt eine Mehrbelastung, auch ein finanzielle, aber sie ist bewältigbar – und bringt langfristig viele Vorteile."

Nach den massiven Verlusten der SPÖ bei der Landtagswahl in Oberösterreich wird die Sozialdemokratie ihren Kurs in der Asylpolitik kurz vor der Wien-Wahl nicht ändern. "Wir fahren eine klare Linie, die einer humanitären Flüchtlingspolitik. Allerdings müssen sich Asylwerber auch an Spielregeln und Werte halten: Trennung von Kirche und Staat oder die Gleichberechtigung der Geschlechter." Hundstorfer ist überzeugt davon, dass die SPÖ die Flüchtlingsfrage richtig kommuniziert: "Reden, reden, reden, viele Gespräche mit Bürgern führen" – so lautet die Strategie. "Die FPÖ hat die einfache Antwort, nämlich: Raus!; die SPÖ hat die komplizierte Antwort: Wir schauen uns an, wer berechtigt ist, hier zu bleiben."

Bei der jüngsten Forderung von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den Arbeitsmarkt sofort für Asylwerber zu öffnen, ist Hundstorfer skeptisch. "Davon halte ich nichts. In Österreich bleiben wir beim erschwerten Zugang."

Das heißt: Offen sind für Asylwerber saisonale Jobs und gemeinwirtschaftliche Projekte.