Medien: "Verantwortungsloser Trieb zur Selbstdarstellung"
Den Misstrauensantrag gegen die Regierung Sebastian Kurz am Montagnachmittag bewerten internationale Tageszeitungen unterschiedlich.
Die Süddeutsche Zeitung (München) sieht "auf allen Seiten" einen "verantwortungslosen Trieb zur Selbstdarstellung", der zu einem "Scherbenhaufen" geführt habe. "Der nun gestürzte Kanzler Kurz, der sich in allen Etappen der Krise als Garant für Stabilität und Sicherheit darzustellen versuchte" habe "in Wahrheit das verhängnisvolle Primat der Parteipolitik als Erster gesetzt." Die FPÖ betreibe "nach Straches Dummdreistigkeit" eine "aggressive Täter-Opfer-Umkehr". "Vermasselt" habe es auch die SPÖ, "die sie sich in dieser Krise darauf verlegt, alte Rechnungen mit Kanzler Kurz zu begleichen." Vereint würden sich Österreichs Parteien "höchstens in der Lust am Chaos" zeigen. "Dabei wäre es eigentlich nun höchste Zeit, wieder einmal daran zu denken, dass dieses Land auch noch regiert werden muss."
"In Österreich müssen also Wahlgewinner den Hut nehmen, und eine Allianz aus Wahlverlierern bestimmt über die Geschicke des Landes", schreibt Die Welt (Berlin), die den ÖVP-Erfolg bei der EU-Wahl vor allem als Kurz-Erfolg sieht. "Die Sozialdemokraten reißen das Heft des Handels an sich. Doch mittelfristig dürfte sich der erzwungene Personalwechsel als Eigentor erweisen", heißt es weiter, "auf Kurz wartet bereits ein strahlendes Comeback".
"Kurz geschwächt" und "erhält Quittung"
"Mit wem hat es sich Kurz noch nicht verscherzt?", fragt die Franfurter Allgemeine Zeitung in Anbetracht des Misstrauens von SPÖ und FPÖ gegen die ÖVP, "wie lässt sich noch einmal eine Mehrheit bilden, um Projekte zu verfolgen, die über das gegenseitige Verhindern im großkoalitionären Kleinklein hinausgehen?". Und weiter: "Der Montag hat Kurz geschwächt, mehr als die ÖVP-Leute sich das möglicherweise selbst eingestehen mochten. Ihm fehlen der Kanzlerbonus und die internationale Bühne, auch die Ressourcen, die, bei allem Trennungsgebot, die Regierungsämter den Wahlkämpfern zur Verfügung stellen. Das ist der Grund, warum SPÖ und FPÖ sich zur Abwahl von Kurz zusammengetan haben."
"Kurz erhält auch die Quittung dafür, dass er das Parlament und die Oppositionsparteien in den letzten anderthalb Jahren mit Geringschätzung behandelt hat", schreibt die Neue Zürcher Zeitung, "und doch ist der ÖVP-Chef durch den Vertrauensentzug nicht gedemütigt. Vielmehr ist die paradoxe Situation entstanden, dass er trotz dem unrühmlichen Ende seiner Regierung nur gewinnen konnte. Wäre der Misstrauensantrag gescheitert, hätte sich die Opposition blamiert, und Kurz hätte bis zur Neuwahl im Herbst einen Wahlkampf als Kanzler führen können. Stattdessen wurde er nun in eine Märtyrerrolle gedrängt."
"Übergroße Rolle" in EU für "Trump im Slim-Fit-Anzug"
"Kanzler Sebastian Kurz und seine Übergangsregierung wurde am Montag mit einem Misstrauensantrag im Parlament abgesetzt als die Folgen eines heimlich gefilmten Videos, die die politische Unordnung in einem europäischen Land, das normalerweise für Stabilität bekannt ist, noch verstärkten", berichtet die New York Times, "das Votum war ein schwerer Schlag für Kurz, ein gut gekleideter, intelligenter, junger Politiker, der das Schicksal der Konservativen wendete, indem er seiner Partei das Image einer Bewegung verpasste und das traditionelle Schwarz in ein Türkis umgewandelt hat."
"Kurz hat eines der kleineren Mitglieder der Europäischen Union angeführt - Österreich hat knapp 9 Millionen Einwohner -, aber er hat während seiner kurzen Amtszeit eine übergroße Rolle in der Politik des Kontinents gespielt, seit ihn die Wahlen Ende 2017 an die Spitze gebracht haben", schreibt die Washington Post, "der junge Politiker wurde von Kritikern als 'Trump im Slim-Fit-Anzug' verspottet und hatte Fans im Umfeld des US-Präsidenten gewonnen, indem er seine ehemals schwerfällige Partei wiederbelebt und viele der Ideen, Richtlinien und Parolen der rechtsextremen Partei übernommen hatte."
"Schwerer Schlag" und "stark geschwächt"
"Für Kurz ist es ein schwerer Schlag, als erster österreichische Kanzler in die Geschichte einzugehen, der nach nur 17 Monaten im Amt durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde. Jetzt setzt Kurz auf seine durch die Trennung von Strache gefestigte Popularität, um sich als starker Leader zu profilieren. Doch Austria Felix erscheint instabiler und polarisierter denn je. Keiner wettet, wer das Duell gewinnen wird", schreit La Repubblica (Rom).
"Nach dem Ibiza-Gate kehrt die FPÖ Kurz den Rücken", schreibt Sole 24 Ore (Mailand) "auf parlamentarischer Ebene war der Kanzler nach dem Ibiza-Skandal stark geschwächt. Die FPÖ wollte sich rächen, während die Sozialdemokraten ihn beschuldigen, die Krise ohne Hilfe anderer politischer Kräfte bewältigen zu wollen."