Plötzlich Kanzler: Schallenberg vom Außenminister zum Regierungschef
Er gilt als „geborener Diplomat“ und als „Intimus“ von Sebastian Kurz. Jetzt soll Außenminister Alexander Schallenberg die Regierungsverantwortung von Kurz, der sich Samstagabend auf die Position des ÖVP-Parteichefs und -Klubchefs zurückgezogen hat, übernehmen. Vizekanzler Werner Kogler nennt das „konstruktiv“. Heute soll es ein Treffen der beiden geben.
Am 30. Mai 2019 wird Schallenberg von Bundespräsident Alexander Van der Bellen neben der ersten Kanzlerin der Zweiten Republik, Brigitte Bierlein, als Außenminister der Expertenregierung bestellt. Schallenberg behält sein Ressort auch nach der Nationalratswahl 2019 und wird Außenminister der türkis-grünen Regierung. Im Lockdown organisiert er mit AUA-Chef Alexis Hoensbroech die größte Repatriierungsaktion der Zweiten Republik. 7.500 Österreicher werden nach Hause geflogen.
Erstmals für Negativ-Schlagzeilen sorgt Schallenberg, als er in der ZiB2 auf die Frage nach der Verteilung von Flüchtlingen aus Moria sagt: „Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein“. Später entschuldigt er sich dafür. Der ÖVP tritt er übrigens erst bei, nachdem er in der türkis-grünen Regierung angelobt ist.
Von sich reden macht der Minister 2021 durch das umstrittene Hissen der israelischen Fahne auf dem Außenministerium, um Solidarität mit Israel zu zeigen. Und durch ein heftig diskutiertes Video, das den Angriff einer Atombombe über Wien simuliert, um auf die Gefahr von Atomwaffen aufmerksam zu machen. Im August – die USA ziehen aus Afghanistan ab, die Taliban übernehmen dort die Macht – sorgt er für Unmut beim Koalitionspartner. Grund: Man solle die Taliban an ihren Taten messen, erklärt er. Kogler kontert: Der ÖVP fehle es an Menschlichkeit.
Im September sind Kurz und Schallenberg dann gemeinsam in New York, Schallenberg hält seine zweite Rede vor der UNO.
Der vierfache Vater kennt das diplomatische wie politische Parkett seit Jahrzehnten. 1969 in Bern als Sohn des Botschafters und späteren Generalsekretärs im Außenministerium (1992 bis 1996), Wolfgang Schallenberg, geboren, wächst er in Indien, Spanien und Frankreich auf. Von 1989 bis 1994 studiert Schallenberg junior Rechtswissenschaften in Wien und Paris, danach europäisches Recht am Europacollege im belgischen Brügge.
Zurück in Österreich macht sich der Jurist als Pressesprecher der früheren Außenministerin Ursula Plassnik sowie später von deren Nachfolger Michael Spindelegger (beide ÖVP) einen Namen. Als Kurz die Agenden des Außenministers übernimmt, befördert er den Kommunikationsprofi zum Leiter für „strategische außenpolitische Planung“. In den Regierungsverhandlungen nach der Wahl 2017 zählt Kurz auf „Schalli“, wie der designierte Kanzler in politikmedialen Kreisen seit seiner Zeit als Pressesprecher genannt wird. Er gilt als jovial, gesellig und – für einen Politiker – außergewöhnlich humorvoll
Über seinen mehrfachen Vorgänger – als Außenminister wie als Kanzler – Kurz, sagt Schallenberg im Spiegel, selten habe er einen so talentierten Minister erlebt. Umgekehrt sagt Sebastian Kurz am Samstag, Schallenberg verfüge über das notwendige diplomatische Geschick, das Vertrauen zwischen den Parteien wieder aufzubauen.