Politik/Inland

Pfarren sind oft das letzte soziale Auffangnetz

„Ich bin hier, weil es mir gut geht, und ich etwas zurückgeben möchte. Außerdem: Es tut nicht weh, ab und zu einen Nachmittag herzugeben.“

Seit neun Jahren macht Annemarie Lehnert als Freiwillige bei Le+O (Lebensmittel und Orientierung) in der Canisius-Pfarre in Wien-Alsergrund mit. Seit Herbst leitet sie das Projekt, bei dem Bedürftige um den symbolischen Beitrag von 3,80 Euro einen Korb voller Lebensmittel kaufen können.

Im Angebot sind Obst und Gemüse, Süßigkeiten, Milchprodukte – Restposten großer Lebensmittelketten, die hier verteilt werden. Andernfalls müsste man sie entsorgen. „Wir tun doppelt Gutes: Wir retten die Lebensmittel und helfen Bedürftigen.“

Und nicht wenig: In den 16 Wiener Pfarren, die sich an Le+O beteiligen, werden pro Woche 14 Tonnen Lebensmittel verteilt. Mehr als 15.000 Personen kommt die Hilfe zugute. Bewerkstelligt wird das ganze von mehr als 1000 Freiwilligen.

Eine davon ist Christiana Krenn. Wie Annemarie Lehnert ist auch sie seit Jahren in der Pfarre ehrenamtlich tätig. Früher waren beide im Pfarrgemeinderat – ihre Männer sind es noch –, heute helfen sie bei Le+O mit.

Alle paar Wochen steht Frau Krenn mit anderen Freiwilligen hinter dem Warentisch und verteilt Lebensmittel. „Meine drei Kinder sind groß geworden, da wollte ich ein Ehrenamt machen.“

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12.000 Freiwillige

Die Caritas der Erzdiözese Wien, die Le+O organisiert und koordiniert, hat nun erhoben, wie es um ehrenamtliches Engagement in den Pfarreien insgesamt steht. Und die Zahlen sind bemerkenswert: Mehr als 12.000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter opfern in den Pfarren der Erzdiözese Wien regelmäßig ihre Zeit für Menschen in Not.

„Es ist leichter, Helfer zu finden, als Leute für den Pfarrgemeinderat“, sagt Pfarrer Johannes Gönner. „Viele haben das Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun.“ Dabei geht die Bereitschaft mitzuhelfen über die Pfarre hinaus: „Man sieht Helfer, die sieht man in der Messe nie.“

Das Projekt Le+O ist nur ein Aspekt im sozialen Engagement der Pfarren. Ein weiteres, sehr gefragtes Angebot ist die Sozialberatung. Hier gab es im Vorjahr rund 36.000 Beratungsgespräche in den Pfarren.

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Seit 15 Jahren ist Gerhart Pristitz in der Canisius-Pfarre in Wien-Alsergrund als Sozialberater tätig. Der frühere Eisenbahner wollte in der Pension „nicht untätig sein“, also hilft er in der Pfarre mit.

Frau K., die mit Pristitz an diesem Tag Dienst macht, wollte nach der Karenz nicht gleich zurück in ihren Beruf als Psychologin, sondern „etwas von meiner Zeit hergeben“. Nun sitzen die beiden in einem kargen Büro und versuchen, den Menschen zu helfen.

Man stellt Kontakte zu Ämtern her, berät Schuldner, fragt bei Gläubigern (meist Vermieter, Strom- und Gasversorger) um Ratenzahlung an. „Wir sind das ganz unterste Netz. Wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, dann kommt die Pfarrcaritas“, sagt Pristitz.

Und wie geht es ihm persönlich damit? „Es relativiert die eigenen Befindlichkeiten gewaltig.“

In die Sozialberatung kommen Familien in Not, Migranten, Alleinerzieherinnen, Pensionisten, aber auch pflegende Angehörige. „Viele Menschen hat das Leben hart getroffen“, sagt Psychologin K., „mein Glaube hilft mir, das zu reflektieren und diesen Menschen eine Stütze zu geben. Ob diese Menschen selbst gläubig sind, spielt dabei keine Rolle.“

Sozialberatungen gibt es in rund der Hälfte der Wiener Pfarren. Nicht jede Gemeinde kann jeden Service anbieten. Man spezialisiert sich. In 40 Pfarren gibt es zum Beispiel Armenspeisung. 24 betreiben im Winter Wärmestuben für Obdachlose.

