Politik/Inland

Pflege-Reportage: "Sie kommen immer später, bleiben kürzer"

Herrschaftlich wirkt es. Das ehemalige Wiener Frauenheim und nunmehrige Caritas Pflegewohnheim in  Schönbrunn. Gelbgetüncht  außen,  bemerkenswert ruhig innen. So ruhig, dass das Vogelgezwitscher im Erdgeschoß dem Besucher sofort auffällt. „Tiere dienen der Ansprache, der Interaktion“,  erklärt der Leiter des Hauses,  Joachim Pock, und geht  auf die Quelle des Geräuschs,  den Wellensittich-Käfig, zu. 

Aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe gehen –  das können die wenigsten der 74 Bewohner, die hier leben, wie ein Blick in den Aufenthaltsraum gleich neben dem Vogelkäfig zeigt. Die Damen und Herren, die hier teils in  Rollstühlen, teils auf Holzsesseln neben ihren Rollatoren um einen Tisch sitzen, trainieren ihr Gedächtnis, wie Pock flüsternd erklärt.

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Am lautesten ist die Stimme des Gedächtnistrainers, der wissen will,  was zu Ostern gefeiert wird. Richtige Antworten kommen erst nach mehrmaliger Nachfrage, zögerlich, teils undeutlich. Nicht Schüchternheit oder Schwerhörigkeit ist der Grund, sondern die seelisch- geistige Verfasstheit  der Zuhörer. „Zwei Drittel unserer Bewohner sind gering bis hochgradig an Demenz erkrankt. Erst vergessen sie Kleinigkeiten wie Namen, dann können sie sich nicht mehr um den Haushalt, sich selbst kümmern.“

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Keine Besonderheit des Heims,  sondern weltweit Realität. Laut „World Alzheimer Report “ und „Alzheimer’s Disease International“ wird sich die Zahl der Demenzkranken bis 2050 auf über 130 Millionen verdreifachen. In Österreich leben Schätzungen zufolge gegenwärtig zwischen 130.000 und 190.000 Menschen mit der Krankheit. 

Wer eines der Zimmer in Schönbrunn bezieht,  der hat zumeist die Heimhilfe und das 80. Lebensjahr hinter sich gelassen. Im Durchschnitt sind die Bewohner  88 Jahre alt und haben Pflegestufe 4,8. Mit einer Pension von 1125,93 Euro (durchschnittliche Pensionshöhe in Österreich 2017) und Pflegegeldstufe 4 (677,60 Euro bei Pflegegeldstufe 4) wäre der durchschnittlich 4680 Euro teure Heimplatz aber nicht finanzierbar.

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20 Prozent erhalten die Bewohner von dieser Summe (Pension plus Pflegegeld) als Taschengeld ausbezahlt, der Restbetrag geht automatisch an den Fonds Soziales Wien. Die Differenz zum 4680 Euro Heimplatz-Preis schießt das jeweilige Bundesland, im nämlichen Fall Wien, zu.

Was Demenz erfordert, das zeigt sich auf jeder der drei Etagen des Pflegewohnhauses in Schönbrunn. Blaue Straßenschilder,  Fotos von Filmstars  aus der Schwarz-Weiß-Ära und unzählige Uhren wie Kalender sollen dem Gedächtnis und der Orientierung der Bewohner dienen.

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Was das für das  Pflegeheim bedeutet, das erklärt  Leiter Joachim Pock: „Die Menschen werden immer älter, sie kommen immer später und sie  bleiben immer kürzer.“ Was das heißt, offenbart sich im Keller des 112 Jahre alten Gebäudes, im Verabschiedungsraum.

Ein kleiner, gekühlter Raum, in dessen Mitte eine Bahre mit einem lilafarbenen Tuch steht. An der Wand ein Kreuz und ein in lila Farben gehaltenes Bild, an der Wand lehnen Holzsessel. „Hier können Angehörige Abschied nehmen von Bewohnern, die im Heim versterben“, sagt Mihajela Dvorak, Qualitätsbeauftragte des Pflegehauses. „Das  gehört zu unserem Alltag, das gehört zum Leben dazu.“

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Dvorak verschließt den Raum wieder und führt den Besuch hinauf, ins Erdgeschoß, wo Hertha Pecher wartet. Die 88-Jährige sitzt im Rollstuhl. Hände in den Schoß gelegt, den Blick dem Besucher zugewandt, lächelnd. „Ich habe mein Leben lang auf der Schönbrunner Straße gelebt. Und jetzt auch“, sagt Pecher und streicht mit den Händen über das Tischtuch vor ihr.

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„Eingezogen bin ich hier mit meinem Mann. Im Sommer. Ich dachte, wir haben es hier schön und dann ist er gestorben.“ Pechers Lächeln weicht Tränen. Für einen Moment. Dann erzählt sie von Ausflügen in den Prater. „Wissen Sie, ich beobachte so gerne die Leut’, da kann man noch was erleben.“