Politik/Inland

Filzmaier zu Koalitionspoker: ÖVP mit "Erpressungspotenzial"

Ganze 129 Tage mussten sich die Österreicherinnen und Österreicher nach der zehnten Nationalratswahl im Jahr 1962 gedulden, bis ÖVP und SPÖ zu einer Koalition zusammenfanden. 100 Tage dauerte es nach der letzten Nationalratswahl vor fünf Jahren, bis die Türkis-Grüne Bundesregierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) angelobt wurde. Im Durchschnitt dauerte die Regierungsbildung nach den bisher 23 Wahlen der Zweiten Republik übrigens 62,4 Tage.

Auch für heuer rechnen Politexperten mit komplizierten und somit langwierigen Gesprächen. Theoretisch sind in der neuen Legislaturperiode sechs Koalitionsvarianten möglich, wie Kollege Bernhard Gaul hier zusammengefasst hat. 

Praktisch haben sich einige Parteien im Wahlkampf schon klar gegen Gespräche mit anderen politischen Mitstreitern verwehrt - im Speziellen mit der FPÖ. Keiner will mit dem Wahlsieger. Die SPÖ hat schon im Jahr 2004 auf ihrem Parteitag beschlossen, mit einer "rechtspopulistischen FPÖ" keine Koalition einzugehen. Der Beschluss gilt bis heute, das hat auch Parteichef Andreas Babler immer wieder betont.

Als einigermaßen realistische Koalitionsvarianten bleiben somit die große Koalition zwischen Volkspartei und SPÖ. Da diese Mehrheit aber eine sehr enge wäre, ist auch eine Dreierkoalition mit Grünen oder den Neos denkbar. Oder aber ÖVP und FPÖ machen gemeinsame Sache. Der Schönheitsfehler hierbei: Die ÖVP hat zwar eine Koalition mit den Blauen nicht explizit ausgeschlossen, unter Obmannschaft eines Herbert Kickl jedoch schon.

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ÖVP "kann in beide Richtungen verhandeln"

An der ÖVP wird man also bei einer Regierungsbildung jedenfalls nur schwer vorbeikommen, Politologe Peter Filzmaier sieht die Partei und Obmann Karl Nehammer gegenüber ORF.at somit in einer bequemen Position: "Sie kann in beide Richtungen verhandeln." 

Die Volkspartei hätte zwar in allen Konstellationen bittere Pillen zu schlucken, aber: "Sie hat als einzige Partei eine Alternativvariante zur Hand", so der Polit-Experte. "Man kann es sogar martialisch formulieren: Wenn Verhandlungen hart auf hart kommen, hat sie sogar Erpressungspotenzial", so Filzmaier gegenüber ORF.at.

Eine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ, eventuell unter Beteiligung der Neos, hält Filzmaier derzeit für die wahrscheinlichste Variante, weil Nehammer derzeit in der ÖVP der entscheidende Akteur sei. Sollte unter ihm aber keine Regierungsbildung gelingen, könnte sich das schnell ändern. Die Gespräche zwischen den beiden alten großen Volksparteien werden jedenfalls keine einfachen werden: Neben inhaltlichen Differenzen mangle es den beiden Parteien an gemeinsamen "Positiverzählungen", so Filzmaier. 

Einzig die FPÖ verhindern zu wollen, sei "nachweislich empirisch belegbar in dieser Wahl schiefgegangen". Zudem würde die FPÖ in Opposition "fünf Jahre Dauerwahlkampf" betreiben, was wiederum für die Regierung keine angenehme Perspektive darstelle.

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Inhaltlich wären die Schnittmengen zwischen Blau und Schwarz jedenfalls bedeutend größer, als unter Rot-Schwarz: Filzmaier beziffert die Gemeinsamkeiten mit 80 Prozent, "etwa im wirtschafts- oder sicherheitspolitischen Bereich". Einer Koalition entgegenstehen würde nur "das Problem, dass sie mit genau einer Person nicht will". Eine Haltung, die Filzmaier mit Verweis auf Niederösterreich als unglaubwürdig bezeichnet. Dort würde die ÖVP mit einem weltanschaulich ähnlich verortbaren Udo Landbauer in einer Regierung sein. Dass sich die ÖVP inhaltlich nun noch weiter an die FPÖ annähern könnte, glaubt Filzmaier aber nicht, denn "noch mehr Annäherung wäre Fusion, und das schließe ich aus".

Heute, Dienstag, Vormittag tritt der Bundesparteivorstand der ÖVP zusammen. Dabei müsste sich die Partei "darüber klar werden, was sie will."

Bericht auf ORF.at (externer Link)