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100.000 Hausbesuche

Zweidrittel der Pfarreien bieten Besuchsdienste an. Die Nachfrage ist groß: Im Vorjahr haben 1500 Freiwillige mehr als 100.000 Besuche bei alten und einsamen Menschen zu Hause, im Pflegeheim oder im Spital absolviert. In der Pfarre Canisius ist der Besuchsdienst erst im Aufbau. Dabei ist Pfarrer Gönner froh über jeden Freiwilligen, der ihn unterstützt: „Viele wollen, dass der Pfarrer zu Besuch kommt, aber ich kann ja nicht überall sein.“

Eine der schwierigsten Aufgaben der Pfarrgemeinden ist die Trauerbegleitung. Unterstützt werden sie dabei von der Kontaktstelle Trauer der Caritas. Diese führt auch Lehrgänge für Trauerbegleiter durch, um die Ehrenamtlichen für die schwierige Aufgabe zu rüsten. Mehr als 160 Trauerbegleiter wurden bereits ausgebildet.

Seit der großen Migrationskrise von 2015 ist auch die Flüchtlingshilfe ein großes Thema in den Pfarren. Alleine in der Erzdiözese Wien haben rund 200 Pfarren und Ordensgemeinschaften Flüchtlinge aufgenommen. Derzeit gibt es hier Wohnraum für 1100 Schutzsuchende. Unterstützt und begleitet werden sie von rund 900 Freiwilligen.

Und nicht wenige von denen, die hier Hilfe gefunden haben, wurden seither selbst zu Helfern. Wie Mohammed Alisada. Der 20-jährige Afghane ist seit bald vier Jahren in Österreich. Seit zwei Jahren hilft er regelmäßig bei Le+O in der Canisius-Pfarre mit. Warum? „Die Leute brauchen doch Hilfe.“

Pfarrgemeinderat - der Motor des Pfarrlebens

Als „Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils“ bezeichnet Kardinal Christoph Schönborn die Pfarrgemeinderäte (PGR) in Österreich. 1965 wurde beim Konzil das Dekret „Apostolicam actuositatem“ über das Laienapostolat erlassen, das die Einrichtung beratender Gremien in den Pfarreien anregte. Damit sollten die Gläubigen in die Entscheidungsprozesse der Kirche eingebunden werden.

1969, also vor 50 Jahren - fanden in Österreich die ersten Pfarrgemeinderatswahlen statt, nämlich in den Diözesen Salzburg und Graz-Seckau. Seit 1987 gibt es alle fünf Jahre einen österreichweiten Wahltermin, zuletzt am 19. März 2017. 

Damals wurden 30.000 der rund 45.000 PGR-Mitglieder gewählt. 15.000 sind von Amts wegen Mitglied (zum Beispiel die Pfarrer oder Mitarbeiter der Pfarre). Unter den gewählten Mitgliedern sind 57 Prozent Frauen. 

Betrug die Wahlbeteiligung bei der Wahl 1987 noch 30 Prozent, sank sie bis 2017 auf  rund 20 Prozent. Erstaunlich ist allerdings, dass 2017 mit rund 890.000 Wählern mehr Menschen zur Pfarrgemeinderatswahl gingen, als die durchschnittlich rund 550.000 sonntäglichen Kirchgänger im Land. 

Je nach Größe der Pfarre besteht der PGR aus bis zu 31 Personen. Er ist das Entscheidungs- und Leitungsgremium der Pfarrei. Vorsitzender ist der Pfarrer. 
Vielfältige AufgabenDie Aufgaben der PGR sind vielfältig: Sie beteiligen sich an der Gottesdienstgestaltung, kümmern sich um religiöse Erwachsenenbildung, Jugendarbeit, Erstkommunions- und Firmvorbereitung, überwachen die Pfarrfinanzen. Nicht zuletzt organisiert der PGR auch die soziale Arbeit der Pfarrei, die Pfarrcaritas. 

Im Mai 2020 wird in Saalfelden ein großer Pfarrgemeinderatskongress über die Bühne gehen. Dort soll über die Weiterentwicklung des Beratungsgremiums beraten werden.